Materialien 1969

Antiautoritäre Eltern gesucht

In der Wörthstr. 20 (Nähe Ostbahnhof) haben wir für einen Kindergarten geeignete Räume gefunden. Die Anzahl der Kinder soll fünfzehn nicht übersteigen. Der Preis pro Kind wird ca. 90.- DM monatlich betragen, für einen dreiviertel bis ganzen Tag. Den endgültigen Beschluss über Preis und Öffnungszeiten wird eine Versammlung aller Beteiligten fassen.

Wir haben nicht die Absicht, das Versagen des Staates, der den katastrophalen Mangel an freien Kindergartenplätzen in München und anderswo verschuldet, zu tarnen, indem wir den bestehenden privaten Kindergärten einen beliebigen weiteren hinzufügen. Mit unserer Initiative soll vielmehr ein neues Modell entwickelt werden, das sich qualitativ von den üblichen Kinderverwahrstätten unterscheidet.

Das Modell schließt die Mitverantwortung und Mitbestimmung aller Beteiligten ein, d.h. eines fest angestellten Sozialarbeiters, der Kinder und ihrer Familienangehörigen. Die Gruppe wird versuchen, ein repressionsfreies Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern zu schaffen. Erwachsene und Kinder sollen gemeinsam über die Bedingungen ihres Zusammenlebens bestimmen. Jeweils ein Familienangehöriger eines Kindes wird je eine Woche lang im Kindergarten mitarbeiten.

Die Kinder sollen im Kindergarten so selbstständig wie möglich handeln können. Sie können nach Bedarf spielen und lesen, sich zurückziehen und schlafen. Auch wenn Erwachsene ein Spiel anregen, bleibt die Formulierung des Spielinhalts den Kindern überlassen. Die Gruppe soll im gemeinsamen Tun Toleranz und Sozialibilität üben.

Die Elterngruppe wird neben der praktischen Arbeit weiterhin einmal in der Woche abends tagen, um das Konzept weiterzuentwickeln und gemeinsame Lösungen bei auftretenden Schwierigkeiten zu finden. Die Verhaltensweisen der Kinder sollen offen diskutiert werden, wobei es nicht zu umgehen sein wird, über die Bedingungen des häuslichen Milieus zu sprechen, in dem die Kinder aufwachsen.

Die Initiatoren des Kindergartens sind allerdings der Ansicht, dass eine bloß auf Bedürfnisbefriedigung der Kinder gerichtete Erziehung als Vorbereitung auf eine repressive Gesellschaft nicht ausreicht. Vielmehr müssen zusätzlich zur repressionsfreien Erziehung bestimmte Qualitäten bei den Kindern entwickelt werden, die sie befähigen, auf die Repressionen der Gesellschaft in politisch sinnvoller Weise zu reagieren.

Interessenten werden zum Diskussionsabend am Mittwoch, den 28. Mai 1969 in die Wörthstraße 20 (Rückgebäude) eingeladen. Beginn 20 Uhr. Telefonische Auskünfte erteilen W. Hasinger (449017) und D. Milinski (492340).


Apo press. Informationsdienst für die Außerparlamentarische Opposition 19/II vom 28. März 1969, München, 14.

Überraschung

Jahr: 1969
Bereich: Kinder

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