Flusslandschaft 1996
AusländerInnen
Am 10. März sind Stadtratswahlen. Am 14. Januar sprechen im Pschorr-Keller an der Theresienhöhe 4 Manfred Brunner, ehemals FDP, jetzt Bund freier Bürger, Polizeipräsident Koller und Kreisverwaltungsreferent Uhl.1
1996 arbeiten in Deutschland fünfhunderttausend ausländische Billigarbeiter, während dreihundertfünfzigtausend deutsche Bauarbeiter, mehr als ein Fünftel der Beschäftigten am Bau, arbeitslos sind. Am 22. März demonstrieren über zwölftausend Bauarbeiter an der Münchner Großbaustelle „Neue Messe“ am alten Flughafen Riem. Hier auf dieser Baustelle (Bauherr: die öffentliche Hand) sind nur etwa zweihundert von tausend Arbeitern durch Tarifverträge abgesichert. Ein deutscher Facharbeiter erhält 24,48 DM Stundenlohn, ein Arbeiter aus Portugal bekommt vier bis fünf Mark pro Stunde. Forderung: Auch für ausländische Bauarbeiter müssen mindestens 19,58 Mark pro Stunde bezahlt werden. Ein Mindestlohngesetz muss her. Schon 1993 hatte die Stadt München beschlossen, keine Bauaufträge an Firmen mit Hungerlöhnen zu vergeben. Der Freistaat Bayern beanstandete dies rechtsaufsichtlich, weil „arbeitsmarktpolitische Gesichtspunkte“ keine Sache des Haushalts- und Vergaberechts seien. Damit würden Großprojekte wie U-Bahn-, Messe- und Wohnungsbau teurer. Die Stadt München hielt dagegen, dass die durch die Beschäftigung von Billigarbeitern ausgelöste Arbeitslosigkeit die Stadt noch teurer kommt. 1996 arbeiten in München fünfzehntausend Bauarbeiter aus Polen, Portugal, Irland, Frankreich oder Italien für drei bis zwölf Mark pro Stunde. Auf einer Baustelle in Augsburg schuften Russen für siebzig Pfennig pro Stunde — zwölf Stunden am Tag! Nach zähen Verhandlungen mit den Arbeitgebern erreicht die IG Bau immerhin, dass EU-Arbeitern mindestens 15,30 DM und ab Dezember mindestens 17,00 DM pro Stunde gezahlt werden muss (Laufzeit bis 31. Mai 1997). Dann wird neu verhandelt. Im Sommer 1996 vereinbaren die Bayerische Staatsregierung, die bayerischen Arbeitgeber und der DGB ein „Bündnis für Arbeit“. Hier steht auch die Reform der Vergabeordnung für öffentliche Bauaufträge auf der Tagesordnung. Ihr zufolge wird der Freistaat Bauaufträge nur an Firmen vergeben, die tarifgerecht entlohnen und mindestens siebzig Prozent der Bauleistung durch Beschäftigte des eigenen Betriebes erwirtschaften lassen. Auch Subunternehmer dürfen keine Billiglöhner mehr beschäftigen. Ziel ist die Sicherung von zwanzigtausend Arbeitsplätzen in Bayern. Nur: Ist der Bund beteiligt, gilt die Vereinbarung des „Bündnisses für Arbeit“ nicht mehr. Welche Bauvorhaben des Freistaats Bayern kommen ohne Zuschüsse durch Bundesmittel aus?