Flusslandschaft 1995
Schwule/Lesben
Das Wohnprojekt Klugstraße beherbergt AIDS-Kranke, unter ihnen viele Sterbende. Nachbarn haben Angst, Wohnungsbesitzer befürchten Wertminderung ihres Eigentums. Mike Eggleton von der Münchner Aids-Hilfe: »Seit mehr als zehn Jahren ist allgemein bekannt, dass eine HIV-Infek-
tion durch soziale Kontakte nicht übertragbar ist. Deshalb besteht für Mitbewohner und Nachbarn absolut keine Gefahr.« Er fordert den Vermieter, die Firma DERAG, auf, die Wohnmöglichkeit zu erhalten, »um den Schwerkranken ein würdevolles und behütetes Leben und Sterben zu ermögli-
chen. Gerade für Pflegebedürftige, die in ihren eigenen Wohnungen nicht mehr bleiben können, gibt es neben den wenigen Wohnprojekten keine Alternativen.«1
Am 17. Juni tummeln sich beim Christopher-Street-Day (CSD) 4.000 Schwule, Lesben und Transgender. OB Ude hat zum ersten Mal die Schirmherrschaft übernommen.
Am 12. August schließt der Frauen- und Lesbentreff Nümfe in der Nymphenburgerstraße 182 mit einem Abschlussfest.
Im August 1995 wird bekannt, dass zwei Münchner Polizisten einem Rumänen und zwei Polen in die Pässe den Vermerk „Homo-Strich“ und „Homo-Szene“ und Ort und Zeit der Kontrolle einge-
tragen haben. 70 Münchnerinnen und Münchner protestieren. Sogar im in London gedruckten The European wird berichtet. Einer der ‚Stempel-Betroffenen’ wurde, „nachdem er ein Fernsehinter-
view gegeben hatte, innerhalb von 14 Tagen siebenmal in Handschellen zu einer Kontrolle auf die Polizeiinspektion 11 in der Hochbrückenstraße gebracht. Dies immer von den gleichen Beamten im Bereich Reichenbachplatz.“2 Thomas Niederbühl von der Rosa Liste meint, es gelte die simple Rechnung „Schwul = Strich = kriminell“.3
»Brautentführung einmal anders: Kurz nachdem Marion Fechtner (Mitte) ihrem Gerd auf dem Standesamt München II am Mariahilfplatz 9 das Ja-Wort gegeben hatte, fand sie sich in einem Kreis von Lesben und Schwulen wieder, die das Glück der Jungvermählten nicht ohne Neid be-
äugten. Die Mitglieder und Unterstützer der Bundesarbeitsgemeinschaft Schwuler Juristen for-
derten bei ihrer Standesamtaktion die Möglichkeit der Eheschließung ebenso für gleichgeschlecht-
liche Paare. Nicht aus romantischen, sondern auch aus rein rechtlichen Gründen, wie Sprecher Thomas Seydel versicherte. Zahlreiche Privilegien, die der Gesetzgeber an die Eheschließung knüpfe – von Steuervorteilen bis hin zu Rentenansprüchen – möchten auch Schwule und Lesben gerne in Anspruch nehmen.«4
Am 9. September veranstaltet die Münchner Aids-Hilfe ein „Regenbogenfest“ im Wirtshaus im Schlachthof in der Zenettistraße 9.
Am 1. November schließt die Lesbeninformation und -beratung (LIB) in der Dreimühlenstraße, der die Stadt keine finanzielle Unterstützung mehr gewährt.
Im Dezember 1995 schließt das Kreisverwaltungsreferat die Dom-Pedro-Sauna in Neuhausen, da von ihr „erhebliche Störungen für Sitte und Ordnung sowie große Gefahren für die Volksgesund-
heit(!)“5 ausgingen. Zwei Polizeibeamte haben »zufällig« die Sauna besucht und dabei »Skandalö-
ses« entdeckt.
Das Anti-Gewalt-Projekt (AGP) des Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrums Sub (SchwuKK) dokumentiert für dieses Jahr 109 Übergriffe auf schwule Männer. Verglichen mit 1993 (54 Fälle), dem Start des AGP, bedeutet das eine Verdoppelung anti-schwuler Delikte, gegenüber 1994 eine deutliche Zunahme (94 Fälle). Überwiegend geht es um Körperverletzungen, Raubüber-
fälle, Psychoterror, Erpressung und Diskriminierung.
(zuletzt geändert am 20.7.2025)
1 Zit. in: Süddeutsche Zeitung 83 vom 8./9. April 1995, 51.
2 Rosa Liste Zeitung. Nachrichten der schwul-lesbischen WählerInneninitiative für München vom Oktober 1995, 2.
3 Siehe „Vermerk bei Schwulen – Spitze eines Eisbergs“.
4 Süddeutsche Zeitung 208 vom 9./10. September 1995, 34.
5 Zit. in: Zeitung rosa liste münchen. Nachrichten der schwul-lesbischen WählerInneninitiative für München 11 vom Februar 1996, 1.