Flusslandschaft 1970

CSU

CSU-Politiker Stücklen fordert, dass der Bayerische Rundfunk die ARD verlassen soll. Immer wieder polemisiert das Zentralorgan der CSU gegen die beiden Fernsehanstalten ARD und ZDF. Dabei ist der Intendant des ZDF, Prof. Holzamer, selbst CDU-Mitglied. Am besten wäre ein eigenes CSU-Fernsehen.1 — Anfang des Jahres tritt eine CDU/CSU-Medienkommission unter dem Vorsitz des CSU-MdB Friedrich Zimmermann zusammen. Mit dabei ist auch CSU-MdL Handlos, Mitglied des Rundfunkrats des BR. Handlos verschickt am 10. Januar 1972 an seine Landtagskollegen ein vertrauliches Positionspapier für die Beratungen im Bayrischen Landtag am 19. Januar 1972.

Am 13. Februar 1970 brennt das Haus der Israelitischen Kultusgemeinde in der Reichenbachstra-
ße. Der Verdacht wird gezielt auf arabische Attentäter gelenkt. Am 21. Februar demonstriert das Palästinakomitee gegen die Politik Israels und gegen antiarabische Ressentiments. „Ein merk-
würdiger Vorfall, der von der Presse nicht notiert wurde, hatte sich unmittelbar vor dem Aufbruch der Demonstranten am Münchner Nationaltheater ereignet. Ein Zivilist fuhr in einem Auto vor und unterhielt sich kurze Zeit mit dem Einsatzleiter der Polizei. Nach Augenzeugenberichten han-
delte es sich bei dem Zivilisten um den Vorsitzenden der CSU, Franz Josef Strauß. Ließ er sich Be-
richt erstatten? Gab er Direktiven? Oder war es ein Doppelgänger? Franz Josef Strauß hatte am Tag nach dem Brand im Israelitischen Gemeindehaus die Stunde genutzt, um gegen die neue Bon-
ner Regierung auszuholen. Er bezeichnete die Brandstiftung als das Ergebnis einer Politik, die »das Verbrechen und die Kriminalität nicht mehr unter Kontrolle hat«. Diese politische Aus-
schlachtung des Brandes wurde von Bundesinnenminister Genscher scharf verurteilt. Er warf Strauß vor, den deutschen Interessen schwer geschadet zu haben mit dem Versuch, »die bedauer-
lichen Münchner Vorgänge zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen zu machen.«“2

Siehe auch „Internationales“.

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FJS meint: »Ich will lieber ein kalter Krieger sein als ein warmer Bruder.«4 Graphiker Volker Hinninger von der Münchner Kunstakademie hat die CSU-Politiker satt. Auf seinem Siebdruck »Django diskutiert mit der CSU« sind Strauß, Goppel, Huber und Mayer verewigt.

„In der »Katholischen Akademie zu München« diskutierte KONKRET-Redakteur Günter Wallraff mit dem CSU-Vorsitzenden. Thema: »Die Massenmedien aus der Sicht der CDU/CSU in Regierung und Opposition.« Hier ein Ausschnitt aus dem Bericht der »Stuttgarter Zeitung«: Wallraff zitierte zahlreiche Stellen aus dem von Strauß herausgegebenen »Bayernkurier« und charakterisierte, von Beifall und Zischen gleichermaßen begleitet, den Sonntagvormittagsauftritt von Strauß so: »Hier zeigte sich ein durchaus humoriger liberal-christlicher Plauderstil, der doch nur da ist, um zu ver-
schleiern, was in Wirklichkeit hinter diesem Typus Politiker steckt, Strauß ist doch ein Agitator.« Der derart angegriffene Strauß (»So geht es nicht, dass ich hier eine Zielscheibe bin«) tappte denn auch sofort in die Falle, die ihm Wallraff mit ein paar Sätzen aufgebaut hatte, kam in einer rund dreißigminütigen Replik, vom Diskussionsleiter nur mit Mühe gebremst, bis zu den »Greueltaten des Vietkong« und steigerte sich scheinheilig zu der Frage, die seine kühl-distanziert bleibenden Gegner bei der angesichts der Straußschen Eruption etwas hilflos gewordenen Zuhörerschaft ver-
mutlich diskriminieren sollte: »Sind Sie eigentlich dieser Herr Wallraff, der bei verschiedenen In-
dustriefirmen unter falschem Namen angerufen hat und sich als Ministerialrat ausgegeben hat?« Die Antwort Wallraffs, der mit dieser Methode seinerzeit bei deutschen Industriefirmen Auskünfte über einen bewaffneten Werkschutz bekam, den es, als er sich als Journalist danach erkundigte, angeblich überhaupt nicht gab, kam wie ein Hieb: »Solange es Politiker gibt, die sogar das Parla-
ment belügen, muss ein Journalist auch zu solchen Methoden greifen, wenn er die Wahrheit he-
rausfinden will.«“5

Der reichste Mann Deutschlands pflegt seine Beziehungen zum Adel, zur Industrie und zur CSU. Im Juni werden seine Baulandaffären bekannt. Dies veranlasst FJS seine Partei zum „Sammel-
becken aller Unzufriedenen“ zu erklären.6

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Zwischen 1944 bis 1950 wurden aus ostdeutschen Gebieten 12 bis 18 Millionen Menschen vertrie-
ben. Bayern musste nach 1945 vor allem Sudetendeutsche aufnehmen. Nach Franken, Altbayern und Schwaben wurden sie zum »vierten Stamm« des Landes verklärt. Im September 1949 trafen sich vier Monate nach Gründung der Bundesrepublik 70 sudetendeutsche, ehemals führende NSDAP-Funktionäre in Stuttgart und beschlossen die Gründung einer sudetendeutschen Vertrie-
benenorganisation mit dem Ziel der Wiederinkraftsetzung des Münchner Abkommens von 1938. Regelmäßige »Sudetendeutsche Tage« veranlassen seitdem führende CSU-Politiker, vor einer zu-
weilen militant martialischen Kulisse der Sudetendeutschen Landsmannschaft die wohlwollende Unterstützung der bayrischen Staatsregierung bei der Pflege der »Kulturwerte der ostdeutschen Volksgruppen« zu versichern. Ihren Zweck sieht die Landsmannschaft darin, »an einer gerechten Völkerordnung mitzuwirken; den Rechtsanspruch auf die Heimat, deren Wiedergewinnung und das damit verbundene Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppe durchzusetzen; die Belange der Volksgruppe in den Aufnahmegebieten zu wahren und die Überlieferung (Sitte, Brauchtum, Mund-
art, Kulturgut) der Heimat zu erhalten, der Jugend weiterzugeben und das kulturelle Leben der Volksgruppe zu fördern«.8 Am 24. September eröffnen der bayrische Ministerpräsident Goppel so-
wie sein Minister für Arbeit und soziale Fürsorge das Haus des Deutschen Ostens am Lilienberg.

Eine Karikatur von Franz Josef Strauß mobilisiert den Staatsanwalt. Guido Zingerl organisiert eine Solidaritätskampagne.9

Franz-Josef Strauß: „Ich bin ein Deutschnationaler und fordere bedingungslosen Gehorsam.“10

„ … Der ehemalige weltanschauliche Referent des NSKK (Nationalsozialistischen Kraftfahr-Korps) und spätere Offizier für wehrgeistige Führung, eben der heutige CSU-Vorsitzende F.J. Strauß, der, ohne persönliche Konsequenzen fürchten zu müssen, von »kultureller Entartung« sprechen kann, hat schon 1970 deutlich gemacht: »Bringen Sie das Geld mit, dann dürfen Sie auch mitreden.« In seinem »Grundsatzreferat« auf dem kulturpolitischen Kongress der CSU redet er von einer »erfun-
denen sogenannten Bildungskatastrophe«, fordert die Abkehr von einer Lehre der »unbegrenzten Bildbarkeit des Menschen«, meint, »die Begabungsrichtung eines 10jährigen« sei »von wenigen Ausnahmen abgesehen« erkennbar und hebt warnend den Finger: »Waren auch nicht viele Ter-
roristen Studenten oder gar examinierte Akademiker?« …“11

(zuletzt geändert am 23.8.2024)


1 Siehe „Monopol-Fernsehen antibayerisch“ von Marcel Hepp.

2 Vom Anschlag in Riem zum Anschlag gegen Links. kürbiskern Sonderdruck 2/70, 16, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

3 Plakatsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

4 Die Zeit vom 27. Februar 1970 und Neue Osnabrücker Zeitung vom 6. März 1970.

5 konkret. Monatszeitung für Politik und Kultur 11 vom 21. Mai 1970, 7.

6 Siehe „Baron Fincks Staat im Staate“ von Karl Stankiewitz.

7 Pressereferat des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge (Hg.), Bayern und der Osten, München (1970), 23.

8 A.a.O., 24.

9 Siehe „Strauß kontra Hachfeld: 2. Runde“ von Reiner Hachfeld.

10 Der Spiegel 49 vom 30. November 1970, 39.

11 Klaus Winger: „Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst ist abgeschlossen“ in: links 160/161 vom Juli/August 1983, 9.