Flusslandschaft 2006

Sicherheitskonferenz

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Die Immunität des Abgeordneten Tobias Pflüger soll aufgehoben werden.2

Im Vorfeld findet am 31. Januar eine „Stadtverschönerungsaktion“ anlässlich der Proteste gegen die zweiundvierzigste so genannte „Sicherheitskonferenz“ (SiKo), auf der die „Energiesicherung“ als DIE wesentliche Aufgabe der NATO“ definiert wird. statt.3 Am 1. Februar 2006 erläutert eine Podiumsdiskussion die Frage, „wie die deutsche Regierung den Irak-Krieg unterstützte“.4 Die „Masken-Aktion“ am 2. Februar protestiert gegen die Polizei-Auflagen bei den Protesten gegen
die SiKo.5

3. Februar: Aktionstag mit kreativen Aktionen ab 17 Uhr, Kundgebung am Marienplatz, und antikapitalistischer Abendspaziergang ab 19.30 Uhr, Prinzregentenplatz. US-Verteidigungsmi-
nister Donald Rumsfeld klagt, dass die europäischen Länder zu wenig für die Rüstung ausgeben – die USA gehen dieses Jahr mit dem „guten Beispiel“ eines Rüstungshaushaltes von 470 Milliarden US$ voran.

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Am 4. Februar demonstrieren etwa zweitausend Menschen vom Lenbachplatz zum Marienplatz. Bei der Demonstration greift die Polizei durch. Es kommt zu fünfundneunzig „freiheitsentziehen-
den Maßnahmen“ und vierundvierzig Festnahmen. Eine Gruppe an der Spitze des Zuges prote-
stiert in orangefarbenen Overalls gegen Folter und das US-Gefangenenlager auf Guantanamo. Auf den Anzügen der „Guantanamo-Häftlinge“ befinden sich folgende Aufschriften: „Krieg ist Frieden! Folter ist Menschenrecht! Wir sind Deutschland!“ „Bundeswehr vor, noch ein Tor! Schäuble will Folterergebnisse verwerten! Wir sind Deutschland!“ „Reisefreiheit für den BND! Bombenhilfe für den CIA! Wir sind Deutschland!“ „Wir üben … Ihre Bundeswehr! Coesfeld loves you! Folterer sind Soldaten! Wir sind Deutschland!“ „Bundeswehr im Hindukusch! Aufbau von Polizeitruppen im Irak! Wir sind Deutschland!“ „Für das Gute! Gegen das Böse! Wir sind Deutschland!“ Damit wird klar: Deutschland begünstigt aktiv Krieg und Folter.

Ansonsten konzentriert sich der Protest auf einen möglichen Angriff auf den Iran. Zu einem stän-
digen Konflikt zwischen Demonstranten und Polizei führt ein Plakat, auf dem US-Verteidigungs-
minister Rumsfeld als „Massenmörder“ bezeichnet wird. Da dies eine Beleidigung eines ausländi-
schen Regierungsmitglieds sei, so Polizei-Vizepräsident Jens Viering, hätten die Beamten ein-
schreiten müssen. Marco Linnert von der Roten Hilfe beanstandet, dass es sich bei dem Plakat nicht um einen Verstoß gegen das Versammlungsrecht handele, die Polizei betreibe „inhaltliche Zensur“. Sie habe sich rechtswidrig verhalten, da sie Personen präventiv in den Unterbindungs-
gewahrsam genommen habe, um Gewalttaten vorzubeugen, und dies nicht – wie vorgeschrieben – von einem Richter überprüfen ließ. Im nachhinein erhält einer der Sprecher im Auftrag des Kreis-
verwaltungsreferats einen Bußgeldbescheid über 275,07 Euro, da auch vom Lautsprecherwagen aus mehrmals der Ruf „Rumsfeld – Massenmörder“ zu hören war. Vor Gericht kann sich die Stadt aber hier nicht durchsetzen.

Die Organisatoren der Kundgebung vom 4. Februar kritisieren auch das ständige Abfilmen der Demonstrationsteilnehmer durch die Polizei. Es sei verständlich, dass die Polizei Beweissicherung bei der Dokumentation von Straftaten benötige, sagt Linnert, doch untragbar, „wenn dadurch Leute abgeschreckt werden, an Demos teilzunehmen.“ Die Veranstalter monieren, dass ihnen von Seiten der Polizei stets Gewaltbereitschaft unterstellt werde. Zahlreiche Polizisten in Zivil haben sich unter die Demonstranten gemischt, wogegen die Veranstalter immer wieder protestieren. „Das machen wir immer so“, erklärt Viering. So erlange die Polizei frühzeitig Informationen über mög-
liche Gewaltaktionen, die diesmal aber ausblieben. Neben den fünfundneunzig Demonstranten wurde auch ein Polizist „aus dem Verkehr gezogen“, so Viering. Der Zivilbeamte habe sich mit einem die Polizei verunglimpfenden Aufkleber in den Zug gemischt, offenbar, um besseren Kon-
takt zu den Demonstranten zu erhalten. Dieses „Fehlverhalten“ habe man „sofort unterbunden“. In der „Szene“ diskutiert man die Frage, ob die ritualisierten Protestformen noch zeitgemäß sind, und man fragt sich, ob Maulheldenappelle wie „Wir greifen den Kapitalismus an“ nicht das Gegenteil dessen bewirken, was man beabsichtigt.7

In der Konferenz dominieren Drohungen gegen den Iran und sein Atomprogramm.8

Europa-Parlamentarier Tobias Pflüger, der wie jedes Jahr an der Demonstration teilnimmt und eine Rede hält, wird angezeigt. Das Europäische Parlament hebt seine Immunität auf.9

(zuletzt geändert am 7.10.2023)


1 An der Litfaßsäule vor dem „Import Export“ im Kreativquartier Ecke Dachauer/Schwere-Reiter-Straße anlässlich der Trauerfeier für Claus Schreer am 4. Oktober 2023. Foto: Richy Meyer. Siehe auch www.muenchner-friedensbuendnis.de/archiv/Siko/aufruf-siko-2006.pdf.

2 Siehe Tobias Pflüger, Münchner „Sicherheitskonferenz“: Kriegsvorbereitungen gegen den Iran – Aufhebung der Immunität beantragt in www.imi-online.de/2006/02/01/muenchner-sicherheit/.

3 6 Fotos mit Plakat von Andreas Bock: Stadtverschönerungsaktion anlässlich der Siko am 31. Januar 2006, Standort: www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage/index.html.

4 4 Fotos von Andreas Bock: Podiumsdiskussion „Wie die deutsche Regierung den Irak-Krieg unterstützte“ am 1. Februar 2006, Standort: www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage/index.html.

5 5 Fotos von Andreas Bock: Masken Aktion gegen die Polizei-Auflagen bei den Protesten gegen die Siko am 2. Februar 2006, Standort: www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage/index.html.

6 Foto: Franz Gans

7 Siehe „Zensur findet statt – Polizei diktiert Inhalte und Form der Gegenveranstaltungen“ und „Eine Frage
von Richy Meyer. 29 Fotos von Andreas Bock / Titel: Proteste gegen die Siko am 3. Februar 2006, Standort: www.arbeiterfotografie.com/galerie/reportage/index.html.

8 Siehe Jürgen Wagner, Münchner Sicherheitskonferenz: Geschlossene NATO-Front gegen den Iran in www.imi-online.de/2006/02/07/muenchner-sicherheit-5/.

9 Siehe „Solidarität ist gefragt“ von Gerhard Klas.

Überraschung

Jahr: 2006
Bereich: Sicherheitskonferenz

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