Materialien 1977

Rechte Haken gegen weiche Linke

21. Juli: Wieder Faschisten-Überfall an der Uni-Mensa

11 Uhr: Die ersten Studenten gehen in die Mensa zum Essen. Davor stehen zwei Typen im Anzug. Einer ohne Namen: Beamter der politischen Polizei. Einer mit Namen: Kerscher, NPD-Vorsitzender in Regensburg. In seinem Gefolge sind fünfzig weitere Typen: Burschenschaftler, Nazi-Schläger. Studenten bauen einen Infostand über den Neo-Nazismus und die Nazischlägertrupps an der Mensa in den letzten Wochen.

Immer wieder kamen welche: Mal die Studiosi von der Danubia, die nur pöbelten und Leute, die an ihren Tisch kamen, zurückstießen. Jene sahen aus wie Linke. Dann kam Kerscher erstmals mit seiner Truppe: tätowierte Schläger, Schüler, Arbeitslose – die bewährte SA-Methode aus alten „Kampfzeiten“: Man holt sich Leute, denen es dreckig geht und lässt sie die Dreckarbeit machen für die, die dann den Nutzen haben – die in Vorstandsetagen und Gerichtssälen, die schon immer weiße Kragen und saubere Fingernägel hatten.

Zum Prügeln nimmt man solche, die es gelernt haben, lernen mussten: in den Slums von Rom oder den Trabantenstädten von München.

Studenten bauen einen Infostand über die Nazischlägertrupps, die in den letzten Wochen an der Mensa auftauchten. Sie lassen Kerscher und seine Typen in Ruhe. Studenten sind Intellektuelle: Wir arbeiten mit dem Kopf (informieren) und vergessen den Bauch. Wenn wir Bauchschmerzen bekommen vor Angst und Wut, tun wir so, als seien es Kopfschmerzen und lassen die Faust in der Tasche.

13 Uhr: Von Danubia, Sudetia und anderen „schlagenden(!) Verbindungen“ wird ein Büchertisch aufgebaut. Nichts passiert. Einer hat die Polizei angerufen, die kommt dann um 15 Uhr mit ein paar Zivilen, nachdem alles vorbei ist. Die Polizei ist benachrichtigt. Sollen wir auf die Bullen warten, die uns am 19. Mai festgenommen haben? Wir wissen das, aber die Angst ist größer. Wieder der Versuch, es auf den Kopf zu schieben: Einer erzählt was über „Lynchjustiz“, fragt aber nicht, wer immer wen gelyncht hat. Ein anderer will den bürgerlichen Staat beim Wort nehmen, der Polizei eine Schutz-Funktion zusprechen. Er fragt nicht, wen die Polizei immer geschützt hat. Heute ist der 21. Juli, genau 1 ½ Monate nach dem 2 Juni. Diskussionen beginnen, die Fäuste bleiben in der Tasche. Einer will Leute vom AK-Teach-In holen. Er darf dort nicht ans Mikro („Es lebe die Solidarität!“) und geht wieder. Die Linken stehen rum und warten.

14 Uhr: Einige Faschisten gehen zu dem Infoständer. Sie warten nicht. Sie zertrümmern den Infostand und nehmen sich daraus die Latten. Studenten kommen in Bewegung, sie umringen die Faschisten, brüllen: „Nazis raus!“ Aber die Nazis bleiben. Wir haken uns ein, bilden Ketten, wir kennen nur den passiven Widerstand. Die Nazis kennen auch den Angriff: Auf ein Zeichen von Kerscher gehen sie mit den Latten auf die Leute los. Die bleiben stehen und brüllen. Iranische Genossen haben andere Erfahrungen als wir: sie schlagen zurück. Endlich. Da packen die Nazis irgendeine Frau, schlagen ihr die Latten über den Kopf. Sie liegt blutend am Boden, einige von den Typen springen ihr aufs Rückgrad und schlagen weiter auf sie ein. Wir bleiben stehen und brüllen. Wieder wird einer rausgegriffen, ein anderer will ihn festhalten. Beide werden wie die Frau zusammengeschlagen. Sie liegen blutend auf dem Boden. Einer kann das nicht mehr sehen und will abhauen. Drei Nazis verfolgen ihn über die Wiese. Es ist nicht zu sehen, was mit ihm passiert.

Später sagt einer: „Scheiße, wir sind alle Pazifisten!“ Stimmt. Ein anderer: „Denen macht prügeln Spaß. Wir können’s einfach nicht.“ Stimmt, wir müssen lernen.

Das Ergebnis dieses „Zwischenfalls“: eine Frau ist noch im Krankenhaus, mehrere werden ärztlich behandelt. Die Faschisten gehen nach Hause. Wir müssen schnell lernen. „Ich steh’ da und koch’ vor Wut. Vor mir wird einer blutig geschlagen. Aber ich habe noch Angst“ sagt einer. Er weiß jetzt, dass er Bauchschmerzen hat. Auch von „Lynchen“ redet keiner. Die Bullen sind vergessen. Wir haben was gelernt: Wir können nicht mehr philosophieren, wir müssen uns wehren. Jetzt. Auch mit Angst und Bauchschmerzen.

Gemeinsame Vorbereitung ist gut gegen Angst. Gemeinsame Wut hilft mehr als Magentropfen. Wir wollen alle keine Nazis an der Mensa. Wir wollen nicht Kerschers Schläger und auch keine Büchertische von Danubia und Sudetia. Also: die Angst runterschlucken und uns wehren, hoffentlich nicht nur Studenten.

Meistens kommen die Faschisten donnerstags. Kommt doch auch mal donnerstags (es besteht kein Essenszwang). Diesen Donnerstag Treff: 12 Uhr Uni-Mensa.

O.H.U.


Blatt – Stadtzeitung für München 100 vom 29. Juli 1977, 10.