Materialien 1959
In München: Rien ne va plus!
Das Ende des Spielbankprozesses -
Zuchthausstrafen für meineidige Politiker
G.K., München
Die beiden Staatsanwälte Dr. Göppner und Dr. Jörg erhalten seit Tagen Stapel von anonymen Drohbriefen. In den Kanzleien der Verteidiger klingeln fast ununterbrochen die Telephone. Ob in der Straßenbahn, in den Büros oder am Stammtisch – überall wird das Urteil im Spielbankenpro-
zess heftig diskutiert. Seit Jahrzehnten hat kein anderer Fall die Münchener Öffentlichkeit derart aufgewühlt.
Jetzt, da die Richter gesprochen haben, ist die bayerische Volksseele gespalten. Der vielbefragte „kleine Mann auf der Straße“ schwankt in seinem Kommentar. „Recht g’schieht’s eahna“, sagen die einen; Mitleid für die verurteilten Politiker verspüren die anderen. Mitleid vor allem für den ur-
wüchsigen ehemaligen Bayernpartei-Chef, den verdienstkreuzgeschmückten Ex-Landwirtschafts-
minister Josef Baumgartner.
Schon um sieben Uhr morgens hatten sich am Tag der Urteilsverkündung vor dem Justizpalast die ersten Zuhörer angestellt. Atemlose Stille herrschte im Schwurgerichtssaal, als Landgerichtsdirek-
tor Dr. Paul Wonhas die Urteile verlas.
„… wird der Angeklagte Baumgartner zu zwei Jahren Zuchthaus …“ Die nächsten Worte gingen in einem Aufschrei der Überraschung unter. Der Vorsitzende musste sich mit der Drohung Ruhe ver-
schaffen, er werde den Saal räumen lassen, bevor er die Urteilsverkündung fortsetzen konnte.
Alle fünf Angeklagten hat das Gericht des Meineids für schuldig befunden – geschworen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der 1955 prüfen sollte, ob bei der Konzessionierung der Spielbanken in Bayern Unkorrektheiten vorgekommen seien. Und das Gericht hat drakonische Strafen dafür ausgesprochen.
Professor Dr. Josef Baumgartner wurde zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, Max Klotz, der frühe-
re stellvertretende BP-Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag, zu zwei Jahren und neun Monaten Zuchthaus, der ehemalige CSU-Abgeordnete Franz Michel ebenfalls zu zwei Jahren Zuchthaus. Nur der frühere Innenminister August Geislhöringer und der Initiator dieses größten Skandalprozesses der bayerischen Nachkriegszeit, der Spielbankenmanager Karl Freisehner, ka-
men mit Gefängnisstrafen von 15 und 22 Monaten davon. Allen wurden die bürgerlichen Ehren-
rechte für drei oder fünf Jahre aberkannt. Baumgartner wurde – unter lebhaftem Protest einer Schar von Anhängern – noch im Gerichtssaal verhaftet. Kurz darauf erlitt er einen Herzkollaps. Seine Frau unternahm einen Selbstmordversuch.
Die vier Politiker haben beim Bundesgerichtshof gegen das Urteil Revision eingelegt, der Kauf-
mann Freisehner hat den Schuldspruch angenommen.
In seiner Urteilsbegründung hob der Vorsitzende, noch einmal hervor, dass der Prozess keinen politischen Charakter gehabt habe. Dennoch hatte die Kammer immer wieder in den Dschungel der bayerischen Innenpolitik der Jahre 1950 bis 1955 hineinleuchten müssen.
Im Jahre 1950 nämlich war es durchaus nicht die Bayernpartei, die sich für die Errichtung von Spielbanken stark machte. Damals hatte ein fränkischer SPD-Abgeordneter einen entsprechenden Antrag eingebracht, und die CSU war bereit, ihm zuzustimmen. Dass aus der Errichtung der Spiel-
banken zu diesem Zeitpunkt dennoch nichts wurde, lag lediglich an einem Zufall. Der Antrag wur-
de mit Stimmengleichheit im Landtag abgelehnt.
Als sich die Spielbankenmanager dann einige Jahre später wieder für ihre Interessen einzusetzen begannen, war die Bayernpartei inzwischen zur Regierungspartei avanciert: SPD, BHE, FDP und BP war es im Herbst 1954 gelungen, die mächtige CSU in die Opposition zu drängen. Es war nahe-
liegend, dass die Christlich-Sozialen alles daransetzten, diese Viererkoalition zu sprengen. Eine günstige Gelegenheit schien sich ihnen zu bieten, als von Unkorrektheiten bei der inzwischen er-
folgten Konzessionierung der Spielbanken gemunkelt wurde. Eine CSU-Interpellation im Landtag führte schließlich zur Einsetzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses.
Monatelang schlugen sich damals Abgeordnete aller Parteien in diesem Ausschuss mit widerspen-
stigen Zeugen herum. Es hat sich erst jetzt vor dem Landgericht München herausgestellt, wie sehr dabei politische Taktik im Vordergrund stand. Innenminister Geislhöringer zum Beispiel wurde wegen Meineids verurteilt, weil er vor dem Ausschuss nicht zugab, ungünstige Auskünfte über den Konzessionär Gembicki erhalten zu haben. Von diesen angeblich ungünstigen Auskünften wusste aber auch der damalige CSU-Abgeordnete Doktor Alois Hundhammer, der jetzt Landwirtschafts-
minister ist. Der anerkannt tugendhafte Hundhammer hat im Untersuchungsausschuss seinen politischen Gegner Geislhöringer allerdings mit List in den Meineid hineinschlittern lassen. Das Gericht rügte denn jetzt auch Hundhammers Verhalten.
Letztlich blieben in dem Münchener Prozess nur Verlierer auf dem Felde: die Angeklagten, etliche Zeugen, die Parteien, das Land Bayern, die Demokratie. Wer da alles die Hand offen hielt, als ein raffinierter Spielbankenmanager beschloss, sich mit klingender Münze naive und nicht so naive Parlamentarier aller Schattierungen zu angeln – das geht beinahe auf keine Kuhhaut mehr. Gro-
tesk genug, dass der reumütige Karl Freisehner, der während des Prozesses wiederholt verkündet hatte, dass er weitere prominente Politiker belasten könne, jetzt mitteilen lässt, er werde sein Schweigen vorläufig noch nicht brechen – es sei denn, er werde als Zeuge geladen. Denn bei der Münchener Staatsanwaltschaft laufen bereits acht neue Ermittlungsverfahren in Sachen Spiel-
banken.
„Ich will zu dem Urteil selbst nicht Stellung nehmen, aber ich werde die sich daraus ergebenden staatsrechtlichen Konsequenzen prüfen lassen“, erklärte der bayerische Ministerpräsident Hans Seidel (CSU).
Eine seiner Andeutungen ist freilich in München so verstanden worden, dass die Staatsregierung nun prüfen wird, ob es eine rechtliche Handhabe gibt, die – bis 1965 konzessionierten – vier Spielbanken in Bad Reichenhall, Bad Kissingen, Bad Wiessee und Garmisch-Partenkirchen wieder zu schließen. Ausdrücklich wurde gesagt: kein kleines Haus, auch kein großes, keine Reise um die Welt, keine 10.000 Mark. Nur kleine ausgefallene Wünsche …
Die Zeit 33 vom 14. August 1959.