Materialien 1980
Entgangene Wirkung
CSU
Zivile Greifkommandos streiften nachts durch München, um CSU-Wahlplakate vor Beschädigung zu schützen. Wer sich an Strauß-Bildern zu schaffen machte, musste mit Hieben rechnen.
Der Münchner Chemiestudent Wilhelm Galow, 23, wollte „dem Kandidaten eine kleben“. Gegen Mitternacht, auf dem Pariser Platz im Stadtteil Haidhausen, pappte er im Vorbeigehen rasch ein „Stoppt Strauß“-Schildchen auf ein Wahlplakat des CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß.
Kaum war der Frevel vollendet, da umringten plötzlich vier junge Männer den Studenten. Einer versetzte ihm einen Stockhieb auf den Kopf, dann wurde Galow in einen roten Opel Rekord ge-
schoben und zum Polizeirevier 12 gebracht. Die Beamten nahmen eine Anzeige wegen Sachbeschä-
digung und die Personalien des Täters auf.
Es geschah öfter mal in den letzten Wochen, dass motorisierte Greiftrupps mit Funkausrüstung speziell im Münchner Osten nachts Jagd auf Beschmutzer von Plakaten der CSU machten. Am Orleansplatz stürzten sich zwei Männer mit Schlagstöcken auf eine 28jährige Stenographin, die sich mit einem Lippenstift an den Kanzlerkandidaten herangemacht hatte; als Passanten auftauch-
ten, drehten die Häscher allerdings ab. Ein sechs Mann starkes Fangkommando schnappte sich in der Lucile-Grahn-Straße vier Lehrlinge, die an einem Strauß-Plakat „aus purem Zeitvertreib he-
rumgepopelt“ hatten (so eine Beteiligte), und führten sie der Polizei vor.
Doch in allen Fällen bestritt die Partei des beschädigten Vorsitzenden, etwas mit der schlagkräfti-
gen Plakatwache zu tun zu haben. Zwar sei, so ein CSU-Wahlkampfleiter, der „Zorn unserer Mit-
glieder verständlich“, da „unsere Plakatschäden in die Tausende“ gingen, aber: „Wir haben nie-
manden beauftragt.“
So direkt sicher nicht. Doch immerhin suchte die CSU in einem internen „Wahlkampf-Telegramm“ des Wahlkreises München-Ost „zum Schutz unserer Plakate“ Hilfswillige für einen „vor allem nächtlichen Streifendienst“, die sich „bitte unter der Tel. Nr. 93 60 55 melden“ sollten. Der An-
schluss gehört dem CSU-Wahlkreisbüro, dessen Leiter Stefan Albat aus den Ergebnissen der Wachaktion nun anscheinend auch noch Kapital schlagen wollte.
Den aufgegriffenen Lehrlingen beispielsweise schickte Albat auf Briefpapier seines Bundestagsab-
geordneten Rudolf Kraus zunächst eine versöhnliche Mitteilung: Man verzeihe ihnen ihre „jugend-
lichen Übermutshandlungen“ („Wir wollen keineswegs Ihren zukünftigen Lebensweg durch Einträ-
ge im Strafregister beeinträchtigt wissen“) und ziehe die Strafanträge zurück; dafür erhoffe er sich, die Übermütigen „zu einem klärenden Gespräch … bei einer Tasse Kaffee begrüßen zu dürfen“.
Als die Lehrlinge nicht Kaffee trinken wollten, erhielten sie von Wahlkampfleiter Albat via Rechts-
anwalt eine saftige Schadensersatz-Forderung über 435 Mark — davon allein 400 Mark für „die zu Ihrer Habhaftmachung angelaufenen Bewachungskosten“.
Noch kräftiger — mit 542,20 Mark plus 58,58 Mark Anwaltskosten — langte die CSU bei Student Galow hin, dem eine detaillierte Rechnung zuging. Bei ihm wurden die „anteiligen Bewachungsko-sten zur Habhaftmachung des Täters“ sorgsam aufgeschlüsselt. „Für 8 Mann und 4 Kfz, für 6 Stun-den Bewachung Nachtdienst à Person DM 25, — pro Stunde“ — machte 1.200 Mark, wovon Galow 200 Mark bezahlen sollte. Dazu berechnete die geschädigte Partei 48 Mark Kilometergeld und 125 Mark fürs „Herstellen eines Beweissicherungsfotos durch einen Fotografen zu Nachthonorarsät-zen“. Und schließlich veranschlagte die CSU auch die ihr „entgangene Werbewirkung“ — genau 100 Mark.
Derlei Rechnungen gedenken indes weder der Student noch die Lehrlinge noch weitere Greiftrupp-Geschädigte zu begleichen, die ihrerseits mit Strafanzeigen wegen Körperverletzung und Nötigung gegen die rabiaten Fänger vorgehen wollen. Ob die aber belangt werden können, steht in Frage.
Denn die Strafprozessordnung gibt jedermann das Recht, Straftäter auch bei Bagatelldelikten vor-
läufig festzunehmen und zur Polizei zu bringen; Voraussetzung ist nur, dass ein Täter auf frischer Tat ertappt wird und Fluchtgefahr besteht. Ob dabei die Anwendung von Gewalt in angemessenem Verhältnis zur Tat oder zu der vom Täter ausgehenden Gefahr steht, muss im Einzelfall geprüft werden.
Und Zeugen braucht’s noch dazu. Im Fall Galow jedenfalls hat ein Bürger den Mann mit dem Knüppel und den Fahrer des Opel Rekord (Kfz-Kennzeichen: M-EX 2415) erkannt und inzwischen auch angezeigt.
Der Spiegel 39 vom 22. September 1980, 133 f.