Flusslandschaft 2005
Flüchtlinge
„Im Februar 2005 wird der georgische Student Konstantin G. auf Anordnung des Landratsamts Erding in Abschiebehaft genommen. Seine Aufenthaltserlaubnis war ihm entzogen worden, weil er das Studienfach gewechselt hatte. Konstantin tritt in Hungerstreik. Die Karawane organisiert ge-
meinsam mit seiner Freundin eine Unterstützungskampagne. Der frappierende Fall von Abschie-
behaft als Mittel ausgrenzender Bildungspolitik geht durch die Presse und sorgt für öffentliche Empörung. Schließlich gibt das Landratsamt Erding nach, Konstantin wird freigelassen und kann an der Uni München sein Studium fortsetzen.“1
„‚Wir wollen selbst entscheiden, was wir essen!’ – Am 3. März 2005 hat es begonnen. Flüchtlinge wehrten sich gegen die Versorgung mit Essenspaketen. Zwei Monate lang boykottierten die Bewoh-
nerInnen der Unterkunft Emma-Ihrer-Straße in München die Pakete und fordern Selbstbestim-
mung.2 – Die Bewohner, Flüchtlingsrat, Karawane und Ausländerbeirat organisierten parallel Aktionstage, Diskussionen und Öffentlichkeitsarbeit. Auch eine Notversorgung wurde auf die Bei-
ne gestellt. Jeden Dienstag, Freitag und Samstag sammelten Ehrenamtliche Lebensmittelspenden. Über 4.000 Euro wurden gespendet. Die Forderung ‚Geld statt Sachleistung’ stieß auf unerwartet große Unterstützung. Auf den öffentlichen Protest ist zurückzuführen, dass das Bayerische Sozial-
ministerium ab 2006 ein Bestellsystem eingeführt hat.“3
Flüchtlinge aus Nigeria sollen bei ihrer Botschaft vorsprechen, um Papiere zu erhalten. Die Kara-
wane fordert zum Boykott auf, denn die Papiere ermöglichen die eigene Abschiebung. Am 30. März kommt es bei Karawane-Mitglied Ebs Eberl zu einer Hausdurchsuchung.4
„Am 1. April veranstaltet die Karawane zum Europäischen Aktionstag für Bewegungsfreiheit und Bleiberecht ein Protest-Kochen vor der Regierung von Oberbayern: Der verantwortlichen Institu-
tion für die menschenunwürdige Unterbringung in Lagern und die Mangelversorgung mit Essens-
paketen wird eine eklige braune Suppe serviert, die sie sich redlich verdient hat. Am 28. Mai gibt es eine kleine Protestaktion am Münchner Flughafen zum 6. Todestag von Aamir Ageeb, der 1999 an Bord einer Lufthansa-Maschine starb, als er gefesselt abgeschoben werden sollte.“5
Der Ausländerbeirat schließt sich mit dem Flüchtlingsrat und der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge zum Bayerischen Aktionsbündnis „Stoppt die Essenspakete“ zusammen. Bei Aktions-
tagen am Sendlingertor-Platz informieren sie vom 18. bis 21. Juni auf Infotischen mit Flugblättern, Broschüren, Unterschriftenlisten und Essenspaketen.
Sonntag, 2. Oktober: »Rage against Abschiebung«. SolidaritätsfestivaI für die Flüchtlingsarbeit in Bayern mit den Bands Die Sterne, Räuberhöhle, Astrakid, Dr. Norton, Rantanplan und zehn weiteren Gruppen. Günther Beckstein muss draußen bleiben! Im Feierwerk, Hansastr. 39.6
Am 3. Oktober protestieren etwa 150 Menschen vor der sogenannten „Gemeinschaftsunterkunft“ in der Rosenheimerstraße in Ramersdorf. Die Demo geht an der Unterkunft in der Pariserstraße vorbei und quer durch Haidhausen.
„Anfang Oktober dringt die tödliche Abschottung der EU-Außengrenzen gegen MigrantInnen kurz-
zeitig in die Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit. In den spanischen Enklaven Ceuta und Mellilla erstürmen afrikanische Flüchtlinge kollektiv die Grenzzäune – mindestens vier Menschen werden erschossen, Hunderte in die Wüste gebracht und dort ausgesetzt. In München reagiert die Karawane am 15. Oktober mit einer Fahrraddemo, die am spanischen Konsulat in der Oberföhrin-
ger Straße 45 startet.“7
Seit sieben Monaten wird ein irakischer Kurde am Münchner Flughafen festgehalten. Jetzt beginnt er einen Hungerstreik.8
10. Dezember: 150 Menschen demonstrieren am „Tag der Menschenrechte“ gegen Abschiebung und Rassismus.
„Im Dezember decken die Karawane und der Bayerische Flüchtlingsrat einen Fleischskandal in Essenspaketen auf. In den Lagern, die der Regierung von Oberbayern unterstehen, wurde von der Lebensmittel-Firma „Dreikönig” aus Schwäbisch-Gmünd Hähnchenfleisch verteilt, das seit zwei Monaten abgelaufen war. Es ist nicht das erste Mal, dass Flüchtlingen in den Unterkünften abge-
laufenes Essen serviert wird. Doch in diesem Fall berichtet die Presse deutschlandweit.“9
1 Karawane München – die ersten zehn Jahre, München 2008, 29.
2 Siehe „Alle aus der Emma-Ihrer-Straße wollten die Pakete weg haben“ von Ahmed D.
3 www.fluechtlingsrat-bayern.de/essenspaketeboykott-muenchen-05.html. Siehe „Flüchtlinge entmündigt“ von Nick Brauns.
4 Siehe „Hausdurchsuchungen in München“.
5 Karawane München – die ersten zehn Jahre, München 2008, 29. Siehe „Protestresolution“ und die Bilder vom „protestkochen“ am 1. April von Andrea Naica-Loebell und www.thecaravan.org.
6 Siehe www.rageagainstabschiebung.de.
7 Karawane München – die ersten zehn Jahre, München 2008, 30.
8 Siehe „Menschenverachtende Flüchtlingsabwehr an der EU-Außengrenze des Münchner Flughafens“ von Stephan Dünnwald.
9 Karawane München – die ersten zehn Jahre, München 2008, 30.