Materialien 1969

Der Feldzug eines Staatsanwaltes?

Die politischen Hintergründe der Aktion

Bei Borniertheit, die dieser obskuren Gestapo-Aktion eigen war, sollte man sich davor hüten, sie als Verwaltungsakt eines eifrigen Staatsanwaltes oder gar als das schlechte Gewissen eines hilflosen Jugendamtes zu den Akten zu legen. Es ist keine Spekulation zu behaupten, dass die offizielle Begründung des Nacht- und Nebelspuks, nämlich die, entwichene Fürsorgezöglinge festzunehmen und Beweismaterial gegen die Protektoren dieser Zöglinge (§ 86 JWG) sicherzustellen, nur ein Vorwand war, Denn: nur in 3 der 16 durchsuchten Objekte waren Zöglinge anwesend oder konnten festgenommen werden. Diese Wohnungen kannte die Polizei genau, da sie seit Wochen Spitzel in die Südfront eingeschleust hatte, die sie mit Informationen versorgten.

Die Südfront stand in Verhandlungen mit dem Jugendamt, dem ein Großteil der Lehrlinge namentlich bekannt war. Auch kannte das Jugendamt die 3 Wohnungen, in denen die Lehrlinge gefunden wurden.

Bereits vor einem Monat wäre es der Polizei noch möglich gewesen alle „Südfront-Lehrlinge“ in einer Wohnung festzunehmen. Die Adresse stand auf einem Flugblatt, das in Heimen verteilt wurde. Es ist nichts geschehen.

Der politische Hintergrund der Aktion ist nicht zu verschleiern, auch nicht durch die wiederholten Beteuerungen des Justizministeriums, dass die Aktion unpolitisch sei.

Der Zeitpunkt der Durchführung gibt Aufschluss über die wahren Intentionen des Vorgehens.

Am Abend des 24. September fand in der Bayernhalle eine CSU-Wahlveranstaltung von K.G. Kiesinger und F.J. Strauß statt. Die F.J. Strauß-Wahlveranstaltung am 5. September war trotz schärfster Vorkehrungen nur durch den Einsatz von 300 Polizisten im Saal, (und etwa 500, die draußen warteten) die brutal die Hälfte des Parketts räumten, zu Ende zu bringen.

Die panische Angst, in München eine CSU-Veranstaltung nicht beenden zu können, obwohl nur mit Eintrittskarten in die Bayernhalle zu kommen war, der gesamte Ausstellungspark hermetisch von Polizei abgeriegelt war, und die CSU-Mitglieder, die mit Bussen aus dem Hinterland herangekarrt und durch Lieferanteneingänge in die Kundgebungshalle geschoben wurden, veranlasste vermutlich das CSU-Justizministerium, diskrete Weisungen an die Administration zu geben, der „Sache“ vorzubeugen. Man hoffte, bei der Durchsuchung gefälschte Eintrittskarten und Buttersäure zu finden; doch man fand dergleichen nicht. Viel entwürdigender als eine gesprengte Veranstaltung war es für die Bosse der Christenunion, vor infiltrierten Einödbauern zu sprechen. Der gewünschte Nebeneffekt, 4 Tage vor der Wahl noch für Recht und Ordnung gesorgt zu haben, blieb aus, da es den parteitreuen Staatsanwälten schwer fiel zu beweisen, dass nicht sie es waren, die für Unrecht und Unordnung sorgten.

Wie Wochen zuvor in Ebrach, zeigte es sich auch diesmal, wie minimal die Anlässe sein müssen, damit die Nervosität der Herrschenden das erträgliche Maß übersteigt und per se das System dadurch entlarvt, dass es demokratische Schleierchen zu Fall bringt und sowohl phänomenologisch als auch von seiner Intention her faschistischen Charakter annimmt. Dabei ist weniger der status quo einer refaschisierten Gesellschaft von Bedeutung als das dynamische Moment, das die Tendenzen dieser Entwicklung angibt. So zeigt das hektische, nahezu offen faschistische Vorgehen der von der Justizbehörde gesteuerten Polizei, verglichen mit dem Verhalten des Staats-Apparates vor 1967, sowohl eine gravierende Verschärfung der Maßnahmen (spektakuläres Aufgebot, Durchsuchung nicht im Durchsuchungsbefehl erwähnter Räume, willkürliche Beschlagnahme von PKWs usw.), als auch eine Herabsetzung der Toleranz, die sich das System leisten kann.

Die Aktion hat ihren aktuellen Anlass sicher in den eben erwähnten brisanten Ereignissen (CSU-Veranstaltungen und Bundestagswahl). Es wäre jedoch naiv zu glauben, die Situation sei allein durch diese tagespolitischen Fakten entstanden. Es sind vielmehr langfristig perspektivierte Ansätze der politisch arbeitenden Gruppen, die eine solche Reaktion fordern.

In der Nacht vom 23. auf den 24. September, also in jener Nacht, entschlossen sich die Müllarbeiter in München zum Streik. Die Münchner APO bereitete diesen Streik vor und leistete den streikunerfahrenen Müllarbeitern Hilfestellung. Diesen konkreten Handlungsanweisungen ging eine wochenlange Kampagne der Arbeiter-Basisgruppe „Klassenkampf gegen Wahlkampf“ voraus, die sich unter anderem auch mit den Tarifverhandlungen der I.G. Metall befassten. Zwar führten diese Mobilisierungen nicht zu direkten praktischen Erfolgen. Die Arbeiter-Basisgruppe erreichte dadurch aber, dass sie für die Arbeiterschaft diejenigen wurden, die recht haben, was seinen Ausdruck fand in einer hohen Sympathisantenebene wie im sprunghaften Anstieg der direkten Kontakte mit den Arbeitern.

Diese Tatsache stellt ein Novum in der Geschichte der Münchner APO dar. Zum ersten mal ist es gelungen, wenigstens tendenziell, den akademistischen und hochschulbornierten Rahmen der Studentenrevolte zu durchbrechen. Zum ersten mal stehen der herrschenden Klasse nicht revoltierende Studenten, die für eine Erweiterung ihrer ohnehin schon umfangreichen Privilegien kämpfen, gegenüber, sondern die Arbeiterklasse selbst, die Klasse also, von der einzig eine revolutionären Arbeiterbewegung. Selbst die Hoffnung, dass die Tatsache eines ständigen ökonomischen Kampfes für die herrschende Klasse gefährlich sei, wäre verfrüht (England). Der systemgefährdende Charakter dieser neuen Entwicklung hat andere Dimensionen.

Bei einer Arbeiterschaft, die so sehr wie die Westdeutsche integriert ist, ist es von gewaltiger politischer und ökonomischer Bedeutung, dass sie sich über die staatserhaltenden Gewerkschaften so sehr wie jetzt hinwegsetzt und selber zu handeln beginnt. Zum ersten mal hat die Arbeiterschaft etwas von der ihr möglichen Stärke gespürt. Diese anti-institutionellen Elemente der   großen Streikbewegung, das im Ausschalten der Gewerkschaft durch die Arbeiter und in Parolen wie „Wir vertreten unsere Interessen selber“ ausdrückt, stellt einen konkreten Zusammenhang zur Revolte der Schüler und Studenten dar.

Eine „Apo“, die nur wehrloses Opfer der Maßnahmen der Herrschenden ist, mag zwar noch ab und zu das Mitgefühl von Teilen der liberalen Öffentlichkeit erregen, aber ansonsten erfüllt sie genau die Funktion eines ausgesprochenen abschreckenden Beispiels gegenüber der Arbeiterschaft.

Für uns ergibt sich daraus die Konsequenz, die Machtfrage gegenüber den Herrschenden nur noch dann zu stellen oder stellen zu lassen, wenn wir mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen können, dass sie zu unseren Gunsten entschieden werden kann.


MSZ. Münchner unabhängige Studentenzeitung. Sondernummer Oktober 1969, 2.

Überraschung

Jahr: 1969
Bereich: CSU

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