Flusslandschaft 1995
Atomkraft
Zwei Garchinger BürgerInnen reichen am 11. Januar mit Unterstützung des Bündnis gegen Atom-
reaktor Garching Klage beim bayrischen Verwaltungsgerichtshof gegen den Einbau einer soge-
nannten „Kalten Neutronenquelle“ im alten Atom-Ei in Garching ein. Die Genehmigung ist vom bayrischen Umweltministerium ohne Beteiligung der Öffentlichkeit ausgesprochen worden. – Der Garchinger Stadtrat erklärt am 27. Januar sein Einvernehmen zum baurechtlichen Teil des neuen Atomforschungsreaktors FRM II. – 19. Januar bis 23. Juni – Veranstaltungsreihe zum FRM II in der Seidlvilla; Veranstalter: Bündnis gegen Atomreaktor Garching mit Bürger gegen Atomreak-
tor Garching e.V.1
Am Montag, 13. März, protestieren Frauen von Global 2000 aus Österreich, Frauen für atomkraft-
freie Zukunft aus Österreich, Jihoceske Matky (Südböhmische Mütter gegen Atomgefahren), Tschechien, Za Matku Zem (Für Mutter Erde), Slowakei und die Mütter gegen Atomkraft e.V. (MgA) vor der Zentrale der Bayernwerke A.G. in der Nymphenburger Straße 39 gegen die Mitfi-
nanzierung des Energieproduzenten beim Bau des Atommeilers Mochovce.2
Noch am Mittwoch Nachmittag, 26. April, entscheidet das Verwaltungsgericht München, dass das von Atomkraftgegnern und –gegnerinnen für den Abend des 9. „Tschernobyljahrestages“ geplante Mahnkreuz den Verkehrsfluss in der Innenstadt unterbrechen darf. Ab 14 Uhr sind geplant: Info-
stände auf dem Marienplatz – 16 Uhr Auftaktkundgebung auf dem Marienplatz – 17 bis 18.30 Uhr „Lebensband“ als Mahnkreuz zwischen Marienplatz, Odeonsplatz, Siegestor, Platz der Opfer des Nationalsozialismus, Staatskanzlei – 19.30 Abschlusskundgebung auf dem Marienplatz. Motto ist: „Kein neues Atom-Ei (FRM II ) in Garching – Kein Tschernobyl in München!“ Das Kreuz erstreckt sich vom Marienplatz bis zum Siegestor ca. 1 km lang in der Längsachse und 500 m in der Quer-
achse. Es wird von ca. 1.500 Teilnehmern gehalten. Es konmmt zu einem dreißig Minuten langen absoluten Verkehrsstop in diesem starkbefahrenen Bereich.3 Die Reaktionen sind zum Teil bitter: „Eine Freundin, die in der Nähe des ‚Franziskaner’ steht, wird von feingekleideten Damen nur mit-
leidig, spöttisch mit dem Kommentar bedacht: ‚In 20 Jahren gibt es ohnehin nur noch Atomener-
gie’, und dann ziehen Erdbeeren und frischer Spargel am Standl nebenan die Aufmerksamkeit auf sich. Also doch – Tschernobyl schon zu lange her?!“4
8. Mai: Öffentliche Auslegung der längst überfälligen sog. Umweltverträglichkeitsprüfung für den FRM II (UVP).
13. Mai: Bundesweite Demonstration in Hannover mit etwa 20.000 Teilnehmern. Gina Gillig nimmt als Vertreterin der Bürger gegen Atomreaktor Garching e.V. daran teil. Sie hält bei einer der drei Auftaktkundgebungen vor ca. 5.000 Leuten eine Rede zum FRM II.
Am Eingangsbereich zum Richtfestgelände halten am 19. Juni zwei Vertreter der Bürger gegen Atomreaktor Garching e.V. ein Transparent mit der Aufschrift „Forschung JA – Atomreaktor FRM II NEIN“ und verteilen das Blatt zur Veranstaltungsreihe in der Seidl-Villa. – Am 29. Juli stellen die Unterschleißheimer MgA drei Protesttafeln an der Staatsstraße B13 Richtung Haimhausen auf. Die Autofahrer lesen „FRM II NEIN“. Am dritten Tag sind die Tafeln weg. Gina Gillig erstattet An-
zeige.
„10. Juli 1995: Die Bürger gegen Atomreaktor Garching e.V. und das ‚Bündnis gegen Atomreaktor Garching’ übergeben ca. 30.000 weitere Einwendungen gegen den umstrittenen geplanten FRM II. Vor dem Bayerischen Umweltministerium findet zuvor eine Kundgebung statt unter dem Motto: ‚Wir hau’n das Atomei in die Pfanne!’ Monica Lochner-Fischer (MdL) und Irene Sturm (MdL) halten Ansprachen. Die Einwendungen werden symbolisch in einer großen Bratpfanne übergeben. Damit ist die Gesamtzahl der Einwendungen gegen die Reaktorpläne auf über 80.000 gestiegen. Obwohl viele BürgerInnen durch das atomrechtliche Anhörungsverfahren im Mai 1994, das vom Umweltministerium zur Scheinveranstaltung degradiert wurde, das Vertrauen in die Genehmi-
gungsbehörde entgültig verloren haben, zeigt die hohe Anzahl neuer Einwendungen im Rahmen der UVP, dass der Widerstand wächst und breiter wird.“5
30. Juli bis 6. August: Drittes internationales Energielager der Jugendorganisation des Bund Na-
turschutz (JBN) in Garching unter dem Motto „Gib dem Solarstrom eine Chance“.
19. August: Die Münchner Sambagruppen veranstalten ein Sambafest gegen Atomtests am Pariser Platz in München. Die Bürger gegen Atomreaktor Garching e.V. nehmen mit einem Info-Stand daran teil, sammeln Unterschriften und verteilen das neue Flugblatt.
18. Oktober: Wasserrechtlicher Erörterungstermin für den FRM II im Landratsamt München. Hauptkritikpunkte: Die geplante Zwischenlagerung radioaktiver Stoffe im acht Meter tiefen Keller des FRM II und damit im Grundwasserbereich. Des weiteren herrscht Uneinigkeit über das kon-
taminierte Erdreich im Baubereich: Ein TÜV-Gutachten spricht von 70 Kubikmetern, die TU spricht von nur 10 Kubikmetern. Auch verweisen die Einwender auf einen zweiten Kanal, der schon 1979 stillgelegt worden war und ebenfalls Erdreich kontaminiert hat wie bereits ein anderer 1990. Sie fordern „einen klaren Überblick über die Situation in dieser kontaminierten Baugrube“. Damit bringen sie Anton Axmann, den Gesamtprojektleiter FRM II – Bau, in Bedrängnis, der wirkt, als habe er von diesem Kanal noch nie gehört.
23. Oktober: Reaktor unterm Rotstift – Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/die Grünen for-
dert die ersatzlose Streichung der Bundesmittel für den FRM II. Nach deren Ansicht blockiert der Geldbedarf für das umstrittene 720-Millionen-Projekt eine ganze Reihe „billigerer und wichtigerer Forschungsvorhaben“, die ohne staatliche Hilfe zum Scheitern verurteilt seien.
26. Oktober: Strafanzeige gegen Prof. Dr. Gläser – Eine Vertreterin des Bündnis gegen Atomreak-
tor Garching stellt Strafanzeige. Grund: Am alten Atom-Ei wird derzeit eine sogenannte Kalte Quelle eingebaut. Diese ist nach Veröffentlichung der TU München im Jahr 1982 bereits im Bau. Die Genehmigung dafür wurde erst im Dezember 1993 beantragt und im November 1994 erteilt. Es wurde also mehr als zehn Jahre an dieser Kalten Quelle gebaut ohne eine dafür vorliegende Geneh-
migung. Dies ist nach Meinung des Bündnis gegen Atomreaktor Garching ein glatter Verstoß gegen § 328 des Strafgesetzbuches. Begründet wird die Strafanzeige im wesentlichen mit eigenen Aussagen der Reaktorbetreiber. Da für den entsprechenden Zeitraum Prof. Dr. Gläser verantwort-
lich ist, richtet sich die Strafanzeige gegen ihn. Falls andere oder weitere Personen dafür Verant-
wortung tragen, richtet sie sich auch gegen unbekannt.
Für den 10. bis 16. November stellen die Bürger gegen Atomreaktor Garching e.V. den Antrag, mit DIN A2-Plakaten in Münchner U-Bahnhöfen zum Protestmarsch am 18. November zum Garchin-
ger Atomei zu werben. Dies wird abgelehnt. Gina Gillig erhebt Einspruch und fordert Gleichbe-
handlung, da die TU mit Großflächenplakaten im U-Bahnbereich für den Reaktor werben darf. Daraufhin darf nun auch die TU nicht mehr im U-Bahnbereich werben.
Vom 17. bis 19. November findet die erstmals in München tagende Herbstkonferenz der bundes-
weiten Anti-AKW-Bewegungen, die bisher meist im Norden Deutschlands stattfand, aus aktuellem Anlass, dem Bau des Forschungsreaktors in Garching, in der Baumstraße 8 in München statt. Im Rahmen dieser Konferenz der Anti-Atominitiativen in München organisiert Alfred Fischer den Protestmarsch gegen den geplanten FRM II zum alten Atom-Ei in Garching. Dazu werden 500 Plakate DIN A1 und 500 Plakate DIN A2 gedruckt. Trotz Eiseskälte nehmen am 18. November über 500 Personen daran teil. Die Garchinger Bürger gegen den Atomreaktor marschieren zusammen mit dem Münchner Anti-Atom-Bündnis und den Teilnehmern der Herbstkonferenz zum Garchin-
ger Atom-Ei. Die Demonstration beginnt um 14 Uhr am Garchinger Maibaumplatz und endet mit einer Kundgebung vor dem alten Forschungsreaktor. Die Münchner Sambagruppe „Samba-Sole-Luna“ sorgt für Stimmung. Etwa hundert Polizisten begleiten die Demo.6
Über 216.000.000 Liter hochradioaktive Schlacke lagern in den Tanks der ehemaligen Atombom-
benfabrik Hanford/USA. Die Strahlung dieser Hinterlassenschaft des Kalten Krieges wird auf ca. 8 Trillionen Becquerel geschätzt. Zwei Drittel des Atomabfalls der USA lagern in Hanford, darunter 105.000 ausgebrannte Brennstäbe, 720.000 Liter Salpetersäure, 43.000 Kubikmeter verstrahlter Sand und 163.000.000 Liter verstrahltes Grundwasser. 622 Quadratkilometer Land wurden durch die Atombombenproduktion in Hanford unbewohnbar. 7.000.000.000 Dollar kostete die Dekon-
taminierung seit 1989; in frühestens 75 Jahren wird das Gelände halbwegs entgiftet und entstrahlt sein.7
Siehe auch „Frieden/Abrüstung“ und „Umwelt“.
1 Vgl. www.frm2.de.
2 Siehe die Bilder von der Kundgebung „hände weg von mochovce“ am 13. März von Cornelia Blomeyer.
3 Siehe sie Bilder vom „mahnkreuz“ vom 26. April von Cornelia Blomeyer.
4 Mütter Courage. Magazin der Mütter gegen Atomkraft 3 vom Juli 1995, 5.
5 www.frm2.de. Siehe die Bilder vom „wir hau’n das atomei in die pfanne!“ vom 10. Juli von Cornelia Blomeyer.
6 Siehe die Bilder von der Forderung „sofortige still-legung“ vom 18. November von Cornelia Blomeyer.
7 Quelle: Atomic Scientist