Flusslandschaft 2004

Sicherheitskonferenz

In einem Interview, das der Münchner Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer der Süddeutschen Zeitung gibt, bezeichnet er Menschen, die nach München zur Demonstration gegen die sogenannte „Sicherheitskonferenz“ (SiKo) fahren, als „Berufdemonstranten“. Die SZ schlagzeilt „Die Berufs-Protestler werden ausgefiltert“ und gibt völlig unkritisch einen Plan „aus Polizeikreisen“ bekannt, wie „gewaltbereite Demonstranten“ aus München herausgehalten werden sollen. „Neben einer massiven Polizeipräsenz in der Stadt und einem Sicherheitsgürtel rund um den Tagungsort Baye-
rischer Hof
am Promenadeplatz 6 richten die Beamten an den Einfallsstraßen Kontrollstellen ein. Einschlägig bekannte Berufsdemonstranten — die Personalien liefern die Verfassungsschutzämter [sic!] — sollen hier herausgefiltert und umgehend zurückgeschickt werden.“1

Bereits im Vorfeld stürmt (wie schon 2003) am Abend des 29. Januar die Polizei mit einer Hun-
dertschaft, USK-Einheiten sowie der Staatsschutzabteilung die so genannte „Bastelstunde“ von Gegnerinnen und Gegnern der „Sicherheitskonferenz“ im Kafe Marat in der Thalkirchner Straße 104 und zerstört dort Transparente und Plakate, die in dieser „Bastelstunde“ gerade für die De-
monstrationen vorbereitet werden. Alle angetroffenen Personen werden fotografiert und deren Personalien werden festgestellt. Nachdem sie nichts Strafbares feststellen konnte, zieht die Polizei unverrichteter Dinge wieder ab.

Des weiteren werden Tausende „Fakes“ in Tausende von Briefkästen geworfen, die eine automati-
schen Iris-Erkennung anordnen. Durch täuschend echtes Papier und den Bezug zur SiKo schafft es das „Schreiben“ sogar auf Seite 3 einer Münchner Tageszeitung. Außerdem hängen Transparente von mehreren Brücken. Schließlich kommt es zu einem versuchten Brandanschlag auf das Rü-
stungsunternehmen Mercedes Benz.

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SiKo3 am 6. und 7. Februar 2004: Parallel zur Pressekonferenz von Horst Teltschik wird ein zwan-
zig Meter langes Transparent mit der Aufschrift „No NATO“ vom Alten Peter gehängt.

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Der Platz der Opfer des Nationalsozialismus am Abend des 6. Februar

Am 6. Februar versuchen Demonstranten zwischen dem Lenbachplatz und dem Platz der Opfer des Nationalsozialismus eine Menschenkette (Motto: „Krieg ist kein Mittel gegen Terror, Krieg ist Terror“) zu bilden, Polizei durchbricht den Aufzug zur Menschenkette. Am Platz der Opfer des Na-
tionalsozialismus redet Tobias Pflüger und wird mit selten gesehener Brutalität festgenommen und weggeschleppt.5 Eine Sitzblockade auf der Straße findet statt. Die Polizei nimmt über Hundert Menschen fest. Kreisverwaltungsreferent Dr. Blume-Beyerle beobachtet auf dem Platz der Opfer des Nationalsozialismus das Geschehen, greift aber nicht ein und verläßt schließlich den Schau-
platz.6 Die Veranstalter brechen die Kundgebung ab. Im Feinkost-Käfer, in dem ein Bankett für Konferenzteilnehmer gegeben wird, protestieren einige junge Leute.7

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Extremer Polizeischutz bei der Großdemo vor dem Sendlinger-Tor-Platz am Samstag: vermummte Demonstranten polizeivermummt — Hier demonstriert die Polizei.

An der Großdemonstration am Samstag, 7. Februar, mit über 10.000 Menschen beteiligt sich ein Pink & Silver Block und ein antipatriarchaler Block, sowie der bisher stärkste internationalistische Block. Die Demo gleicht einem Wanderkessel. Bis zu drei Reihen behelmter Einsatzkräfte mit Schlagstock begleiten große Teile der Demonstration. Zwischendurch wird das Verlassen der De-
monstration ebenso untersagt, wie die Rückkehr in die Demonstration. Über weite Bereiche ver-
läuft die Demonstration zwischen Absperrgittern. Das Demonstrationsrecht wird in sein Gegen-
teil verkehrt. Viele Demonstranten empfinden die Situation als empörend und werden aggressiv. Siegfried Benker: „Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit besteht im Kern darin, sich der Öffentlichkeit mitteilen zu können. Wenn drei Reihen behelmter Kräfte jeden Passanten zur Seite drängen, wenn Absperrgitter jede Teilnahme Außenstehender verhindern und wenn Hunderte von Polizeifahrzeugen jegliche Sicht nehmen, ist das Demonstrationsrecht seines Wesensgehalts be-
raubt. Die Polizei vermittelt durch ihr Auftreten: Hier kommt ein Zug von Straftätern und nicht Bürger, die ihr Grundrecht wahrnehmen.“9 Nach teilweise heftigen Polizeiangriffen auf die De-
monstration klirrt’s dann am Abend noch in der Brienner Straße. Dreizehn Scheiben an zwei Banken, einem teuren Modegeschäft und einem Reisebüro werden eingeworfen. Der Sachschaden beträgt 25.000 Euro.10 Bei der Abschlusskundgebung auf dem Marienplatz reden Claudia Haydt11, Claus Schreer12 und noch einmal Tobias Pflüger — jetzt mit Halskrause.13

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Insgesamt hat die Polizei 475 Personen fest- oder in Gewahrsam genommen. Polizeivizepräsident Viering spricht von „Deeskalation durch Stärke“. Am 13. Februar findet eine Demonstration für die Freilassung eines Inhaftierten auf dem Odeonsplatz statt.

Die Bundeskanzlerin bei der Sicherheitskonferenz: Um „Politik und Handeln anderer Nationen zu beeinflussen“ und um „den Interessen und Werten der eigenen Nation zu dienen“, müssten wir „alle Mittel in Betracht ziehen, von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern“.

(zuletzt geändert am 7.10.2023)


1 Süddeutsche Zeitung vom 29. Dezember 2003.

2 An der Litfaßsäule vor dem „Import Export“ im Kreativquartier Ecke Dachauer/Schwere-Reiter-Straße anlässlich der Trauerfeier für Claus Schreer am 4. Oktober 2023. Foto: Richy Meyer

3 Siehe den „Aufruf“.

4 Foto: Richy Meyer

5 Siehe die Reden von Tobias Pflüger vom 6. und 7. Februar in www.imi-online.de/2004/04/01/rede-von-tobias-pflu/.

6 Siehe die Anfrage zur NATO-Sicherheitskonferenz: Pflichten und Möglichkeiten des Kreisverwaltungsreferenten Dr. Blume-Beyerle? Anfrage der Münchner PDS-Stadträtin Brigitte Wolf zu den Repressionen bei den Protesten gegen die Münchner Sicherheitskonferenz und der brutalen Festnahme von Tobias Pflüger in www.imi-online.de/2004/03/29/anfrage-zur-nato-sic/.

7 Siehe „Sicherheitskonferenz 2004“ von Nick Brauns und Sandra Pauli: https://jungle.world/artikel/2004/48/freie-fahrt-fuer-die-polizei.

8 Foto: Franz Gans. Berlinerinnen und Berliner sind auch bei der Demo. Das Berliner nichtarbeit.tv sendet einen Beitrag, der von www.indymedia.org übernommen wurde: https://nichtarbeit.tv.igel-muc.de/video.php?video_uid=ForumderNichtarbeit_Sendung002%2Fsnd002_4SicherheitskonfMnc_512kb.mp4&size=720&autoplay=

9 www.siegfried-benker.de

10 Siehe
- „Wir sind hier nicht zum Spaß“ von Günther Gerstenberg,
- 10 Fotos von Timo Vogt: Proteste gegen die Siko am 6. und 7. Februar 2004, Standort: www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage/index.html, (Bestellung über randbild.de) und
- Fotos: Demo gegen die Siko am 6. und 7. Februar 2004, Standort: Sammlung Gans (Dabei sind auch Filme, Unterordner siko 04).

11 Siehe die Rede von Claudia Haydt in www.imi-online.de/2004/02/08/rede-von-claudia-hay/.

12 Siehe die Rede von Claus Schreer in www.imi-online.de/2004/02/08/rede-claus-schreer-k/.

13 Siehe
- die Reden von Tobias Pflüger vom 6. und 7. Februar: www.imi-online.de/2004/04/01/rede-von-tobias-pflu/,
- einen Mitschnitt der Rede, die fälschlich auf den 6. Februar datiert ist: www.media.kanalb.org/spezial-NATO-kriegskonferenz_2004/2004-02-21-victory.ram,
- ein Interview mit Tobias Pflüger, Video von Kanal B: www.media.kanalb.org/spezial-NATO-kriegskonferenz_2004/2004-02-15-krause.ram,
- 24 Videoclips auf Kanal B in www.kanalb.org/topic.php?clipId=87,
- Adriana Ascoli, Demo gegen NATO-Konferenz in München. Besatzungstruppen raus aus dem Irak! in www.netzwerk-regenbogen.de/muenchkonf040210.html,
- Christoph Marischka, Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat?! Gedanken zum Polizeieinsatz bei der “Sicherheitskonferenz” in München in www.imi-online.de/2004/03/02/die-bundesrepublik-d/,
- einen weiteren Bericht in www.imi-online.de/2004/02/10/bericht-vom-siko-woc/ und
- eine kritische Analyse der Roten Hilfe: www.imi-online.de/2004/02/09/presseerklaerung-sic/.
- Weitere Links: www.imi-online.de/2004/02/10/zu-den-protesten-geg/

14 Foto: Richy Meyer.