Materialien 1969
Die Mauer muss weg!
Haidhausen braucht Spielplätze und Grünanlagen!
Hinter dieser Mauer liegen 16.000 qm Park brach. Das sind um etwa 4.000 qm mehr, als der öffentliche Grund, der den Bürgern im Stadtteil Haidhausen als Park- und Spielgelände zur Verfügung steht. Der Eigentümer – die katholische Kirche – und die Stadtverwaltung verhandeln seit Jahren über den Verkauf bzw. Kauf des Grundstücks. Die Verhandlungen scheitern bisher an dem von der Kirche verlangten Wucherpreis von DM 500,- p/qm. Noch etwa 1962 waren für den qm dieses Geländes DM 150,- verlangt worden. Die allgemeine Bodenspekulation hat den Preis im Laufe der Jahre in die Höhe getrieben. Darin muss auch der Grund für die Verschleppung der Kaufverhandlungen gesehen werden. Die Gesellschaft trägt ihre Profitinteressen wieder einmal auf dem Rücken der Bürger aus. Und das im Fall der Bürger Haidhausens ziemlich extensiv. Der Park, um den es hier geht, hat nur Beispielcharakter.
Im Münchner Osten gibt es bis jetzt nur zwei öffentliche Grünanlagen mit zusammen etwa 12.500 qm. Viertausend Kinder müssen sich mit sechs mal weniger Spielfläche abfinden als etwa die Kinder in den übrigen Stadtteilen. In Neubaugebieten der Stadt haben die Bürger etwa zwanzig mal mehr Grünflächen zur Verfügung. Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch sie (wie der Fall „Neu-Perlach“ ja deutlich zeigt) nicht ihren Bedürfnissen entsprechend versorgt sind. Zudem sind die bestehenden Grünflächen meist dicht an verkehrsreichen Straßen und Plätzen gelegen, so dass der Erholungswert der Anlagen durch die Abgase der Straße praktisch aufgehoben wird. Die Stadt München hat für den kirchlichen Grund an der Elsässerstraße einen Bebauungsplan erstellt, der dieses Gelände als Spielplatz für 6 bis 12-jährige vorsieht. Auf dem Grund befand sich ehedem ein Kloster „Zum Guten Hirten“ – heute steht noch auf einem Teil des Geländes ein Gymnasium, eine Sozialfachschule, ein kath. Bildungszentrum mit Wohnheimen und Nebengebäuden. Der Rest des Grundstücks sind eben jene 16.000 qm, die völlig ungenutzt und verwildert hinter einer von der Kirche zum Zweck der Abschirmung vor der Öffentlichkeit errichteten, vier Meter hohen, hässlichen Mauer verborgen werden. Im Sommer dieses Jahres kam das Thema „Park“ auf die Tagesordnung einer vom Bezirksausschuss einberufenen Bürgerversammlung. Der anwesende Vertreter der Kirche, Prälat Maier, sah sich und seine Institution harten Attacken der Bürger ausgesetzt. Dieser, darauf bedacht, die Wogen zu glätten, versprach, das Gelände auch vorläufig für die Öffentlichkeit freizugeben, wenn das keinen Einfluss auf die Kaufverhandlungen habe. Die Bürgerversammlung fasste daraufhin eine Resolution, die sich an die Adresse der Stadtverwaltung richtete und u.a. die vorläufige Öffnung des Geländes zum Inhalt hatte. In seiner Antwort am 19. Oktober sprach (Vize-)Bürgermeister Bayerle davon, dass die Verhandlungen darüber laufen, ein Ergebnis sei noch nicht abzusehen, man werde es den Bezirksausschuss wissen lassen, wenn es dazu komme. Doch inzwischen hatten wir, die Wohngegendgruppe der Arbeiter-Basis-Gruppe Ost, den Fall aufgegriffen und das Ergebnis unserer Recherchen der Bevölkerung in einem Flugblatt mitgeteilt. Zwischen Stadt und Kirche hin und her verwiesen, verwiesen wir die Bevölkerung auf sich selbst. Wir riefen dazu auf, den Park zu besichtigen.
Von einem von uns errichteten Aussichtspodest aus (siehe Titelbild) konnte die durch Megaphon-Agitation , Flugblätter, etc., angesprochene Bevölkerung einen sinnlichen Eindruck von dem Park gewinnen, der ihr da vorenthalten wird. Gleichzeitig veranstalteten wir eine Unterschriftensammlung, die die sofortige Öffnung verlangt und im Falle der weiteren Verschleppung Selbsthilfemaßnahmen der Bevölkerung gegen die Mauer ankündigt. Die Reaktionen der Angesprochenen waren erstaunlich. Ein großer Teil wusste gar nicht, was hinter der Mauer ist, die, die es wussten, hatten die Hoffnung doch noch einen öffentlichen Park zu bekommen, längst aufgegeben. Einige zeigten sich kämpferisch und fanden, statt des Podests wären Sprengstoff oder eine Planierraupe die geeigneteren Mittel, gegen die Mauer vorzugehen. Die Resonanz war unseren bescheidenen Kraft angemessen: in drei Aktionstagen sammelten wir etwa dreihundert Unterschriften. Dem – allerdings nur durch Megaphon am selben Tag – erfolgten Aufruf, eine Bürgerversammlung in der Gaststätte XY zu veranstalten, leistete lediglich einer Folge. Prälat Maier und die Zuständigen in der Stadtverwaltung wurden mit Anrufen und Anfragen der von uns Agitierten bedrängt. In einem dieser Tage verteilten Flugblatt haben wir nochmals zur Unterschriftsleistung aufgerufen und eine weitere Forderung an die Stadt gerichtet.
„Wir fordern, dass wir unseren Park selbst gestalten können!“
Gerade in der Arbeit auf dem Reproduktionssektor ist die Gefahr sehr groß, dass wir für die Bevölkerung eben zu einer weiteren Gruppe werden, die ihre Interessen irgendwo aushandelt. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass wir Perspektiven aufzeigen können. Im Mai diesen Jahres hatten in Berkeley/Cal. Bürger und Studenten ein der Universität gehörendes brachliegendes Grundstück „in Besitz“ genommen und es nach ihren Bedürfnissen zum „People Park“ umgestaltet. (Vgl. apo press Nr. 21 – 22/11, S. 4 ff.) Was die Herrschenden in den USA unternahmen, um diese konkrete Artikulation des Volkes zu bekämpfen, ist bekannt. Und im Münchner Osten ist es bitter notwendig, dass die dortige Bevölkerung ihre Interessen kennt, sie selbst vertritt und praktisch realisiert.
Sanierung & Profit
Der Stadtteil Haidhausen ist dringend sanierungsbedürftig. Die Gebäude{substanz) ist verkommen, die Verkehrsverhältnisse katastrophal, die Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Grünflächen, Spielplätzen, Kindergarten – s.o. Und saniert soll nach dem Willen der Stadt München auch werden. Nur eben so, wie in dieser Gesellschaft halt gearbeitet wird: nach dem kapitalistischen Grundsatz der Kapitalakkumulation und Gewinnmaximierung. Und deshalb spricht Stadtbaurat Luther von der „Aufwertung des Münchner Ostens“. Dass die allgemeine Bodenspekulation den Preis des Bodens in der Innenstadt bereits in die Stratosphäre getrieben hat, ist bekannt. (Vgl. „Münchner Stadtzeitung“ vom 9. September 1969, S. 1 ff.) Die Stadt, hier selbst Opfer der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, ist dadurch nicht mehr in der Lage, historische oder sonstwie wertvolle Gebäude in der Innenstadt zu erhalten, wenn der Besitzer den für seinen Profit uninteressant gewordenen „alten Kasten“ abreißen lassen will und durch ein profitables aber hässliches Stahl- und Glas-Bürohaus ersetzen will. Und weil die Stadt(raben)väter gewaschen werden wollen ohne den Pelz nass gemacht zu bekommen, d.h. den Kapitalismus wollen ohne dessen für die Autonomie und Lebensfähigkeit der Kommunen tödlichen „Begleitumstände“ in Kauf nehmen zu wollen, gebären sie eine nachgerade aberwitzige Theorie. Man kann nämlich, nach ihrer Ansicht, die steigenden Preise in der Innenstadt aufhalten, wenn man ein neues Spekulationsobjekt anbietet. Und der Münchner Osten muss ja ohnedies saniert werden.
Früher, als Autos noch mehr ein Luxusartikel waren, der Verkehr noch flüssig lief, da waren Grünwald, Harlaching, Solln usw. am Rande Münchens die bevorzugten Wohngebiete der Bourgeoisie. Die logische Folge dieses Zugs der Wohlhabenden zur Peripherie war, dass dort die Bodenpreise stiegen, die Mieten stiegen bzw. nur noch solche Appartements- oder Wohnhäuser gebaut wurden, die vom Preis her eine gewisse Exklusivität garantieren.
Heute aber sind die Autos mehr geworden, und der Verkehr ist besonders zur Stoßzeit dickflüssiger. Die Wünsche der „High Society“ richten sich immer mehr auf ein stadtzentrumsnahes Wohngebiet. Und also ist der Fall für die jetzt in Haidhausen (z.T. schon Jahrzehnte) ansässige Bevölkerung schon gelaufen. Wo saniert wird, werden Grundstücke ge- und verkauft. Wo das passiert, setzt die Spekulation ein. Und damit werden die neuen sanierten Wohngebäude im Osten schon vom Bodenpreis her zu teuer sein für die jetzt dort lebende Bevölkerung. Sie wird vermutlich ins noch weiter östlich liegende „Neu-Perlach“ abgedrängt werden. Wie dort die Verhältnisse sind, wurde in Nr. 23 – 24/II schon ansatzweise dargestellt.
Was am Fall des Parks „Zum Guten Hirten“ (Agitationsslogan: „Jesus: Lasset die Kindlein zu mir kommen! Prälat Maier: Ja, aber nur für DM 500,- pro/qm!“) modellhaft sichtbar ist, erweist sich als die Maxime dieser Ordnung:
Kapitalinteressen vor Bedürfnisbefriedigung derer, die durch ihre Arbeit alles Kapital (gesellschaftlichen Reichtum) erst schaffen. Die Unterdrückung des Arbeiters als Produzent im Betrieb setzt sich in seiner „Freizeit“ im Wohnbereich fort. Wie in der Produktion ist auch hier nur die organisierte und konkrete Selbsthilfe der Betroffenen ein wirksames Gegenmittel zu dieser Unterdrückung.
Organisierung als Voraussetzung längerfristiger revolutionärer Arbeit
Dass wir den Fall „des Guten Hirten“ aufgegriffen haben, lag nicht zuletzt daran, dass alle unsere Ansätze, mit den Mietern in Kontakt zu kommen, gescheitert sind. Darin drückt sich unsere Hilflosigkeit in der Strategiediskussion unserer Arbeit teilweise mit aus. Der Ursprung dieser „Mauer-Aktion“ war zwar pragmatisch, doch gelang uns durch die Verallgemeinerung der Problematik – speziell im Hinblick auf die Vorbereitung einer Sanierungskampagne – wenigstens ansatzweise so etwas wie die Erarbeitung einer Strategie. Unsere erste Forderung (sofortige Öffnung des Parks) und die damit verbundene Information sollte erst einmal mobilisierend wirken. Sie sollte die Frage des Privateigentums praktisch und sinnfällig in das Bewusstsein der Bevölkerung rücken. Teilweise ist uns diese Mobilisierung gelungen. Die Forderung nach der eigenen Gestaltung des Parks könnte die Funktion haben, den Bürgern ihre Rolle in dieser Gesellschaft einsichtig zu machen und sie zum Kampf gegen dieses System zu bewegen. Es ist ganz klar, dass das, was mit einem Park möglich erscheint, auch mit Wohnungen und Häusern, ja mit einem ganzen Stadtteil möglich ist.
Das Privateigentum an Produktionsmitteln ist untrennbar verbunden mit dem Eigentum an Grund und Boden. Das Eine lässt sich nicht abschaffen ohne dass das Andere mit abgeschafft werden muss. Wenn es herrschaftsunterworfenen Individuen auf der Reproduktionsebene gelingt, die permanente Fremdbestimmung zugunsten der Selbstbestimmung zu beseitigen, können die irrationalen Herrschaftsstrukturen (Herrschaft der Kapitalistenklasse = irrational) im Produktionsbereich nicht länger aufrecht erhalten werden.
Zentrale Bedeutung dabei hätte allerdings die Frage, wie man die mobilisierten Massen organisiert. Denn dass ohne eine Organisation langfristig gegen das kapitalistische System gearbeitet werden könnte, glaubt heute im Ernst niemand mehr.
Unsere Diskussion in dieser Richtung ist bisher zu abstrakt und wenig effektiv verlaufen. Der Erfolg unserer Arbeit wird, ob in einzelnen Aktionen oder in Verfolgung längerfristiger Ziele, davon abhängen, wie fruchtbar wir diese Diskussion weiterführen und in unsere Praxis umsetzen.
E.E. Schik
apo press. Forum der Arbeiterbasisgruppen und der Lehrlinge, der sozialistischen Studenten & Schüler in München 29/II vom 4. November 1969, 1 ff.