Materialien 1982

Im Endeffekt wurscht

Schmierereien

Weil er Nazi-Propaganda übermalte, fordert die Stadt München von einem Strauß-Gegner 3.600 Mark Schadensersatz.

Für Thomas Koch, Pressesprecher der Stadt München, sind „alle Schmierer gleich“. Was immer sie an städtischen Gemäuern kritzeln oder sprühen, sei „im Endeffekt völlig wurscht“.

Auch nach Überzeugung von Münchens Stadtschulrat Albert Loichinger bleibt es „egal, was einer malt“. Der Schulrat entschlossen: „Wer bei uns erwischt wird, der wird auch zur Kasse gebeten, und zwar ganz unabhängig von der politischen Gesinnung.“

Zahlen soll infolge solcher Rechtsauslegung der Druckereihelfer Christian Lehsten, 34. Das Münchner Schulreferat schickte ihm eine Malerrechnung über 3.593,16 Mark, zahlbar „innerhalb der nächsten drei Wochen“ an die Stadtkasse. Begründung: „Sachbeschädigung durch Schmierschriften“.

Dabei hat Lehsten, Mitglied des „Anti-Strauß-Komitees“, gemeinsam mit Gesinnungsgenossen neonazistische Schmierereien an einer Münchner Schule beseitigt. Hetzparolen wie „Rotfront verrecke“ und „Ausländer raus“, die in riesigen Buchstaben an der Außenwand der Wörth-Schule im Münchner Stadtteil Haidhausen prangten, wurden in der Pause unter dem Beifall der Schüler mit weißer Farbe übertüncht – nach Darstellung des Münchner Schulreferats eine „rechtswidrige“ Aktion. Der Rektor alarmierte die Polizei.

Weil Lehsten noch mit roter Farbe die Worte „Stoppt die Ausländerhetze“ auf die ohnehin verschmierte Schulwand sprühte, beging er, so das Schulamt, „eine zum Schadensersatz verpflichtete Handlung“. Die Behörde ließ nur wenige Tage später über 300 Quadratmeter Außenfassade neu verputzen, darunter auch unbemalte Gebäudeteile.

Vorher freilich hatte es die Stadt weniger eilig gehabt. Über sechs Wochen, bis zu Lehstens Selbsthilfeaktion, blieben an der Haupt- und Grundschule, die zu knapp einem Drittel von Ausländerkindern besucht wird, die ausländerfeindlichen Parolen stehen. Rektor Franz Schulz beschwichtigte empörte Anrufer mit dem Hinweis, dass er die Schmierereien „unverzüglich“ an das zuständige Baureferat weitergeleitet habe, die Beseitigung aber „aus Witterungsgründen“ noch nicht möglich gewesen sei.

Der Gedanke, das rechtsradikale Gesudel wenigstens provisorisch zu übermalen, kam Rektor Schulz nicht. „Ich bin nicht befugt“, erklärte er, „eigenhändig Veränderungen an der Fassade vorzunehmen.“

Bei anderer Schmiergelegenheit ist in München schon schneller und unbürokratischer reagiert worden. Als kurz vor der Bundestagswahl 1980 nachts der Slogan „Stoppt Strauß“ an die Umfassungsmauer des Bayerischen Landtags gesprüht wurde, hatten Handwerker den Schaden schon am nächsten Morgen behoben.

Fast ein Jahr dagegen, kritisierten Schüler, wurde am städtischen Berufsbildungszentrum Riesstraße die Aufschrift „Hitler SS“ geduldet – auch nach Meinung von Olaf Graehl, Stadtdirektor beim Schulreferat, „viel zu lange“. Die säumigen Reaktionen auf die braune Propaganda führten jetzt zum Protest. 15 Schüler, die Anfang Juli die Chefetage des Schulreferats stürmten, forderten „die sofortige Beseitigung der Nazi-Schmierereien an Münchner Schulen“.

Ein verständliches Begehren. Weil an den Bildungseinrichtungen der bayrischen Landeshauptstadt die neonazistischen Aktivitäten ebenso zugenommen haben wie an anderen bundesdeutschen Schulen (SPIEGEL 27/1982), gehören Hakenkreuzschmierereien und rassistische Parolen an Klassenzimmerwänden beinahe schon zum Schulalltag.

Stadtdirektor Graehl würde es deshalb für sinnvoll halten, „jedem Hausmeister Farbtopf und Pinsel in die Hand zu drücken“. Dann könnte man, hat sich Graehl überlegt, jede Hetzparole „ruck, zuck übermalen“.

An der Geldforderung gegen Christian Lehsten, der wenigstens eine Schule vom rechten Schmirakel befreite, hält die Stadt München trotzdem fest. „Da sollen“, vermutet Lehstens Rechtsanwalt Hartmut Wächtler, „zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden.“ Neben der Begleichung des Fassadenanstrichs gehe es „um den durchsichtigen Versuch, einen unbequemen Strauß-Gegner finanziell zu treffen und damit für die Zukunft mundtot zu machen“.

Nach Auffassung des Anwalts sind jedoch die rechtlichen Voraussetzungen für eine Schadensersatzforderung nicht erfüllt. „Der Zustand der beschmierten Wand“, argumentiert der Jurist, „war nach der Aktion nicht schlechter als zuvor.“ Selbst Stadtdirektor Graehl erkennt inzwischen: „Der hat ja nur eine Leiche totgeschlagen.“

Lehsten, der „keinen Pfennig“ überweisen will, ist indes offensiv geworden. „Eigentlich müsste die Stadt mich bezahlen“, findet der Maler, „denn ich habe ihr schließlich die Arbeit abgenommen.“


Der Spiegel 30 vom 26. Juli 1982, 65.