Materialien 1969
Meine erste Demo
von Wolfgang Blaschka 02/2013
Das erste Mal, dass ich demonstrierte, war gegen Franz Josef Strauß. Das muss 1969 gewesen sein im Wahlkampf. Ich war zwölf, und als Sängerknabe bei den Regensburger Domspatzen weit weg von den politischen Aufwallungen der Studentenbewegung. Zwar hatte ich schon etwas mitbekommen von den „Unruhen" in Berlin, wie man das damals nannte, aber das war so weit weg wie der Mond. Ein Hauch von Aufruhr hatte uns Internatsschüler noch nicht ergriffen, allenfalls präpubertäre Aufmüpfigkeit gegen die Zumutungen „von oben", die uns täglich übergestülpt wurden. Fernsehen gab es nur in Schwarzweiß und exakt anderthalb Stunden pro Woche. Die Programmauswahl, die wir gemeinsam zu treffen hatten, war daher nicht leicht zu koordinieren, da wir zwischen einem Spielfilm oder zwei dreiviertelstündigen Dokumentationen, Politmagazinen oder „Was bin ich?" zu entscheiden hatten. Vorabendprogramm mit Werbung und Mainzelmännchen durften wir jeden Tag sehen im Fernsehraum, Nachrichten auch, aber nach der Tagesschau wurde gnadenlos das Licht angeknipst, und wir mussten unter den streng kontrollierenden Augen des Präfekten klassenweise raus, wenn wir unser Kontingent Hauptabendprogramm bereits intus hatten. Einzig zur Mondlandung hatte es eine Ausnahme gegeben, da durften wir mitten in der Nacht fernsehen, endlos lang dieses ewige Hin- und Hergeschalte zwischen Studio mit Pappmodell einer Landefähre samt Experten-Zeitvertreib und aufgeregtem „Houston, Houston, bitte melden! Hat sich schon etwas Neues ergeben? Wie steht’s?“, aber nicht einmal die Leitung stand. Das zog sich hin, doch wir blieben hellwach. Die grizzeligen Schwarzweiß-Bilder vom Mond schienen dann aber nicht wirklich überzeugend. Einige hegten gar den Verdacht, dass das alles nur in einem Studio aufgebaut war, um „die Russen” zu beeindrucken. Wesentlich realer war da schon das aalglatt geifernde Gesicht Rainer Barzels, der einen „Herrn Frahm" des Vaterlandsverrats zieh wegen dessen neuer Ostpolitik. Damit meinte er Willy Brandt, dem er „Ausverkauf deutscher Interessen" vorwarf, das Schlimmste nach „Mehr Demokratie wagen".
Prompt klebte ich „Wählt Willy"-Aufkleber im Internat. Allein schon gegen diesen schwitzenden, polternden Franz Josef Strauß, der so ziemlich alles an postfaschistischer Brutalität verkörperte, was uns tagtäglich schmerzhaft spürbar begegnete mit Schlägen und Kopfnüssen, Demütigungen und Strafarbeiten, und alles an Schneidigkeit, was er vom Nationalsozialistischen Kraftfahrer-Korps noch übrig behalten hatte. Als bekannt wurde, dass der zu einer Wahlkampf-Kundgebung der CSU auf den Domplatz kommen sollte, war meinem Freund Christoph und mir klar: Da gehen wir hin und pfeifen ihn aus. Noch besser, wir malen ein Schild, um gegen seine Verleumdungen zu protestieren, das schont die Stimme und ist permanent zu lesen. Das ärgert ihn mehr als ein paar Pfiffe oder Parolen. Gesagt, getan: Ich bemalte ein Brett, das Christoph unter seiner Matratze zur Stabilisierung des ausgeleierten Federrosts liegen hatte, und wir schlichen uns umwegig heimlich aus dem Haus, denn Abendausgang war nicht. Auf dem Domplatz harrte eine schwarze Menschenmenge in gebannter Erwartung der Hasstiraden. Wir tauchten ein in eine Front murrender Ablehnung jeglichen Widerspruchs, und hielten unser Schild hoch. Die Hinteren schimpften, wir versperrten die Sicht, die Vorderen drehten sich teils ungläubig um oder zeigten uns unverhohlen den Vogel. Von der Seite kamen Vorwürfe, wir sollten „doch rüber" gehen. Tätlich wurde niemand, dazu war zuviel Presse da, denn FJS grüßte auch gleich höhnisch seine Gegner, wir sollten doch „erst mal arbeiten gehen". Und das nach Feierabend. Ob wir überhaupt Abitur hätten?! Blöde Frage, wir waren erst in der 7. Klasse. Wir standen nur stumm, und hin und wieder pfiffen wir oder riefen „Buh", während das Publikum ringsum frenetisch applaudierte. Mehr war da nicht zu machen in diesem Pulk von Jasagern. Immerhin hatte es eine unerwartete Wirkung. Am nächsten Tag war ein großes Foto von unseren „Stoppt-Strauß"-Schild in der Mittelbayerischen Zeitung, auf dem unsere Gesichter glücklicherweise nicht deutlich zu erkennen waren. Die Bildunterschrift vermittelte zumindest den Eindruck, dass Strauß in Regensburg auf Widerspruch stieß. Das war schon mal die richtige Botschaft.
zugeschickt am 13. März 2013