Flusslandschaft 2009

Rechtsextremismus

Für Freitag, den 9. Januar, meldet die NPD eine Versammlung auf dem Marienplatz an: „Israeli-
schen Terror stoppen!“ Für kritische Beobachter der Versuch, berechtigte Kritik an der Politik des Staates Israel rassistisch zu wenden. Der Münchner Alexander Reichl, bei der Bürgerinitiative Ausländerstopp und als Thor-Steinar-Online-Händler aktiv, verbindet im Nationalen Infoportal Bayern die antisemitisch/antizionistische Hetze mit dem deutschen Nationalismus: „Die Men-
schenrechte gelten ja nicht für Araber, Deutsche sondern ausschließlich für die Angehörigen des ‚auserwählten Gutmenschentums’. Dem palästinensischen Volk gilt unsere Solidarität! Sie sind die Ostpreussen, Schlesier, Sudetendeutsche und Pommern im Jahre 2009.“1

Am 13. Februar versammeln sich Rechtsextremisten auf dem Marienplatz vor ihrer Abfahrt zum Großaufmarsch in Dresden.2

8. Mai, 17.30 Uhr: Antifa-Demo in der Thalkirchner Straße/Ecke Kapuzinerplatz vor dem Kafe Marat.

Überall in der Stadt sind antifaschistische Aufkleber zu entdecken:


Trappentreustraße im März 2009


Ehrengutstraße im August 20093

Im Potsdamer Abkommen vom August 1948 heißt es, dass „jede nazistische oder militaristische Betätigung oder Propaganda zu verhindern“ sei. Und im Artikel 139 GG steht zu lesen: „Die zur ‚Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus’ erlassenen Rechtsvor-
schriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.“ – Am 23. Mai sor-
gen Tausend Polizisten dafür, dass hundertfünfzig Rechtsextreme eine freie Straße haben, um ihre Parolen zu rufen. Auch wer von der Seite der Gegendemonstranten gar nichts tut, wird beständig fotografiert und gefilmt. Das wenige Wochen alte Urteil des Bundesverfassungsgerichts interessiert niemanden. Wer aber versucht, sich dem Nazi-Spuk entgegenzustellen, wird gerempelt, gestoßen, angeschrieen, grob zur Seite gedrängt, geschlagen. Einige, Junge und Alte, setzen sich auf eine Verkehrsinsel Ecke Bahnhofsplatz/Elisenstraße. Sie werden rüde weggezerrt. Die „Apfel-Front“ ironisiert den rechtsextremen Aufmarsch. Ihr Auftritt bleibt das einzige Vergnügen an diesem Tag.4 – In diesen Wochen erklingen freudig erregte Schaufensterreden zum sechzigjährigen Ge-
burtstag des Grundgesetzes, die mit verhaltenem Tremolo die Würde des Menschen feiern, die an-
geblich unverletzlich sei. Welcher Hohn, wenn Politiker zivilgesellschaftliches Engagement for-
dern! Die Polizei hat das zivilgesellschaftliche Engagement voll im Griff.

Am 28. September verletzen zwei Rechtsextreme am Hauptbahnhof gegen Mitternacht einen afrikanischstämmigen Mann. Der 35-Jährige und seine 21-Jährige Freundin treten gegen Kopf
und Oberkörper des 37-Jährigen Mannes und beschimpfen ihn als „Scheiß-Kanake“.

Unter dem Motto „Fang den Hut! Gegen den Burschenschaftskommers in München“ versammeln sich am 16. Oktober dreißig Meter neben dem Haupteingang des Sudetendeutschen Hauses in der Hochstraße 8 einige Antifaschisten, um gegen die Veranstaltung „2000 Jahre Hermannsschlacht“ der Deutschen Burschenschaft zu protestieren. „Eine lustige Anekdote gab es gleich zu Beginn: Die Einsatzleitung der Polizei schwor den Versammlungsleiter darauf ein, dass die Polizei das Motto ‚Fang den Hut’ sehr ernst nimmt und dies auf jeden Fall verhindern will. Mit etwa achtzig Men-
schen war die Kundgebung bei nasskaltem Wetter recht gut besucht und laute Musik hielt die Teil-
nehmerInnen bei Laune. Redebeiträge von der veranstaltenden Gruppe R/AM über den Anlass der heutigen Kundgebung sowie über die rechtsextreme Münchner Burschenschaft Danubia, von der Infogruppe Rosenheim über burschenschaftliche Inhalte und Abläufe sowie ein Jingle des ASAB_M über Sexismus und Militarismus bildeten den inhaltlichen Teil der Aktion.“5

Am Volkstrauertag, dem 14. November, planen die „Freien Nationalisten München“ einen Marsch zum „Heldengedenken“, also zur Verherrlichung von Krieg und Naziherrschaft. Zunächst wird die Veranstaltung vom Kreisverwaltungsreferat der LHS München verboten, dann aber letztinstanz-
lich vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) genehmigt.6 Das Münchner Bündnis gegen Naziaufmärsche mobilisiert für diesen Tag zu einer Gegenkundgebung. Günter Wangerin beteiligt sich bei den Protesten und versucht, zwei reife Tomaten in Richtung der Rechtsextremisten zu werfen. Da er nicht sehr sportlich ist, trifft er voll das Straßenpflaster, sonst niemanden, wird aber sofort festgenommen, seine Plastiktüte der Firma Cavusoglu mit drei Tomaten beschlagnahmt und belehrt, dass man nicht mit Tomaten wirft. Tage später veröffentlicht die AZ seinen um wesentli-
che Aussagen gekürzten Leserbrief: „Leider nicht getroffen. Ich (64) gehöre zu den ‚Verbrechern’, die am Samstag Tomaten auf Nazis warfen. Ich wurde deswegen festgenommen, auf das Polizei-
präsidium Ettstraße verbracht, nach zweimaliger recht unsanfter körperlicher Untersuchung erkennungsdienstlich behandelt und dann entlassen. Ich muss zugeben: Tomaten sind ein denkbar schlechtes Mittel gegen Nazis, am Ende allenfalls Ausdruck einer bedrohlichen Ohnmacht gegen einen höchstrichterlichen Entscheid, der es zulässt, dass Nazis unter Polizeischutz marschieren dürfen. Was nun die Tomaten betrifft, so habe ich leider keinen Nazi getroffen. Gleich zwei verfehl-
ten ihr Ziel und landeten viel zu flach auf dem Boden. Das Werfen überreifer Gartenfrüchte will eben geübt sein.“7 2010 findet der „Tomatenprozess“ statt.8

Zwei Männer verprügeln am 30. November in der U-Bahn einen 39-Jährigen Münchener libanesi-
scher Herkunft. Zunächst beleidigen ihn die Männer. Als dieser erwidert, sie seien wohl betrunken, schlagen ihm die jüngeren Männer mehrfach mit der Faust ins Gesicht und auf den Hinterkopf. Ein 53-Jähriger Mitfahrer greift ein und verhindert Schlimmeres. Der Libanese erleidet leichte Verletzungen. Zwei Streifenpolizisten, die sich in einem Waggon der U2 befinden, nehmen die mutmaßlichen Täter im Alter von 27 und 30 Jahren fest. Beide sind der Polizei wegen „rechtsextre-
mistischer Umtriebe“ bekannt.


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Über weitere rechtsextreme Aktivitäten berichtet a.i.d.a., die antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München unter https://www.aida-archiv.de/index.php/chronologie/chronik/.

(zuletzt geändert am 12.12.2020)


1 Zitiert in: Münchner Lokalberichte 1 vom 8. Januar 2009, 10.

2 Siehe Robert Andreaschs „‚Bombenholocaust‘: Relativierung der Shoah auf dem Marienplatz“ auf https://www.aida-archiv.de/2009/02/23/bombenholocaust-relativierung-der-shoah-auf-dem-marienplatz/.

3 Fotos © Volker Derlath

4 Siehe „500 gegen die ‚Hasselbande’“ und die Bilder der Aktionen „gegen rechts“ vom 23. Mai von Volker Derlath und Franz Gans.

5 www.luzi-m.org

6 Vgl. Süddeutsche Zeitung 263 vom 14./15. November 2009, 50.

7 Abendzeitung vom 16. November 2009, 26.

8 Siehe „Tomatenprozess“.

9 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung