Materialien 1967
Gestapo- und SS-Funktionäre bundeswehrgeeignet?
Der dem Bundestag vorliegende Regierungsentwurf eines Telefonabhör- und Briefkontrollgesetzes will den Geheimdiensten der Bundesrepublik praktisch unbeschränkt Zugang zum Post- und Fernmeldeverkehr verschaffen (ein rechtspolitisches und verfassungsrechtliches Gegengutachten der HU ist in Vorbereitung). Im Hinblick darauf ist als Symptom für die wertfreie Personalpolitik der Staatsschutzinstitutionen der Inhalt des folgenden Schreibens von Interesse, das die Bundeszentrale der HU am 27. Juli 1967 an Bundesverteidigungsminister Dr. Schröder richtete:
Betr.: Beschäftigung eines führenden Gestapo-Funktionärs im Militärischen Abschirmdienst
Sehr geehrter Herr Bundesminister,
wir erlauben uns, Sie auf folgenden Tatbestand in Ihrem Amtsbereich hinzuweisen: Im „Militärischen Abschirmdienst“ (MAD) in München ist in maßgeblicher Funktion Herr Regierungsoberinspektor Hans Christian Erich Altenbrunn tätig. Nach schriftlichen und belegten Auskünften des Generalprokurats in Prag und der Interpol war ein Herr gleichen Namens im Rang eines SS-Obersturmführers mindestens in den Jahren 1940 bis 1945 als Abteilungsleiter der Gestapo in Brünn (Tschechoslowakei) und Tromsö (Norwegen) und in der berüchtigten Einsatzgruppe „Iltis“ in Jugoslawien aktiv. Da nicht nur alle drei Vornamen und die Geburtsdaten, sondern auch die übrigen Personalangaben nach unseren Informationen übereinstimmen, besteht kein Zweifel, dass der jetzige MAD-Mitarbeiter und „Geheimnisträger“ mit dem gleichnamigen Gestapo-Funktionär und SS-Obersturmführer identisch ist. Herr Regierungsoberinspektor Altenbrunn musste diese Identität in einer Gerichtsverhandlung – nachdem er sie zunächst vor Gericht bestritten hatte – schließlich zugeben. Er gibt aber an, seinerzeit lediglich in reinen Verwaltungsfunktionen tätig gewesen zu sein. An dieser Schutzbehauptung scheinen erhebliche Zweifel erlaubt: Vor allem bei der ausschließlich mit Kampf- und „Säuberungs“-Aufgaben befassten Einsatzgruppe „Iltis“ gab es nach übereinstimmendem Urteil namhafter Zeitgeschichtler keine reinen „Verwaltungsfunktionen“. Außerdem wurde nach Auskunft der Interpol Oslo eine Person gleichen Namens, Rangs und Tätigkeitsbereichs in verschiedenen Kriegsverbrecher-Verzeichnissen aufgeführt. Nach tschechischen Archivdokumenten war SS-Obersturmführer und Polizeiinspektor Hans Altenbrunn als Schulungsredner für die Angehörigen der Gestapo im Einsatz. Nach einem Kriegsverbrecherverzeichnis aus dem Jahre 1948 war ein genau gleichaltriger Hans Altenbrunn 1939 bis 1945 in Diensten des SD und der Gestapo in Brünn (Tschechoslowakei) und soll dort wegen Mordes gesucht sein. In ein Ermittlungsverfahren, das seit einiger Zeit bei der Zentralstelle des leitenden Oberstaatsanwalts in Dortmund gegen die Verantwortlichen der SS-Einsatzgruppe „Iltis“ läuft, ist auch Herr Altenbrunn einbezogen (Az. 45 Js 24/65). Ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen des Verdachtes der Mitwirkung bei NS-Verbrechen stellte die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I vor einigen Wochen ein, da dem Beschuldigten nicht nachgewiesen werden konnte, dass er an Morden beteiligt war, alle anderen möglichen Straftaten aber wegen Verjährung nicht mehr verfolgbar seien. – Wir erlauben uns die Anfrage, ob Sie, sehr verehrter Herr Bundesminister, die verantwortliche Tätigkeit eines ehemals leitenden Gestapo-Funktionärs und SS-Obersturmführers, über dessen Wirkungskreis die obengenannten Fakten bekannt sind, in der Bundeswehr solange für vertretbar halten, als ihm keine ausgesprochen kriminellen Straftaten nachzuweisen sind?
Ihrer geschätzten Antwort sehen wir mit Interesse entgegen und verbleiben mit vorzüglicher Hochachtung
HUMANISTISCHE UNION
gez. Rainer Haun
Anzumerken ist, dass der zuständige Wehrbereichskommandeur in München, also der unmittelbare militärische Vorgesetzte, zuvor auf die schriftliche Schilderung des beruflichen Werdegangs des Herrn Altenbrunn in keiner Weise reagiert hatte, Der oberste zivile Befehlshaber sagte inzwischen immerhin eine Prüfung zu.
Mitteilungen der Humanistische Union 32 vom Mai/September 1967, 6.