Flusslandschaft 1952
Frieden
„Alle Tage // Der Krieg wird nicht mehr erklärt, / sondern fortgesetzt. Das Unerhörte / ist alltäg-
lich geworden. Der Held / bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache / ist in die Feuerzonen gerückt. / Die Uniform des Tages ist die Geduld, / die Auszeichnung der armselige Stern / der Hoffnung über dem Herzen. // Er wird verliehen, / wenn nichts mehr geschieht, / wenn das Trommelfeuer verstummt, / wenn der Feind unsichtbar geworden ist / und der Schatten ewiger Rüstung / den Himmel bedeckt. // Er wird verliehen / für die Flucht von den Fahnen, / für die Tapferkeit vor dem Freund, / für den Verrat unwürdiger Geheimnisse / und die Nichtachtung / jeglichen Be-
fehls.“ Ingeborg Bachmann1
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Demonstration in der Ludwigstraße, um 1952
Am 8. Februar billigt die Mehrheit des Bundestags den Beitritt der Bundesrepublik zur Europä-
ischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) der Montanunion-Staaten im Rahmen der NATO. Die bayerischen Kirchen billigen die Wiederbewaffnung.
Konrad Adenauer meint am 17. Februar „Wir werden sicher zunächst anfangen mit Freiwilligen, aber es wird der Zeitpunkt kommen, wo der Frage eines deutschen Wehrpflichtgesetzes näherge-
treten werden muss.“3
Am 26. Mai demonstrieren 140.000 Menschen gegen die Wiederaufrüstung und das neue Betriebs-
verfassungsgesetz auf dem Königsplatz.
Am 26. Mai unterzeichnen Bundeskanzler Adenauer, der Außenminister des Vereinigten Königrei-
ches von Großbritannien und Nordirland, Anthony Eden, der Außenminister der Vereinigten Staa-
ten, Dean Acheson, und der Außenminister der Französischen Republik, Robert Schuman, den „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten“ mit Zusatzverträgen, kurz Generalvertrag genannt (Schon bald nennt ihn der Volksmund „General-
kriegsvertrag“). Einen Tag später, am 27. Mai, unterzeichnet Adenauer gemeinsam mit den Vertre-
tern Frankreichs, Italiens, Hollands, Belgiens und Luxemburgs in Paris den „Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG-Vertrag).
„Das Gedächtnis der Menschheit / für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. / Ihre Vorstellungsga-
be für kommende / Leiden ist fast noch geringer. // Der Beschreibungen, / die der New Yorker / von den Greueln der Atombombe erhielt, / schrecken ihn anscheinend nur wenig. / Der Hambur-
ger ist noch umringt von Ruinen, / und doch zögert er, / die Hand gegen einen neuen Krieg zu er-
heben. / Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. / Der Regen von gestern macht uns nicht naß, sagen viele. // Diese Abgestumpftheit ist es, / die wir zu bekämpfen haben, / ihr äußerster Grad ist der Tod. / Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, / wie Leute, die schon hinter sich haben, / was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen. // Und doch wird nichts mich davon überzeugen, /daß es aussichtslos ist, /der Vernunft gegen ihre Feinde beizuste-
hen. / Laßt uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, / damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! / Laßt uns die Warnungen erneuern, / und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! / Denn der Menschheit drohen Kriege, / gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, / und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, / wenn denen, die sie in aller Öffent-
lichkeit vorbereiten, / nicht die Hände zerschlagen werden.“ Bert Brecht4
Siehe auch „Frauen“, „Gewerkschaften/Arbeitswelt“ und „KPD“.
(zuletzt geändert am 17.7.2023)
1 https://lyrik.antikoerperchen.de/ingeborg-bachmann-alle-tage,textbearbeitung,414.html
2 Foto: Hans Siegritz
3 Zit. in: Sag nein, wenn du nicht töten willst. Geschichte und Stand der Wehrdienstverweigerung. Auf- und Abgeschrieben von Heinz Stuckmann, Köln um 1958, 63.
4 Rede für den Frieden, geschrieben für den „Völkerkongress für den Frieden“ (12. bis 19. Dezember 1952 in Wien), in: Brecht, Werke, Frankfurter Ausgabe Bd. 12, 1988, Gedichte 2.