Materialien 1983

Kabelpilotprojekt weiter umstritten

Diskussion mit Rudolf Mühlfenzl

Zu heftigen Wortgefechten kam es bei einer Diskussionsveranstaltung mitten im Verkabelungs-
gebiet Neuperlach, bei der Rudolf Mühlfenzl, Direktor der Pilotgesellschaft für Kabel-Kommuni-
kation, den aktuellen Stand des Projekts erläuterte und darüber hinaus nach der Sozialschädlich-
keit, Arbeitsplatzvernichtung und den auftauchenden Datenschutzproblemen befragt wurde.

Fest steht bis jetzt: Das vor sieben Jahren gegründete Pilotprojekt startet nach dreimonatiger Ver-
schiebung nun am 1. April 1984. 60.000 Haushalte im Pilotgebiet können dann, sofern sie sich an das Kabel anschließen ließen, 18 Fernsehprogramme und 24 Rundfunkkanäle empfangen. 10.400 Teilnehmer haben schon für den einmaligen Kabelanschluss der Post 250 Mark (oder die Hälfte, wenn innerhalb von drei Monaten die Entscheidung für einen Anschluss fiel), bezahlt. Dazu kommen bei einem Fernsehgerät, das älter als vier Jahre ist, noch einmal 200 Mark für ein Um-
setzersystem, „Konverter“ genannt. Regelmäßig kassiert werden die monatlichen Postgebühren (6 Mark), für den „Konverter“ (2,50 Mark) und 10 Mark im Monat für die neuen Programme.

Ein betroffener Bürger fragte, was sei, wenn der Vermieter sein Haus verkabeln ließe und die „normale“ Hausantenne abgebaut würde. Wolle er wie bisher nur die üblichen Programme empfangen, sei er quasi auf das Kabel angewiesen und müsste die Anschlussgebühren berappen. Wie Hannemor Keidel, die Sprecherin der Bürgerinitiative gegen Kabelkommunikation (BIKK) erläuterte, liege es derzeit noch bei den Gerichten, ob der Mieter sich in solch einem Falle dem Hausbesitzer beugen müsse.

Kontroverse Stellungnahmen löste die Frage „Was bedeutet Kabelfernsehen für unsere Kinder“ aus. Während der evangelische Pfarrer Eberhard Przemeck vor den negativen Folgen des „Total-
fernsehens“ eindringlich warnte („Für Kinder bedeutet, nach Untersuchung aus Amerika, Fern-
sehen einen Rückschritt in der Entwicklung“), vertrat Mühlfenzl die Ansicht: „Eltern müssen über den Fernsehkonsum ihrer Kinder entscheiden. Das ist keine Rolle für den Staat.

Die Hypothese des DGB-Sprechers Peter Sander, dass die neue Technologie der neuen Medien auf lange Sicht Arbeitsplätze wegrationalisiere, widersprach Mühlfenzl. Für wegfallende Arbeitsplätze würden neue entstehen, das habe die Entwicklung der letzten Jahre gezeigt, betonte der Direktor der Pilotgesellschaft.

Nach Auffassung des ehemaligen Rundfunkintendanten Mühlfenzl „ergeben sich keine Daten-
schutzprobleme“ mit den neuen Medien. Als privates Unternehmen unterliegt die Münchner Pilotgesellschaft für Kabelkommunikation weder einer Kontrolle des Bundesdatenschutzbeauf-
tragten noch der des Datenschutzbeauftragten des Landes Bayern. Eine Kontrollfunktion hat lediglich die Regierung von Oberbayern, die sie jedoch an den „TÜV“ delegiert; dieser kann zwar nach Ansicht von Wolfgang Killinger von der HU die „technische Sicherheit garantieren, keines-
falls aber die Daten der Benutzer schützen“. Vor allem bei den Diensten, bei denen man über Kabel und Bildschirm zum Beispiel Banküberweisungen tätigen kann, müsse der Verbraucher darauf bauen, dass niemand mit seinen Daten Missbrauch treibt, warnte Killinger. Die Kabelteilnehmer wüssten oft gar nicht, wo ihre Daten hingeleitet würden.


Süddeutsche Zeitung vom 17. November 1983.

Überraschung

Jahr: 1983
Bereich: Medien

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