Flusslandschaft 1999

Gedenken

1999 steht mit dem Wittelsbacher Palais der „Täterort“ der ehemaligen Gestapo-Zentrale und des Gestapo-Gefängnisses im Mittelpunkt der zeitgeschichtlichen Erkundung des Bezirksausschusses Maxvorstadt.1

Für das Münchner Projekt „Dream City“ planen im Frühjahr Annette Weisser und Ingo Vetter eine Installation „Zwangsarbeit“ mit Einrichtungsgegenständen der ehemaligen Siemens-Konzernzen-
trale in Berlin. Siemens interveniert gegen den Katalogbeitrag der beiden Künstler, die damit ihre Teilnahme zurückziehen.

Bei der Gedenkfeier zum 54. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am 30. April spricht Kultusministerin Monika Hohlmeier (CSU) und verteidigt dabei den NATO-Krieg gegen Serbien. Zum ersten Mal sei es traurige Realität geworden, dass Deutschland in engem Bündnis mit den anderen NATO-Staaten Menschenrechte mit militärischem Einsatz zu verteidigen suche. Sie erntet dafür empörte Zwischenrufe. Bei der Feier in Hebertshausen spricht der ehe-
malige Theresienstadt-Häftling Ernst Grube gegen den Krieg der NATO, verwahrt sich gegen die regierungsamtliche Gleichsetzung der Naziverbrechen mit Mord und Vertreibung im Kosovo und wird dabei von einigen Kriegsbefürwortern lautstark unterbrochen.


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Am 7. November sprüht Wolfram P. Kastner anlässlich des 60. Jahrestags des Attentats von Georg Elser auf die Naziführung im Bürgerbräukeller mit Genehmigung des Kreisverwaltungsreferats an vier Stellen in der Stadt auf das Pflaster „Ich wollte durch meine Tat noch größeres Blutvergießen verhindern“. Im Anschluss daran schreibt er mit weißer Schrift auf den schwarzen Gedenkstein vor der Staatskanzlei „Elser“.3 – Am 8. November meint Lothar Fritsche in der Frankfurter Rund-
schau
, man müsse Elser die moralische Rechtfertigung für sein Tun absprechen. Er löst damit eine Unterschriften- und Leserbriefaktion aus.4 Der Rektor der Dresdner Universität tadelt die Leser-
briefschreiber: Man möge es doch unterlassen, Zensur auszuüben. – Am 8. November findet eine Gedenkfeier für Georg Elser in der Türkenschule in der Maxvorstadt statt. Es liest Hellmut H. Haasis aus „Den Hitler spreng ich in die Luft“, es singt der Gewerkschaftschor Quergesang, NPL-
Bragnaz
singen und rappen ihr neugedichtetes Elserlied.

Zum Gedenken an die Reichspogromnacht lädt die DGB-Jugend Bayern die Theatergruppe Teatro Nucleo aus Ferrara ein, auf dem Appellplatz des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau ihr Stück „Tempesta – der Sturm“ aufzuführen. Das Stück „zeigt die Ausgrenzung, Erniedrigung, Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden in eindrucksvollen Szenen und Bildern.“

Seit 1988 wissen die Bewohnerinnen und Bewohner von Geretsried (Landkreis Bad Tölz-Wolfrats-
hausen), dass Erwin Guido Kolbenheyer, nach dem im Ort seit 1955 eine Straße benannt ist, ein Dichter mit nationalsozialistischer Vergangenheit war.5

(zuletzt geändert am 1.2.21)


1 www.munchen.de/ba/03/ba_info/gedenktage.htm

2 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

3 Siehe „Damit kein Gras über die Geschichte wächst“ von Ingrid Reuther und „Rein obtisch wirkt der Stein verschmiert und besudelt“.

4 Siehe „Die Bombe im Bürgerbräukeller“ von Günther Gerstenberg.

5 Siehe „Notizen aus der Provinz“ von Günter Reschke.