Flusslandschaft 1953

Gewerkschaften/Arbeitswelt

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Losungen der KPD

Der DGB-Vorsitzende Walter Freitag reklamiert am Abend vor dem Ersten Mai im Kongress-Saal des Deutschen Museums, was den Gewerkschaften mit der Verabschiedung des Betriebsverfas-
sungsgesetzes verwehrt worden ist: Eine „gleichberechtigte Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft“. Gastredner auf der Kundgebung zum Ersten Mai ist der englische Labour-Abge-
ordnete Richard Crossman. Vor etwa achtzigtausend Menschen auf dem Königsplatz sagt er: „Es gibt gewisse Herren in Bonn, die ein großes Interesse haben, dass keine Vier-Mächte-Besprechun-
gen stattfinden.“ Er fordert damit auch, die Sowjetunion nicht aus den Verhandlungen auszugren-
zen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Adolf Kummernuß, meint: „Unser verehrter Bundeskanzler hat erklärt, wir könnten ja ein anderes Bun-
desparlament wählen, wenn wir nicht zufrieden sind. Wir werden ihm am 1. September beweisen, dass wir zur jetzigen Regierung kein Vertrauen haben!“ Im Anschluss an die Kundgebung ziehen viele Menschen Fahnen tragend durch die Luisenstraße. Ein Transparent an der Spitze des Zuges wird entrollt. Darauf ist zu lesen „Kampf dem Generalvertrag: Er bringt Zwangsrekrutierung – Lohnraub – Krieg und Tod!“ Der Münchner Merkur berichtet: „Ins Präsidium wurde gemeldet, ein Zug Demonstranten mit einem staatsfeindlichen Transparent marschiere durch die Luisenstraße und ebenso prompt kam der Befehl zurück: ‚Der Zug ist aufzulösen.’“ Die Polizei greift auf der Hö-
he des Luisenbunkers ein. Der Wasserwerfer kommt zum Einsatz.2 Bereitschaftspolizei, mit Stahl-
helm und Karabinern bewaffnet, löst den Zug auf. Viele marschieren weiter in Richtung Bahnhofs-
platz. An der Kreuzung Elisenstraße/Luisenstraße „feuert“ der Wasserwerfer. Mit Kolbenhieben räumt die Polizei. Aus der Menge ertönen Rufe: „SS!“ Vom Wasserwerfer gejagt, bricht der neun-
undfünfzigjährige Bahnangestellte Georg Bachl Ecke Luisenstraße/Prielmayerstraße vor dem Café Lipp tot zusammen. Gegenüber dem Telegraphenamt kesselt eine empörte Menschenmenge drei junge Männer ein. Die Abendzeitung: „Ein älterer Mann griff sofort einen der drei umzingelten Zivilisten an, der plötzlich seine beiden Hände aus der Jackentasche nahm. In der rechten blitzte eine Pistole, in der linken die Marke der Kriminalpolizei. Die Demonstranten stoben nach allen Seiten auseinander.“3 – Ein Demonstrationsteilnehmer schreibt dem Oberbürgermeister empört: „Ich habe den Eindruck, als wollte die Polizei die nun einmal vorbereitete Aktion unbedingt durch-
führen … Es war für Unbeteiligte unmöglich, sich zu entfernen. Jedes aufklärende Wort an die Be-
amten war zwecklos, da diese stur von jeder Art Gewalt Gebrauch machten.“4

Anfang Juni: Der Streik der Parkettleger geht in die dritte Woche.1952 und 1953 fordern in der BRD insgesamt etwa 200 Berufsgruppen höhere Löhne. Das Statistische Jahrbuch verzeichnete für 1952 etwa 440.000 Streiktage, für 1953 mehr als das Dreifache, etwa 1,5 Millionen. 1952 sind über 2.500 Betriebe von Arbeitskämpfen betroffen, 1953 etwa 1.400.

„Ladenschlusskrieg“: Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) und die Gewerkschaft Han-
del, Banken und Versicherungen
(HBV) rufen am 13. Juni zur Kundgebung für den Samstag-Nach-
mittag-Ladenschluss auf. Unter den Klängen des „Hohenfriedberger Marsches“ setzen sich zehn-
tausend Demonstranten in Bewegung. Sprechchöre werden laut: „Wir werfen faule Eier auf Bren-
ninkmeyer!“ Die Firma C&A Brenninkmeyer ist gegen den freien Samstagnachmittag ihrer Ange-
stellten.5 Leitende Angestellte der Firma werden erkannt und verprügelt. – C&A trotzt der üblichen Ladenschlusszeit, die am Samstag um 14 Uhr endet. Im Brief der Firma an den Münchner Stadtrat vom 17. Juni heißt es: „Wir begrüßen es deshalb, dass uns ein hinreichender polizeilicher Schutz zugesagt worden ist, damit jegliche Straftaten verhindert werden. Wir sprechen auch unsererseits die Bitte aus, dass Sie den Herrn Polizeipräsidenten veranlassen, hinreichende Kräfte bereitzuhal-
ten und zu prüfen, ob es erforderlich ist, dass ihm seitens des Innenministeriums ein weiteres Po-
lizeiaufgebot zur Unterstützung bereit gestellt wird.“6 Der Polizeiführung geht es vor allem darum, die „eigentlichen Hintermänner und Rädelsfüher“ festzustellen und dingfest zu machen. Für sie stecken selbstverständlich Kommunisten hinter dem Aufruhr. – Am Samstag, dem 20. Juni, halten C&A sowie Salamander ihre Geschäfte bis 17 Uhr offen. Es kommt zu bürgerkriegsähnlichen Un-
ruhen. Mit Karabinern und Stahlhelmen ausgerüstete Polizeibeamte liefern sich Straßenschlachten mit den Massen, die die ganze Innenstadt blockieren. Die Demonstranten skandieren: „SS mar-
schiert“. Von den Dächern der Häuser aus wird die Polizei mit Latten, Ziegeln, Schornstein- und Dachrinnenteilen beworfen. Zuletzt erscheinen vier vollmotorisierte Hundertschaften der bairi-
schen Bereitschaftspolizei; die Innenstadt gleicht einem Trümmerfeld. Der Polizeibericht ver-
merkt, dass es erst jetzt gelang, „nach und nach mit Gewehrkolben, Gummiknüppeln und Wasser-
werfer die zahlreichen Widerstandsnester im Stadtkern aufzubrechen und allmählich wieder nor-
male Verhältnisse herzustellen“.7 In offiziellen Darstellungen heißt es später, Mitglieder der illega-
len FDJ hätten die Proteste als Gelegenheit genutzt, um militante Auseinandersetzungen mit der Polizei zu provozieren.8– Erst die Bereitschaftspolizei wendet das Blatt, die städtische Polizei muss sich vom Chef der Bereitschaftspolizei, einem ehemaligen Wehrmachtsoffizier, vorhalten lassen: „Kleckerweiser Einsatz führe nun einmal, wie durch die Ereignisse erwiesen, zur Zersplitterung der Kräfte und zu den unschönen Bildern des Auflösens einer geschlossenen Polizeihandlung in Raufe-
reien und Kleinhändel.“ Stattdessen müsse „das Auftreten … bestimmt und energisch sein, wenn notwendig, ist hart und mit größter Schärfe zuzupacken“. Auch dürfe „nicht davor zurückge-
schreckt werden, die Menge in den Tatbestand des Auflaufs zu versetzen. Dadurch ist die Anwen-
dung unmittelbaren Zwanges und die Festnahme von Personen, insbesondere solchen, die die Menge zu polizeifeindlichem Verhalten zu bestimmen versuchen, wesentlich vereinfacht. Allge-
meine Aufforderungen oder Drohungen sind meist wirkungslos … Diskussionen mit den Demon-
stranten sind UNTER ALLEN UMSTÄNDEN zu vermeiden …“.9

Wer als Lehrling ganz unten anfängt, kommt gar nicht auf die Idee zu widersprechen. Aber er be-
ginnt vielleicht damit nachzudenken.10

Siehe auch „Frieden“.

(zuletzt geändert am 16.1.2021)


1 Bayrisches Volksecho 94 vom 24. April 1953.

2 Siehe die Fotos vom „ersten mai“ von Berthold Fischer.

3 25 und 9 Fotos: Erster Mai 1953, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung, Mappe 3a und 3b.

4 Zit. in: Gerhard Fürmetz: Polizei, Massenprotest und öffentliche Ordnung: Großeinsätze der Münchner Polizei in den frühen fünfziger Jahren, in: Christian Groh (Hg.), Öffentliche Ordnung in der Nachkriegszeit, Ubstadt-Weiher 2002, 92.

5 „Ein Propagandist der ‚Aktionsgemeinschaft Dienst am Kunden’: ‚Wenn die Landkunden sonnabends ihren Bummel durch die Straßen der Städte machen, sagt manche Bäuerin zu ihrem Mann: Auch du, Vater, brauchst eine neue Joppe’ … Erhard erklärte kernig: ‚Der 14-Uhr-Ladenschluß ist unsozial.’ Thomas Dehler lieferte die liberale Spitze: ‚Was geht den Staat der Ladenschluss an?’“ Der Spiegel vom 13. Juni 1955.

6 Zit. in: Gerhard Fürmetz: Polizei, Massenprotest und öffentliche Ordnung: Großeinsätze der Münchner Polizei in den frühen fünfziger Jahren, in: Christian Groh (Hg.), Öffentliche Ordnung in der Nachkriegszeit, Ubstadt-Weiher 2002, 94.

7 A.a.O., 97.

8 Fotos: Stadtarchiv Standort ZB-Ereignisfotografie-Politik-Demonstrationen; 32 Fotos: Samstag-Nachmittag-Ladenschluss-Aktion am 13. und 20. Juni 1953. Standort: Archiv der Münchner Arbeiterbewegung, Mappe 13a. Zusammenfassend siehe Gerstenbergs „‚Verhältnisse untragbar’“.

9 Zit. in: Gerhard Fürmetz: Polizei, Massenprotest und öffentliche Ordnung: Großeinsätze der Münchner Polizei in den frühen fünfziger Jahren, in: Christian Groh (Hg.), Öffentliche Ordnung in der Nachkriegszeit, Ubstadt-Weiher 2002, 98 f.

10 Siehe „Anfänge“ von August Kühn.