Materialien 1982
Empörend und deprimierend
Franz Schönhuber: »Ich war dabei«, Langen-Müller Verlag, München 1981, 368 Seiten, DM 34,-.
Er ist – inzwischen wohl mit der dritten Auflage – dabei, weil er »dabei war«: im Kaufhof, wo er als Bayerns »populärster Journalist« seine Kriegs- und Nachkriegs-Erinnerungen signiert, wie bei der Bestsellerliste der »Deutschen Nationalzeitung«, wo er Platz eins einnimmt. (»Lesen Sie selbst die aufsehenerregenden Lebenserinnerungen, die in einer heute fast unvorstellbaren Wahrheitsliebe viele Tabus zerbrechen lassen.«) Mit seinem auto-biographischen Buch wollte Franz Schönhuber – 1923 als Sohn eines Metzgers im bayerischen Trostberg geboren, heute stellvertretender Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens – wohl den weiteren Aufstieg zum Chefredakteurssessel unaufhaltsam machen: es gab da Gerüchte, – nun sollte die ganze Wahrheit an den Tag kommen. Sie kam an den Tag. Als Skandal. Natürlich ist damit nicht gemeint, dass Schönhuber mit neunzehn Jahren als Kriegsfreiwilliger zur »Leibstandarte SS Adolf Hitler« ging. Als Jugendsünde sollte man dies freilich auch nicht gerade bezeichnen; man musste schon ein sehr überzeugter Nationalsozialist sein, wenn man zu dieser Zeit, mitten im Krieg, der »Elitetruppe« sich »verschwor«. Dennoch: Wer kann heute noch unterscheiden, was Täterschaft und was Verführung war. Fatal jedoch (vielleicht auch symptomatisch), wenn 1981 ein führender Medienmann unter Missachtung historischer Wahrheit eine plumpe, an Rechtskreise sich anbiedernde Rechtfertigung der Waffen-SS vornimmt, ihr ein »Ehrenmal« setzt, als habe sie mit den NS-Verbrechen nichts zu tun gehabt. Man mag davon absehen, dass auch ein direkter Zusammenhang zwischen der Waffen-SS und den Konzentrations- wie Vernichtungslagern bestand: Im April 1945 waren etwa 30.000 bis 35.000 Mann der Waffen-SS dort als Bewachungspersonal eingesetzt, – als Journalist müsste Schönhuber jedoch inzwischen aus zeitgeschichtlicher Forschung erfahren haben, dass gerade diese Truppe, die von einem fanatischen Hass gegenüber »Untermenschen«, wie Juden, Slawen, Bolschewisten, beseelt war, mit ihrer »Kampfmoral«, deren rhapsodisches Lob das Buch als roter (man muß besser sagen: brauner) Faden durchzieht, den NS-Unrechts-Staat in seiner abgründigen Perfektion absicherte.
Für den Ich-war-dabei-Publizisten ist die SS lediglich eine Truppe gewesen, in der es hart, aber herzlich, rau, aber ehrlich zuging. Von Verbrechen habe er nichts gehört, nichts gemerkt. Was subjektiv durchaus stimmen mag (weil man nicht sah, was man nicht sehen wollte), wird heute noch so vorgetragen, als handle es sich um objektive Tatbestände.
In der Waffen-SS gab es keine sexuellen Tabus, stattdessen in Umrissen, »was man heute Sexualerziehung nennt«. (» >Aufstehen! Raustreten zum Schwanzappell!< Da standen wir nun in einer Reihe, nackt, und der Spieß ging von Rekrut zu Rekrut, ließ sich den Penis zeigen, da und dort die Vorhaut zurückschieben, um zu sehen, ob – wie bei einem Gewehrappell – kein Stäubchen im Lauf war.«)
Die Waffen-SS behandelte nach Niederschlagung des Warschauer Aufstandes die Gefangenen korrekt. (»Der Befehlshaber der Waffen-SS in Warschau, von den Bach-Zalewski, salutierte, als sich der polnische Oberbefehlshaber, General Bor-Komorowski, ergab. Beide wechselten einen Händedruck. Von diesem ritterlichen Akt gibt es viele Bilder.«)
Von dem Führer der wallonischen Waffen-SS, Leon Degrelle, sagte Hitler: hätte er einen Sohn, er müsste so sein wie dieser … war nicht nur tapfer, sondern auch tiefgläubig … ausgestattet mit faszinierender Rednergabe …
»Die schlimmste Bewährungseinheit war die Brigade Dirlewanger. Dieser Mann, obgleich militärisch tapfer, muss ein Galgenvogel gewesen sein, wie ihn François Villon beschrieben hat.«
Das Buch ist voll von solchen Genreszenen; sie sind typisch: über nationalsozialistische Abgründigkeit setzt sich Schönhuber behende, nämlich anekdotisch, hinweg. Breit ausgemalt werden auf acht Seiten stattdessen alliierte Ungerechtigkeiten der SS gegenüber, – etwa die »Schandtat von Bad Reichenhall«: die Erschießung von elf Angehörigen der französischen SS-Division Charlemagne durch französisches Militär. Die Alibi-Sätze, mit denen der Autor sich vom Nationalsozialismus absetzt, sind dagegen sehr kurz; die Tatsachen der NS-Verbrechen fehlen, – so schont man die Täter.
Sehr ausführlich sind auch die Passagen, in denen von der »Tragik« der Waffen-SS die Rede ist, etwa das Gespräch mit SS-General Steiner (»Wir unterhielten uns lange und eindringlich über Sinn und Idee der Waffen-SS, ihr Schicksal, ihre Tragik«). Eine »Nation Europa« stellte die Waffen-SS dar; aber es hat nicht sein sollen. Schönhuber zitiert das Vermächtnis des geistigen Wegbereiters des französischen Faschismus, Drieu la Rochelle, und identifiziert sich weitgehend mit ihm: »Ja, ich bin ein Verräter. Ja, ich habe mit dem Feind zusammengearbeitet. Ich habe meine Intelligenz dem Feind angeboten. Es ist nicht meine Schuld, dass dieser Feind nicht intelligent war. Ja, ich bin kein beliebiger Patriot, kein Nationalist mit Scheuklappen; ich bin ein Internationalist. Ich bin nicht nur Franzose, sondern ein Europäer. Auch ihr seid es, bewusst oder unbewusst. Aber wir haben gespielt und ich habe verloren.«
Von der Trauerarbeit, die für die Opfer der faschistischen Europa-Idee zu leisten wäre, ist in Schönhubers Buch nicht die Rede. Einer, der in diesem Sinne dabei war (Arno Hamburger), hat denn auch mit einem offenen Brief die notwendige Antwort auf solches Defizit gegeben: »Wie Sie bin ich Jahrgang 1923 … >Ich war dabei< bei den 100.000en jüdischen Bürgern in Deutschland, die mit der Machtergreifung durch die braune Pest als Untermenschen abqualifiziert wurden … 1933 vom Gymnasium gewiesen, geschlagen, verhöhnt, gedemütigt … fand ich eine Lehrstelle in einem jüdischen Betrieb als Elektrolehrling. Bis zur >Kristallnacht<. Da haben nämlich Leute in brauner und schwarzer Uniform diesen Betrieb in einen Trümmerhaufen verwandelt … Im August 1939 wanderte ich dann aus. Allein. Nach Palästina. Wissen Sie, wie es ist, als 16-jähriger Junge erstmals ganz allein zu sein, ohne Eltern, ohne ein Wort der Landessprache verstehen zu können? Wissen Sie, was es heißt, vom Tage der Auswanderung an keine Nachricht von den Eltern zu bekommen, im Ungewissen zu sein, ob sie überhaupt noch leben … Ich war dann einer der ganz wenigen, der seine Eltern wieder fand … Nicht mehr am Leben war mein Onkel Siegfried. Er wurde in Mauthausen erschossen. Von der SS. Beileibe nicht von der Waffen-SS. Sagen Sie. Mir ist das egal! Nicht mehr am Leben war meine Tante Cato. Sie starb mit meinen Großeltern in Sobibor. Nicht mehr am Leben war meine Tante Ida. Sie kam nach Izbica in Polen. Von dort kehrte nicht ein einziger zurück. Aber Sie zeigen uns ja, wie ehrenhaft es in Polen zuging. Wie sich Sieger und Besiegte in Warschau die Hände reichten! …« Auf dem Hintergrund solcher, hier am Schicksal einer Familie wiedergegebenen, historischen Wahrheit wird die heuchlerische Unverfrorenheit dieses Buches deutlich. »Versöhnung«, wie sie Schönhuber fordert, ist nicht Aufarbeitung von Vergangenheit, sondern stellt sich dar als eine jede moralische Trennschärfe verkleisternde Geschwätzigkeit, die sich offensichtlich von allem, was an Furchtbarem geschah, nicht aus ihrer nationalen Ruhe bringen lässt. Schönhuber entdeckt Hoffnungsschimmer und fasst Mut (damit enden die Lebenserinnerungen), als er in dem Buch eines H.W. Neulen (»Eurofaschismus – Europas verratene Söhne«) liest, dass in Flandern sich jährlich am 1. Juli die flämischen Veteranenorganisationen treffen und Widerständler wie ehemalige SS-Freiwillige gemeinsam ihrer Gefallenen gedenken. Diese Menschen hätten begriffen, worum es geht. »Sie wollen Versöhnung, weil sie erfahren haben, wozu Hass und Hybris fähig sind.« Täter und Opfer, – am Ende kein Unterschied!
Dementsprechend hasst Schönhuber, der sich selbst als »Steppenwolf« etikettiert und zusammen mit den Angehörigen der europäischen Waffen-SS den letzten echten Söhnen des Kriegsgottes zurechnet, »opportunistische Kakerlaken, Politik-Windsurfer«, letztlich alle diejenigen, die »reeducation« betrieben haben oder betreiben. Wie er überhaupt eine abgrundtiefe Abneigung gegenüber dekadenten Linksintellektuellen hat, zumal sie verweichlicht und unsportlich sind. »Ich schaute ihn an, ein glattes Gesicht, trotz seiner etwa 60 Jahre. Hier hatte der Griffel des Schicksals keine Linien hineingegraben. Das schüttere blonde, mit silbernen Strähnen durchsetzte Haar verstärkte noch den Eindruck trister Farblosigkeit. Der Mann kam überall durch, der wird immer durchkommen, der wird immer auf der richtigen Seite stehen. Er wusste, wie man Menschen behandelt, klein macht, auf Distance hält. Selbst seine Zimmertemperatur, die einen stets frösteln ließ, war Teil seines Führungsstils. Mein Blick glitt an seiner Figur herunter. Er hatte die Beine übereinander geschlagen, ein Zipfel seiner langen Unterhose war über die Socken gerutscht. Plötzlich tauchte in meinem Innern die absurde Frage auf, wie’s der wohl im Bett mit seiner Frau treibt, wenn überhaupt. Ich hörte gar nicht mehr zu, was er weiter sagte mit seiner einschläfernden, leicht schwäbelnden Stimme. Ich dachte: >Ach, leck mich doch …!<«
Eine Szene wie diese macht das Buch »lesenswert«: Der Verfasser legt sich ungewollt auf die Couch und offenbart die Obsessionen des Kleinbürgers, dieses autoritären Phänotyps, dessen Spießer-Ideologie weitgehend den Nationalsozialismus trug.
Tristem, muffig-bigottem Milieu entstammend, will der junge Schönhuber ausbrechen; die NS-Elite-Formation der Waffen-SS bietet sich an; später, nach Kriegsende, ist es die britische Armee, in der er als Angehöriger einer »Labour Unit« reüssiert; schließlich sind es Zeitungen und Rundfunk, in denen er sich nach oben »boxt«. Was der Karriere nützt, wird verinnerlicht: er ist links, dann rechts, – neuerdings »liberal-konservativ«. Offensichtlich gehören zur Karriere auch die Ehen, – die geschmacklose Art, mit der dieser Privatbereich ausgebreitet und auf Bildtafeln auch noch illustriert wird, lässt das vermuten: Die erste Ehe mit einer ungarischen Jüdin (»… sah aus wie eine Norwegerin, blond und blauäugig, braungebrannt und sportlich«), die zweite mit einer Münchener Rechtsanwältin, auch SPD-Stadträtin, die nach einem Jahr ihr Mandat niederlegt und aus der Partei austritt. Dieser Kleinbürgersohn, der sich als Delegierter seiner Eltern aufmacht, die große Welt zu erobern, schafft es nie, die ihm inhärente Mediokrität zu überwinden; er kompensiert den Mangel an Selbsterkenntnis mit einem manischen Ehrgeiz, der ihn ständig zum Gipfelglück antreibt: Er will und muss der Beste sein. Er will und muss die Welt unter sich liegen sehen. Wenn Gefahr ist, dass andere doch feineren Geschmack, bessere Anlagen, bessere Kenntnisse, bessere Chancen haben, wurmt es den gernegroßen Franz bis in die Tiefen seiner Seele. Der »Milieusprung« gelingt diesem Naturburschen – »jetzt red’ i« – eben nie ganz, nur bis zur Schickeria. Mag auch der Erzbischof von München und Freising ihn gleichermaßen schätzen wie der bayerische Ministerpräsident.
Dieser Endfünfziger, sportiv, mit leicht braunem Teint, der die Aura des rasanten Skifahrers wie kühnen Bergsteigers ausstrahlt – mit einem Touch von Treuherzigkeit, der sich weder die Kollegen von der Presse noch die Politiker verschiedenen Couleurs entziehen können, wobei er, als mutiger Opportunist, sie wohl auch durch praktizierten Pluralismus an sich bindet (in seinem Einflussbereich kommt nicht nur die verwaschene Mitte zu Wort!) -, dieser »echt deutsche Kämpfer« mit der Ausstrahlungskraft eines herben Frischwärts, Weinkenner, ubiquitär, muss sich vor allem stets beweisen, dass er der Held aller Frauen ist. Der Leistungsdruck, der auf dem Kleinbürger lastet, wird hier besonders deutlich: Auch im Bett der Beste! Dem slawischen Charme und der starken erotischen Ausstrahlung der Polinnen folgt das bretonische Techtelmechtel (»Françoise trug ein dünnes, luftiges Sommerkleid. Sie hatte keinen Büstenhalter an. Unter dem Stoff zeichneten sich deutlich die Brustwarzen ab«), dann die flämische Krankenschwester (»blond, blauäugig, eine ebenmäßige Figur …«). Dann in Schleswig die Serviererin Melitta (»… von einer starken erotischen Ausstrahlungskraft«), dann Nora (»… nicht nur im Bett war Nora meine Lehrmeisterin …«). Und so fort. Als mit Genehmigung der Militärregierung bei Schönhuber die SS-Tätowierung wegoperiert ist, steht auch der demokratischen erotischen Karriere nichts mehr im Wege. Die Narbe hat ihm freilich »im Bett mit einer Frau nicht selten Kopfschmerzen gemacht. Nicht immer hatte ich Lust und Laune, die Schäferstündchen mit weltanschaulichem Unterricht zu belasten. So war’s halt, von Ausnahmen abgesehen, immer ein >operierter Abszess<. Mit dieser Erklärung gaben sich sogar Ärztinnen zufrieden, nur eine meinte: >Das hätte man auch besser machen können<, womit sie recht hat.« Ein längst verheilter Makel. Keine Wunde bleibt in dieser »Rechtfertigungsschrift« offen, von einem Trauma keine Spur. Nichts als Glätte.
Eine Dummheit macht einmal nicht nur der Klügste (von einem solchen kann in diesem Falle keine Rede sein), sondern auch der Geschickteste. Und geschickt ist er. Doch mit diesem Buch hat Franz Schönhuber sich wohl nicht den Weg zum Chefredakteur des bayerischen Rundfunks freigeschrieben. Er hat die »Dekadenz« der Gegenkräfte überschätzt, – hat geglaubt, wenn er redt’, wird keiner aufmucken. Aber einen, der so degoutant ist, lassen auch Konservative (soweit sie Stilempfinden haben) fallen. Das hätte er, der Verächter der Intelligentsia, doch eigentlich wissen müssen. Nun schreibt er an einem neuen Buch: »Die Antwort«. Dem Manne kann wohl nicht mehr geholfen werden.
Hermann Glaser
Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik 2 vom Februar 1982, 67 ff.