Materialien 1970

Baron Fincks Staat im Staate

Immer neue Affären um den reichsten Mann Deutschlands

Wer herrschte 1979 eigentlich im Freistaat Bayern: die demokratische Partei CSU oder eine feudalistische Familie namens Finck – oder war eine geheime Koalition am Schalthebel? Immer offener entpuppte sich das Geldimperium derer von Finck als ein Staat im Staate. „Immer mehr wird erkennbar, mit welcher Hemmungslosigkeit eine Clique von begüterten Familien für sich Privilegien in Anspruch nimmt,“ probte die brave Bayern-SPD schon mal den Klassenkampf. Dabei ging es um einen Mann und seinen riesigen Besitz: Ländereien, Banken, Stahlwerke, Versicherungen, Energieunternehmen, Brauereien, Brennereien, Markthallen, Kühlhäuser, Eisenbahnen und so weiter.

Kaufmannsohn August Finck stand mit seiner 1924 ererbten Bankmacht immer auf der Seite der politischen Macht. Schon 1931 hatten er und andere Wirtschaftsführer beim berüchtigten Treffen im Hotel Kaiserhof dem aufstrebenden Parteiführer Adolf Hitler 35 Millionen Reichsmark für den Wahlkampf zugeschanzt und 1933 weitere drei Millionen ganz privat. Als Mitglied der NSDAP und des Generalrats der Wirtschaft durfte er sich 1938 die Wiener Rothschildbank aneignen – und sei-
nen kapitalistischen Gemischtwarenhandel maximieren, nachdem seine Privatbank schon früher nebenbei Aktienpakete der Vereinigten Werkstätten, einer Sektkellerei und einer Vorläuferin der Lufthansa gekauft hatte.

Vier Jahre nach dem Krieg war der „Mitläufer“ wieder obenauf. Still, aber erfolgreich betrieb er die Vermehrung seines Vermögens, insbesondere seines sagenhaften Grundbesitzes. Die Hälfte davon, rund 2000 Hektar, besaß er im Bauerwartungsgebiet am Stadtrand Münchens. Ein Hans im Glück war der August auch im Kredit- und Wertpapiergeschäft. „Jeden Morgen, wenn Herr von Finck aufsteht, ist er um eine Million reicher geworden,“ so eine Hochrechnung des SPD-Landtagsabge-
ordneten (und späteren Münchner Oberbürgermeisters) Georg Kronawitter.

Bald galt der bayerische Baron unbestritten als reichster Mann Deutschlands. Das verdankte er vor allem einer bodenlosen Bodenspekulation. So hatte ihm der Freistaat einmal ein 457.818 Quadrat-
meter großes, bei der Bodenreform zunächst enteignetes Grundstücks gegen eine Mark pro Qua-
dratmeter zurückgegeben, obwohl Fachleute den mindestens hundertfachen Preis geschätzt hatten. Die verantwortlichen Politiker wollten angeblich einen „riskanten Prozess“ vermeiden.

Während im Juni 1970 ein Untersuchungsausschuss des Landtags noch um die Aufhellung der diversen Grundstücksaffären bemüht war, fuhr der 71-jährige ungeniert fort, das im anderen Teil Deutschlands propagierte Klischeebild von der Macht der Junker und Monopolkapitalisten rund-
um zu bestätigen.

Beispiele aus jüngster Zeit: Seit 1905 bemühte sich die Gemeinde Kochel am See, eine durch-
gehende Uferpromenade von 1.200 Metern Länge anzulegen. Doch das Grundstück gehörte dem Münchner Baron August von Finck. Durch einen Trick war dessen 1904 erblich geadelter Vater Wilhelm Peter Miteigentümer des staatseigenen Kocheler Sees geworden: Der „Reichsrat der Krone Bayerns“ hatte eine Verlandungsfläche nicht aufgefüllt, sondern einfach das Ufer ausge-
graben und ausschachten lassen.

Durch umfangreiche Rechtsgutachten über mögliche Schadensersatzansprüche geschreckt, verzichteten die Kocheler (die 1705 unter Führung ihres Dorfschmieds die Residenzstadt von den Österreichern befreien wollten und blutig zusammengeschlagen wurden) auf den schönen Ufer-
weg. Spaziergänger wurden auf die verkehrsreiche Staatsstraße umgeleitet. Wer etwa mit dem Ruderboot auf dem fast nie bewohnten Grundstück des Herrn Baron anlegen wollte, wurde durch ein Schild „Vorsicht Legbüchsen“ auf seine minderen Bürgerrechte hingewiesen. Ein kollektives „Swim in“ linker Demonstranten nützte zunächst auch nichts.

Ähnliches geschah am Barmsee hoch über Partenkirchen, den der Bund Naturschutz als „schön-
sten oberbayerischen Gebirgssee“ für die Öffentlichkeit frei bekommen wollte. Fast das gesamte Ufer aber gehörte Finck. Um den See endlich ganz für sich allein zu haben, ließ er Stacheldraht-
zäune und Verbotsschilder montieren sowie rundum dicht wachsende Fichten und Erlen anpflan-
zen.

Inzwischen demonstrierte der Großmagnat, der am liebsten im Volkswagen fuhr und sich zum Haarschneiden immer zu einem billigen Dorffriseur fahren ließ, seine ungebrochene Macht und Herrlichkeit. Zum 100. Geburtstag seines Bankhauses Merck, Finck & Co mietete er für eine Viertelmillion Mark das Münchner Nationaltheater und ließ 120 hübsche Mädchen Kaviarhäpp-
chen servieren sowie das Londoner Royal Ballett für die Geldaristokratie der Republik tanzen.

Es war dies aber nur ein „Betriebsfest der größten deutschen Firmen“, wie der Organisator verriet. Volkswagen, Siemens, AEG, Bayer, BASF, Hoechst, Allianz, Münchner Rück, RWE, Hermes Kredit und Neckermann – alle waren sie mit ihren Topleuten vertreten, dazu noch die Führung der CSU sowie die kinobekannte Automobilbauertochter Uschi Glas. Die Presse und die sonst allgegenwär-
tige Prominenz hatte der extrem öffentlichkeitsscheue Geldkönig gar nicht erst einladen wollen in den exklusiven Kreis. Für die Logendiener, erfuhr die Öffentlichkeit dennoch, sei kein Pfennig Trinkgeld abgefallen. – Am Tag zuvor erst hatte F.J. Strauß seine CSU auf dem Nürnberger Par-
teitag zum „Sammelbecken aller Unzufriedenen“ ausgerufen.

Was weiter geschah

Nach dem Tod des 81-jährigen Patriarchen am 22. April 1980 musste sein 50-jähriger Sohn August das riesige Geldkombinat übernehmen. Dieser jedoch übernahm sich. Der teure Zukauf von Löwenbräu und von Mövenpick brachte das Unternehmen ins Wackeln. Als 1988 Freund Franz Strauß als sein letzter Hoffnungsträger verstorben war, verzweifelte August Finck jr. an der bundesdeutschen Politik: „Die werden uns noch vernichten.“ Er stieß einige Beteiligungen ab. Am 1. Oktober 1990 „verscherbelte er in einer Nacht-und-Nebel-Aktion“ (so das „Manager Magazin“ im Februar 2010) die drittgrößte deutsche Privatbank für 300 Millionen Euro an eine britische Konkurrenz und schied aus. Die Branche war überrascht. Dann verschwand er mit dem Geld über die Alpen. Der nur noch achtreichste Mann Deutschlands residiert jetzt in einem Schloss des Schweizer Kantons Thurgau. Immerhin wird sein Vermögen noch auf 8,4 Milliarden Euro ge-
schätzt.

Indes mischte sich der etwas kleiner gewordene „Finck-Konzern“ weiter in die deutsche Politik munter ein. Tochterfirmen spendeten – nach Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ – seit 2000 für den Wahlkampffonds der CSU 2,4 Millionen und für die FDP 1,1 Millionen Euro.

Da ein Teil dieser Lobby-Gelder indirekt von der Mövenpickgruppe stammte und diese 15 Hotels in Deutschland betreibt, werden Zusammenhänge mit der jüngst von CSU und FDP forcierten Herab-
setzung der Mehrwertsteuer für Hotelbetriebe vermutet. Lieber freilich hebt die an 22 deutschen Standorten tätige Bank jetzt ihre Förderung von Kultur und Sport hervor. Jedenfalls ist sie weiter-
hin offen „wie seit 139 Jahren für Privatkunden mit großen Vermögen …“.


Karl Stankiewitz, Weißblaues Schwarzbuch. Skandale, Schandtaten und Affären, die Bayern erregten, München 2019, 180 ff.

Überraschung

Jahr: 1970
Bereich: CSU

Referenzen