Flusslandschaft 2008
Rechtsextremismus
Zu den Kommunalwahlen am Sonntag, 2. März, treten auch Rechtsextremisten an. Ein überpar-
teiliches breites Bündnis ruft dazu auf, Rechtsextreme nicht zu wählen.1
Freitag, 4. Januar, 14.30 Uhr am Sendlinger-Tor-Platz: Treff zur Demo gegen den rassistischen Aufzug von Ausländerstop. „Die NPD-Tarnliste Bürgerinitiative Ausländerstop (BIA) organisiert einen Aufmarsch unter dem Motto ‚Das deutsche München sagt NEIN zu Ausländergewalt und Inländerfeindlichkeit’. Als Anmelder fungieren Roland Wuttke (Mering) und Norman Bordin (Ottobrunn). Startpunkt ist um 17 Uhr der Max-Josephs-Platz, von dem rund neunzig Neonazis ohne Kundgebung um 18 Uhr losziehen. Die Teilnehmenden tragen unter anderem Transparente mit Aufschriften wie ‚Kriminelle Ausländer raus – BIA München’, ‚Sozial geht nur national’, ‚Kameradschaft Schwandorf-Burglengenfeld’, ‚Solidarisieren mitmarschieren – JN Nürnberger Land’ und ‚Heimat statt Globalisierung – BIA’. Am Aufmarsch nehmen Neonazis aus verschie-
denen bayerischen Regionen teil, neben dem BIA-‚Spitzenkandidaten’ Karl Richter (München/ Dresden) und dem NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt (Moosburg) reisen beispielsweise NPD-Landesgeschäftsführer Axel Michaelis (Bamberg) und Heidrich Klenhart (stellvertr. Vorsitzender NPD-BV Oberpfalz, Postbauer-Heng), Rico Doehler (Ex-Vorsitzender NPD-BV-Schwaben) und Willi Wiener (NPD-KV Regensburg) an. Vertreten sind NPD-Abordnungen aus Franken, Oberpfalz und Niederbayern und einige fränkische Kameradschaftsaktivisten, z. B. von der KS Forchheim. Frank Rohleder ( Nationales Bündnis Dresden ) setzt sich als Beifahrer zu Roland Wuttke in den Lautsprecherwagen. Aus München beteiligen sich nur wenige bekannte neonazistische Kader, z. B. Björn-Christopher Balbin und Sebastian Glötzl. Allerdings sind darunter auch die Neonazis um Mike Nwaiser ( Nationales München ), die ihr Zerwürfnis mit Norman Bordin & Co. offensichtlich bereinigt haben. Der Aufmarsch der Neonazis, der an der Spitze von einem ‚Trommler’ angeführt wird, in dem mehrere schwarz-weiß-roten ‚Reichsfahnen’ getragen werden, und an dessen Seite ‚Fackelträger’ gehen, ist von massiven Gegenaktionen begleitet. Über dreihundert AntifaschistIn-
nen protestieren am Rande des Aufmarschs, der über die Maximilianstraße, den Altstadtring und das Tal zum Marienplatz zieht, und können diesen in der Maximilianstrasse und am Isartor mehr-
fach blockieren. Im Tal rufen die Neonazis der hinteren Aufmarsch-Hälfte an mehreren Stellen ungehindert gemeinsam lautstark die Parole ‚Hier marschiert der nationale Widerstand’, die Wort-
folge ‚Nationaler Widerstand’ war im Auflagenbescheid des KVRs untersagt worden. Die Reden bei der Zwischenkundgebung der Neonazis auf dem Marienplatz gehen schließlich im Lärm der pro-
testierenden Antifas und PassantInnen völlig unter. Roland Wuttke nennt OB Christian Ude, Ministerpräsident Günther Beckstein und den Münchner Weihbischof Engelbert Siebler ‚Inländer-
feinde’. Karl Richter meint offensichtlich, mit rollendem ‚R’ und schnarrender Stimme Adolf Hitler imitieren zu müssen: ‚Wählen Sie uns, die Bürgerinitiative Ausländerstopp’. Für die ‚Inhalte’ ist dann Udo Voigt zuständig, der NPD-Bundesvorsitzende zieht alle rassistischen Register: ‚Ali, Mehmet und Fatima bekommen alles, und Millionen Deutsche sind ohne Zukunft’, ‚wir wollen keine Integration, sondern die Trennung der Schulklassen’, und: ‚Wir verlangen, dass sofort die Kindergeldzahlungen an Ausländer eingestellt werden’.“2
„6. Februar: Die NPD hält ihren ursprünglich für die Stadthalle Eggenfelden in Niederbayern ge-
planten ‚Politischen Aschermittwoch’ in der Münchner Gaststätte Mathäser am Hasenbergl in der Dülferstraße 16 ab. Grund für die Verlegung der Veranstaltung nach München war die Tatsache gewesen, dass es der Bürgerinitiative Ausländerstopp Ende Januar gelungen war, genug Unter-
stützungsunterschriften für einen Antritt zur Kommunalwahl in München zu sammeln. Von morgens 9.30 bis nachmittags um 15 Uhr lauschen an die zweihundert Rechte neben Weißwurst-
frühstück, Blasmusik und Fischessen den Reden der Parteiaktivisten und dem Nazi-‚Liedermacher’ Frank Rennicke. Für die Veranstaltung hatte die NPD aus verschiedenen Bundesländern Teilneh-
merInnen herangekarrt. Sascha Wagner (NPD Rheinland-Pfalz) hatte Busse aus dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen und Franken organisiert. Angereist waren beispielsweise der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt oder Udo Pastörs (NPD-Fraktionschef im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern). Daneben waren natürlich auch lokale Neonazis wie Norman Bordin oder Roland Wuttke anwesend. Rund hundert AntifaschistInnen protestieren vor dem Gebäude gegen die Veranstaltung.“3 Der Mathäser ist weiträumig abgesperrt. Das kleine Grüppchen Demonstranten protestiert, argwöhnisch beobachtet von den Ordnungshütern. Anwoh-
ner versorgen die etwa dreißig zum großen Teil jungen Menschen, die von zehn Uhr in der Frühe bis abends um 19 Uhr da stehen, mit Bier und Leberkässemmeln.
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Demo gegen die Naziversammlung im Hasenbergl am 6. Februar
Am Freitag, 25. April, veranstaltet eine dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnende Gruppe am Richard-Strauss-Brunnen eine Mahnwache zur Erinnerung an Reinhold Elstner, der sich am 25. April 1995 vor der Feldherrnhalle verbrannt hat. Die Front Deutscher Äpfel (FDÄ) beteiligt sich.5
Am Freitag, 2. Mai, werden im Münchner Rathaus die neuen Stadträte vereidigt, unter ihnen Karl Richter von der BIA. Um 11 Uhr versammeln sich Münchnerinnen und Münchner auf dem Marien-
platz und protestieren.
Siehe auch die Bilder von der Demonstration „gegen das neue versammlungsgesetz“ am 31. Mai.
Die Rechtsextremen haben ein „linkes Zentrum“ ausgemacht. Im „Tröpferlbad“ an der Thalkirch-
nerstraße in der Isarvorstadt treffen sich Autonome, Punks und alternative Gruppen. Auch das antifaschistische Infobüro a.i.d.a. ist hier zu Hause. „13. Juni: Rund fünfundsiebzig Neonazis um die Freien Nationalisten München nehmen eine Informationsveranstaltung von a.i.d.a. im Kafe Marat zum Anlass, um unter dem Motto ‚Linksextreme Strukturen erkennen! A.I.D.A.-Archiv verbieten!’ zu demonstrieren. In dem per Internet und Flugblättern verbreiteten Hetzaufruf wur-
den zudem die Süddeutsche Zeitung, einzelne Journalisten und der linksalternative Radiosender Radio Lora diffamiert. Die Neonazis treffen sich um 19.30 Uhr am Goetheplatz und marschieren dann zur Ecke Thalkirchner Straße/Kapuzinerstraße, um dort eine Kundgebung abzuhalten. Als Redner tritt zunächst Karl Richter, der Stadtrat der extrem rechten und NPD-nahen Bürgerini-
tiative Ausländerstopp München auf. Danach sprechen der stellvertretende bayerische NPD-Lan-
desvorsitzende Roland Wuttke sowie Philipp Hasselbach von den Freien Nationalisten München. Unter den rund fünfundsiebzig TeilnehmerInnen aus München und Bayern sind weitere Protago-
nisten der rechten Szene, etwa Norman Bordin, Mike Nwaiser und Willi Wiener sowie der erst kürzlich aus der Haft entlassene Karl-Heinz Statzberger. Laut Polizeiangaben protestieren etwa vierhundert Menschen auf den Straßen gegen den Neonazi-Aufmarsch, auf einer Gegenkundge-
bung vor dem Kafe Marat in der Thalkirchner Straße findet sich ein breites Spektrum zivilgesell-
schaftlicher Initiativen, politischer Parteien und Einzelpersonen ein. Aufgrund des großen An-
drangs führen die Referenten des a.i.d.a.-Archivs ihre Veranstaltung vor wechselndem Publikum an diesem Abend drei Mal durch, so dass insgesamt etwa einhundertachtzig ZuhörerInnen gezählt werden können. Zeitgleich protestieren am Goetheplatz und in der Kapuzinerstraße mehrere hun-
dert Menschen gegen den Neonazi-Aufmarsch. Bei einzelnen Auseinandersetzungen zwischen Neonazis, der Polizei und AntifaschistInnen soll es ca. siebzehn Festnahmen und einige Verletzte gegeben haben. Die Polizei geht bei ihrem Einsatz mit unverhältnismäßiger Härte gegen die Anti-
faschistInnen vor.“6 Etwa tausend Menschen haben sich eingefunden, um den linksalternativen Treff – wenn nötig – zu verteidigen. Martin Löwenberg hält eine Ansprache.
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Martin Löwenberg vor dem Tröpferlbad.
„Mittwoch, 25. Juni: Etwa siebzig Neonazis, darunter zahlreiche bekannte Aktivisten u.a. aus NPD und der Kameradschaft München Süd-Ost treffen sich zur Übertragung des EM-Halbfinalsspiels Türkei-Deutschland in der Kneipe Fanarena in der Arnulfstraße. Nach dem Spiel ziehen sie fast geschlossen in sehr aggressiver Stimmung los. Eine schwarz-weiß-rote ‚Reichsfahne’ mit Eisernem Kreuz wird zum Transparent, und der Mob gröhlt u.a. die Parolen ‚Wir sind deutsch!’, ‚Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!’ und ‚1, 2, 3 – ausländerfrei!’. Das Personal der DB-Sicherheit hält die Neonazis davon ab, am Eingang Arnulfstraße den Hauptbahnhof zu betre-
ten, der Mob nutzt dann die S-Bahn in Richtung Marienplatz. Während der Fahrt werden ebenfalls rassistische Parolen gerufen und auch Flaschen geworfen. Am Marienplatz steigen die Neonazis in die U-Bahn um und ziehen später noch über die Leopoldstrasse. Der Pressebericht des Polizeiprä-
sidiums München schreibt dazu: ‚Es sind auch einige Personen des rechten Spektrums aufgefallen, die türkische Fans anpöbelten und beleidigten.’ Der Trupp, dem auch der BIA-Aktivist Norman Bordin angehört, wird dort unter Polizeibeobachtung gestellt und verbringt den Verlauf des Abends an einer Tankstelle nördlich der Münchner Freiheit.“8
Die intellektuelle „neue Rechte“ rezipiert linke Theorie, lernt von autonomer Praxis und diskutiert den Weg zur kulturellen Hegemonie. Ein Münchner veröffentlicht im September einen Text, der das Neue im rechten Diskurs vermittelt.9
Das Kreisverwaltungsreferat verbietet einen für Samstag, 15. November, geplanten sogenannten „Heldengedenkmarsch“ der Rechtsextremen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hebt die Entscheidung der Stadt wieder auf. Am Samstag findet um 11.00 Uhr auf dem Marienplatz unter dem Motto „Stoppen wir gemeinsam die Nazis“ eine Gegenkundgebung des Bündnisses gegen Naziaufmärsche statt. Danach begeben sich etwa 1.000 Antifaschisten zur Marschroute der Rechtsextremen, deren Demonstration von 1.500 bis 2.000 Polizisten durchgesetzt wird. Nachdem sich viele Demonstranten ihr Recht auf Protest nicht nehmen lassen wollen, kommt es seitens der Polizei zum Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken, um die Menschen in Kessel zu treiben und dort stundenlang fest zu halten. Die einzige ärztliche Versorgung besteht darin, den Teilnehmern die Augen auszuspülen. Bitten von Verletzten, in eine Klinik gebracht zu werden, werden abge-
lehnt, stattdessen werden diese bis zu sechs Stunden in verschiedenen Gefangenen-Sammelstellen festgehalten und sogar noch angezeigt. Der Protest gegen die Nazis geht aber weiter und findet seinen Höhepunkt in einer Straßenblockade der Naziroute auf der Sonnenstraße. Siebzig bis hun-
dert Personen haben es auf die Straße geschafft und lassen sich auch nicht entfernen. Sie bilden Ketten, rufen in Sprechchören „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ und sind voll guter Stim-
mung. Es bleibt der Polizei nur die Absperrung der kompletten Sonnenstraße, um den faschisti-
schen Aufmarsch durchzusetzen. Als die Presse und der Aufmarsch weiterziehen, kommt es auch hier wieder zu völlig überzogenen Ausrastern seitens der Polizei.10 Das Fazit dieses Tages sind über achtzig Festnahmen, viele Verletzte, viele verschwendete Steuergelder, um Polizisten aus anderen Bundesländern anzukarren, und alles nur, um hundertzwanzig Rechtsextremen die Verherrlichung des Faschismus zu ermöglichen. Resümee: Der Tag straft die Behauptung Lügen, das neue Ver-
sammlungsgesetz sei gegen Nazis gerichtet. Im Gegenteil: Es wird konsequent für die Rechtsex-
tremisten und gegen die Antifaschisten angewendet.
Am 20. Dezember veranstalten die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und mehrere Gewerkschaften vor dem Innenministerium eine Mahnwache.11
„Auch die neueste Rechtsextremismus-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung belegt Ende November, dass Bayern den höchsten Anteil an Antisemiten in der ganzen Bundesrepublik aufweist; auslän-
derfeindliche Ressentiments pflegen den Umfragen gemäß 39,1 Prozent der Bürger unseres Frei-
staates – ein Resultat, welches nur durch die Angaben für Sachsen geringfügig übertroffen wird.“12
Siehe auch „Militanz“.
1 Siehe „Die Landeshauptstadt wehrt sich“ von Ernst Antoni.
3 A.a.O.
4 Foto: Franz Gans. Siehe auch Gerstenbergs „Tagebuch-Auszüge“.
5 Siehe „Nazimahnwache am 25.4.2008 in München“.
7 Foto: Franz Gans
9 Siehe „Die neue APO der ksA“.
10 Siehe die Bilder von der „sitzblockade“ am 15. November von Andrea Naica-Loebell.
11 Archiv der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)
12 Robert Schlickewitz, Sinti, Roma und Bayern. Kleine Chronik Bayerns und seiner „Zigeuner“, 2008, www.sintiromabayern.de/chronik.pdf, 192.