Materialien 1983

Justiz ... oder Haussuchung nach Brecht

Diese drei Punkte in der Überschrift sind kein graphisches Versehen, sie sind das Wichtigste, das Gelbe vom Ei in einem bayerischen Justiz-Delirium und stehen einzigartig als Ersatz für einen aktuellen Satz von Bertolt Brecht, der den Herrschenden übel in die Lügen fährt:

Wenn die Oberen von Frieden reden, weiß das gemeine Volk, dass es Krieg gibt.

Wenn die Oberen Büttel von Gerechtigkeit reden, läuft es unter anderem auf lustige Beschlüsse des Ermittlungsrichters beim Amtsgericht München heraus. Auf Grund des unten abgedruckten klassischen satirischen Werkes – hier darf die Satire wirklich alles -, das sich allerdings mit juristischen Floskeln sowohl tarnt wie ausbaut, wurden am 21. Oktober 1983 zwei Wohnungen von Mitgliedern des Anti-Strauß-Komitees von jeweils fünf stadtbekannten Figuren der Politischen Polizei durchsucht.

Zehn erwachsene Polizisten auf der Suche nach einem Flugblatt, das vier Tage unter hektischer Beobachtung noch normaler Polizisten in der ganzen Stadt verteilt worden war. Doch nun, nach Tagen der Besinnung, schritt am Freitag die zehnköpfige Hydra als geballte Staatsmacht in ihr Recht hinein. Es gibt Dinge, die man nur zitieren kann, wo jedes polemische Beiwerk stört, wo Argumentation gegen den Wahn sich als waffenlose Ohnmacht abmeldet oder lächerlich wird wie das Objekt. Die Oberen reden und lassen reden und lassen Reden ab, und wir einfachen Leute drucken das Geröchel der Büttel einfach ab, denn deren Ausdruck ist bereits die Höhe; die untödliche Lächerlichkeit, solange nicht jeder lacht, den Kopf schüttelt kurz vorm Holocaust jeder Vernunft.

Ermittlungsverfahren gegen
1. Heinz Jacobi
2. Christian von Lehsten
__wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten_

_Beschluss

Die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten Heinz JACOBI im Anwesen Waltherstraße 28, 8000 München, einschließlich sämtlicher Nebenräume (Keller, Speicher, Garage o.ä.) sowie etwaiger dem Beschuldigten gehörender oder von ihm benutzter Kraftfahrzeuge nach Exemplaren des Flugblattes
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„Strauß hetzt am 22.10. um 12.00 Uhr auf dem Marienplatz …“

(Und das sind die ominösen drei Punkte, die das so sehr anwendbare Brecht-Zitat ersetzen, denn ansonsten war nur eine Graphik zu sehen, die eine fröhliche Umzingelung des bekannten Faschistenfreundes durch eine Menschenkette zeigte.)

Lasst Euch diese Provokation nicht gefallen!
Umzingelt Strauß auf dem Marienplatz!

ANTI-STRAUSS-KOMITEE c/o H. Jacobi, Waltherstr. 28, 8000 München 2, V.i.S.d.P. Chr. Lehsten, Isartalstraße 24, 8000 München 5“
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und nach Platten, Formen, Drucksätzen, Druckstöcken, Negativen oder Matrizen, die zur Herstellung des Flugblattes gedient haben, sowie nach Beweismitteln, die Aufschluss darüber geben, dass der Beschuldigte am Verfassen oder Herstellen dieses Flugblattes beteiligt war, sowie die Beschlagnahme dieser Gegenstände und der Flugblätter wird angeordnet, sofern sie nicht freiwillig herausgegeben werden.

Gründe:

Für den 22.10.1983 hat die CSU eine Kundgebung zu dem Thema „Nachrüstung – Frieden in Freiheit – Ja zur Sicherheit“ angemeldet, die ab 12.00 Uhr auf dem Marienplatz in München stattfinden soll und bei der als Redner u.a. der Bayerische Ministerpräsident und Vorsitzende der CSU Dr.h.c. Franz Josef Strauß sprechen wird. Demgegenüber fordert das gegenständliche Flugblatt, das sich auf diese Kundgebung bezieht, dazu auf, diese nichtverbotene Versammlung im Sinne von § 21 VersammlG zu stören.

Das Flugblatt hat demnach einen solchen Inhalt, das seine Verbreitung in Kenntnis seines Inhalts den dringenden Verdacht eines Vergehens der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten gemäß § 111 StGB i. V. m. § 21 VersammlG begründet würde. Damit liegen die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme dieses Flugblattes vor. Der Beschuldigte Jacobi bekennt sich auf diesem Flugblatt als dessen Urheber oder Verfasser, so dass ihm, nachdem das Flugblatt bereits in der Öffentlichkeit verbreitet wurde, ein Vergehen nach § 111 StGB i. V. m. § 21 VersammlG zur Last liegt.

Es ist zu erwarten, dass bei der angeordneten Durchsuchung die eingangs bezeichneten Gegenstände, die der Beschlagnahme unterliegen, aufgefunden werden

§§ 94, 98, 102, 105, 111 b, 111 c, 111 m, 111 n, 162 StPO.

Dr. Graf
Richter am Amtsgericht

Nichts wurde gefunden, denn alles war verteilt in der Nähe des Polizeipräsidiums. Nach dem Umzug wollte man meine neue Wohnung kennenlernen, vergaß den danebenliegenden konspirativen Speicher, zeigte mir „KHK Richter, den Dieb“ und freute sich der gefürchteten Stoppt-Strauß-Schilder im Keller.

Das Gedicht des Dr. Graf muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, sich an Dutzende Verfahren erinnern, an Hunderte von Schriftstücken einer munteren Justiz, also Schwanengesänge der untergebutterten Vernunft und an den Satz des großen Karl Kraus: „Wenn man die Anarchisten der Gesetzlichkeit am Werke sieht, erscheinen einem die Bombenleger in milderem Licht.“ Und dann noch einfach Händchen halten in Menschenketten und auf den Weltuntergang warten, in Angst und Gethsemane-Gebeten?

Auf die realsatirische Idee, aus Strafgesetzbuch und Strafprozessordnung den menschenfeindlichen Unfug wortwörtlich nachzudrucken, wird verzichtet, sonst mahlten prompt wieder die Mühlen der „Staatsverunglimpfung“ (mein Lieblingsdelikt), der „Beleidigung durch Schmähkritik“ (das häufigste Delikt, an FJS) oder endlich Verfassungs- inclusive Hochverrat in Schnapseinheit mit terroristischer Verbrüderung gegen den spätkapitalistischen Wahn, oder so ähnlich, auf Basis der Gedankenwelt von juristischen Helfern präsumptiver Massenmörder.

Diese Paranoia-Gesellen sind meinem sonnigen Gemüt glücklicherweise so fremd wie die finsteren Mienen geübter Menschenverfolger im Dienste eines Kapitals, das inzwischen auch nicht mehr ein noch aus weiß. Aber dieser Pleitebeschiss aus korrupten Grafen, dummen Doctores juris und anderem Gesindel wabert froh vor sich hin, heckt Paragraphen aus und ihre frohe Anwendung, füllt Papier und durchsuchte Wohnungen und fühlt sich wohl.

Dieses Verfahren verlief im Sande der Justiz, andere endeten weniger glimpflich.


Der Bote Nr. 11. Der Martin-Greif-Bote. Die politisch-literarische Zeitschrift, München 1986, 15 ff.

Überraschung

Jahr: 1983
Bereich: CSU

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