Flusslandschaft 1995

Frauen

Am 1. Juli 1958 trat das „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau“ in Kraft. Im Grundgesetz ist die Gleichberechtigung schon verankert; nun sollte das bürgerliche Recht, soweit es Familie, Ehe und Vermögen betrifft, nachziehen. In der Arbeitswelt blieb die Frau weiter be-
nachteiligt. Zwei Beispiele: Bei den Dienstleistungsberufen gab es 1993 rund sechshundertfünf-
zigtausend weibliche Arbeitslose und damit hundertachtzigtausend mehr als männliche. Zwischen 1980 und 1995 fielen in der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie sechzig Prozent der Voll-
arbeitsplätze für Frauen weg. Im selben Zeitraum verloren „nur“ vierundvierzig Prozent der Män-
ner ihren Arbeitsplatz. Frauen sind aktiv: Sie durchlaufen dieselbe Grundausbildung wie Männer mit durchschnittlich besserem Erfolg. Sie arbeiten Tag für Tag durchschnittlich vier Stunden län-
ger als die Männer. Sie entwickeln soziale Qualifikationen, die nach männlichen Wertkategorien bemessen wenn überhaupt, dann nur unzulänglich honoriert werden. Frauen fordern von den Männern gleiche Rechte, auch und gerade in Zeiten des Rückschritts. Heute werden Frauen in ungeschützte Jobs abgedrängt, stehen als erste wieder auf der Straße, wenn Betriebe dichtmachen. Auf dem Arbeitsmarkt werden sie als Konjunkturpuffer benutzt. In Boomphasen werden sie als Arbeitskräfte gebraucht, in Phasen des konjunkturellen Abschwungs sind sie die ersten, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Männer dringen heute in ursprünglich von Frauen dominierte Bereiche wie Handel, Banken, Versicherungen und weitere Dienstleistungen vor. Frauen werden abqualifiziert, auf schlecht bezahlte Arbeitsplätze abgedrängt oder fliegen auf die Straße. Dann feiern die traditio-
nellen Familienmuster, innerhalb derer die Frauen „ihre“ unbezahlten Aufgaben haben, fröhliche Urständ. Zurück an den Herd! Es existieren heute immer noch kaum Quotierungen, weder bei der Einstellung von noch bei der Weiterbildung für Frauen. Auch bei flexiblen Arbeitsplatzmodellen und Kinderbetreuung machen die Firmen seit Jahren kaum Fortschritte. Die Gehälter entwickeln sich nach vier bis fünf Berufsjahren zwischen Frauen und Männern zugunsten der Männer deutlich auseinander. Das macht sich erst recht im Alter bemerkbar: Bei den Renten sind die Unterschiede noch größer, nicht zuletzt wegen der Kinder-Pausenjahre. Je größer heutzutage ein Betrieb ist, desto geringer ist der Anteil von Frauen an der Belegschaft. Über die Lockerung des Kündigungs-
schutzes ab Oktober 1996 durch Anhebung des „Kleinbetriebsschwellenwertes“ von fünf Beschäf-
tigten auf zehn Beschäftigte wird es leichter, ältere Lohnabhängige und vor allem Frauen „freizu-
setzen“. Außerdem liegt im Konfliktfall jetzt die Beweislast bei der Arbeitnehmerin. Es wird zu-
künftig zunächst davon ausgegangen, dass dringende betriebliche Erfordernisse für die Kündigung vorlagen und der Arbeitgeber die Sozialauswahl grundsätzlich beachtet und durchgeführt hat. Eine gerichtliche Prüfung ist nur vorgesehen, wenn ein Verdacht auf „grobe Fehlerhaftigkeit“ vorliegt. Nicht der Arbeitgeber muss somit nachweisen, dass die Kündigungen ordnungsgemäß erfolgt sind, sondern dem Arbeitnehmer wird es aufgebürdet, ungerechtfertigte Kündigungen nachzuweisen.

Im Frauenstadtteilzentrum in der Sedanstraße 35 in Haidhausen befindet sich das Café Glanz. Hier haben Männer keinen Zutritt. Was aber, wenn ein Elternbeiratsstammtisch, in dem sich auch Männer aufhalten, hier tagen will?1

Internationaler Frauentag: Für den 4. März sind Arbeits- und Diskussionsforen in der Aula des Luisengymnasiums in der Luisenstraße 7 geplant. Am 8. März findet ein Frauenfest im Wirtshaus im Schlachthof in der Zenettistraße 9 statt. Ebenfalls am 8. März demonstrieren Frauen und einige Männer auf dem Marienplatz.2

Am 29. Juni verabschiedet die Bundesregierung das Schwangeren- und Familienhilfeänderungs-
gesetz, welches unter anderem festlegt, dass ein Abbruch der Schwangerschaft bis zur 12. Woche nach vorhergehender Beratung erlaubt ist.

Ein neuer Bestseller: In „Körper von Gewicht“ antwortet Judith Butler auf Kritik, die ihr in ihrem früheren Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“ entgegengebracht wurde. Jetzt stellt sie die Fra-
ge nach der Materialität in den Mittelpunkt. Der poststrukturalistische Subjektbegriff sei durch kritischen Bezug auf psychoanalytische Kategorien zu erweitern. Performanz, die das etabliert, was sich als Seiendes darstellt, funktioniere nicht nur über permanente Reproduktion der symboli-
schen Ordnung, sondern auch über den Ausschluß des Verwerflichen und des Traumatischen.3


1 Siehe „Diskriminierung im Frauencafé Glanz?“.

2 Siehe Bilder vom „Internationalen Frauentag“ von Cornelia Blomeyer.

3 Judith Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Berlin 1995.