Flusslandschaft 1957

Kommunismus

„… Der dritte ‚Ostemigrant‘ aus der Münchner Rundfunkredaktion war dann Raimund Schnabel, der im Februar 1957 nach Ostberlin ‚flüchtete‘. Dieselben amerikanischen Kontrolloffiziere, die Herbert Gessner zum Kommunismus bekehrten, hatten 1946 ihr ‚OK‘ zur Beschäftigung des Rai-
mund Schnabel gegeben, von dem bekannt ist, dass er während des Dritten Reiches als hauptamt-
licher HJ-Bannführer tätig gewesen war. Die ‚Umerzieher‘ handhabten im Falle Schnabel ihr sonst so strenges Entnazifizierungsprinzip recht nachlässig. Schnabel arbeitete ein Jahr lang als Repor-
ter, dann wurde er plötzlich entlassen. Wegen Fragebogenfälschung, wie es hieß. Er sollte einen Wehrmachtsdienstrang falsch angegeben haben. Erst zwei Jahre später tauchte er dann wieder im Funkhaus auf und wurde zunächst Reporter des Frauenfunks unter Frau WEITSCH und Autor beim ‚Schulfunk‘ unter Frau SCHAMBECK. Es war selbstverständlich damals auch längst bekannt, dass Schnabel bei Kriegsende im KZ Dachau war. Aber nicht etwa wegen seiner nicht ganz ‚ari-
schen‘ Abstammung (wie wäre er sonst auch hoher HJ-Funktionär geworden!), sondern wegen versuchter Selbstverstümmelung aus Angst vor dem Fronteinsatz. Anfang 1950 übernahm Schna-
bel die Leitung der Zeitfunkabteilung. Er wurde stark protegiert von dem stellvertretenden Chefre-
dakteur Robert LEMBKE. – Der Fall Schnabel musste zumindest als ein Symptom für mangelnde Umsicht und Vorsicht bei den leitenden Herren des Rundfunks gelten, insbesondere bei jenen, die, wie Herr VON CUBE und Herr Lembke, die Personalpolitik auf dem politischen Sektor verantwor-
teten. Ging Schnabel aus ideologischer Überzeugung nach dem Osten, dann war er kaum erst 1957 Kommunist geworden. War er jedoch schon längere Zeit Kommunist, dann musste es merkwürdig erscheinen, dass sein Abteilungsleiter HAMMERSCHMIDT, der bekanntlich für alles einen schar-
fen Blick hat, was nur im entferntesten nach braunem Neonazismus aussieht, von der roten Fär-
bung eines seiner engsten Mitarbeiter, mit dem er sich duzte, nichts gemerkt hatte. Konnte er aber nichts merken, so war Schnabel ein sehr geschickt getarnter Kommunist, mit anderen Worten, dann war Schnabel schon lange als Agent der SED im Münchener Funkhaus tätig und hatte sich nun abgesetzt.“1

Am 29. März verbietet die Polizei den 4. Bundeskongress des Demokratischen Kulturbundes Deutschlands (DKBD), der am 30./31. März stattfinden soll.

16. Mai: „Auf der Handwerksmesse ist es zu einem Zwischenfall mit den Ausstellern aus der Deut-
schen Demokratischen Republik gekommen … Die Messeleitung ließ nämlich ein auf der Gemein-
schaftsschau der ostzonalen Aussteller angebrachtes Plakat ‚Das Handwerk der DDR grüßt die Be-
sucher der 9. Deutschen Handwerksmesse’ entfernen. Der Schritt wurde damit begründet, es sei mit den Handwerkskammern der Ostzone … vereinbart worden, die Buchstaben ‚DDR’ nicht mit in die Beschriftung des Plakates aufzunehmen. Die mitteldeutschen Aussteller haben inzwischen ge-
gen die Maßnahme … protestiert.“2

Die Stadt ehrt Lion Feuchtwanger, den Autor des »Erfolg« . Dagegen kommt es bereits zu Prote-
sten. Als Feuchtwanger dann, wie es in der Münchner Presse3 kolportiert wird, der Führung der Sowjetunion zum vierzigsten Jahrestag der Oktoberrevolution gratuliert, werden die Proteste noch lauter.4 Tatsächlich hat Feuchtwanger der Literaturnaja Gaseta zu ihrem vierzigjährigen Bestehen gratuliert und telegraphiert: „Verständigung mit Sowjetunion der einzige Weg zur Wiedervereini-
gung Deutschlands. Bin froh um jede Gelegenheit, dazu beitragen zu können.“5

(zuletzt geändert am 21.5.2020)


1 Verschwörung gegen die Freiheit. Die kommunistische Untergrundarbeit in der Bundesrepublik. Hg. von der Münchner Arbeitsgruppe „Kommunistische Infiltration und Machtkampftechnik“ im Komitee „Rettet die Freiheit“ [unter Mitarbeit von Hans Hartl], München (Frühjahr 1960), 41 f.

2 Stadtchronik, Stadtarchiv München.

3 Vgl. u.a. Abendzeitung 265 vom 5. November 1957.

4 Siehe „Das rote Dichter-Telegramm“.

5 Blatt. Stadtzeitung für München 149 vom 29. Juni 1979, 7.