Materialien 1983
Ein Postamt in München
Sitzung einer Arbeitsgruppe der Friedensinitiative München Nord. Thema: Vorbereitung der Ak-
tionswoche im Stadtgebiet. Die Köpfe rauchen, auf dem Tisch zufällig eine Reklame der Bundes-
post. „Schicken wir die Raketen doch einfach per Post an Reagan zurück“, witzelt ein Friedens-
freund. Einiges Hin und Her, dann ist aus dem Witz die Idee einer Aktion geworden. Ein Besuch im Postamt soll Teil des Auftakts der Aktionswoche werden.
Eine Rakete wurde gebastelt. säuberlich als Paket (natürlich noch deutlich als Rakete erkennbar) verpackt. Darauf der Adresszettel: „Vorsicht, Lebensgefahr! Raketensendung an die Bundesrepu-
blik Deutschland“. Als Absender war vermerkt: „US-Präsident Ronald Reagan, Weißes Haus, Washington/USA“.
Samstag, 15. Oktober, vormittags, Postamt an der Korbinianstraße. An allen Schaltern Schlangen. Die Spitze der Demonstration drängt in die Schalterhalle, einer trägt vorsichtig die Rakete voran. Ober Megaphon wendet sich ein Sprecher an die Postkunden: „Mr. Reagan schickt uns Raketen für den Atomkrieg. Wir wollen sie nicht. Ist hier jemand, der sie haben will, dann kann er sie bekom-
men. Sonst schicken wir sie an Reagan zurück.“
„Ja, zurückschicken“, ruft eine junge Frau. Ein Interessent für die Rakete meldet sich nicht. Der Beamte am Paketschalter ist irritiert, wortlos verschwindet er in die hinteren Büros. Wir warten. Nach einigen Minuten kommt er zurück und erkundigt sich sachlich, ob die Rakete per Luftpost oder als Normalpaket befördert werden soll. Wir wählen das billigste Verfahren. Dann geht alles seinen amtlichen Gang. Auslands-Paketkarte und Zollerklärung ist auszufüllen, und für 12,60 DM geht die Rakete an das Weiße Haus zurück. Vom Publikum im Schalterraum wird unsere Erklärung „Wenn alle sich wehren, muss Mr. Reagan auch die echten Raketen behalten“ mit Beifall bedacht.
kürbiskern. Literatur, Kritik, Klassenkampf 1/1984, 8 f.