Materialien 1986

Zur Situation von politischen Veranstaltungen in München

Überlegungen gegen Verbot, Zensur und permanente Überwachung

Zum Vorverständnis: Die Zeit der Verbote 1986 – 1988

Seit Herbst 1986 wurde in München, aber auch in anderen bayerischen Städten, durch Veranstal-
tungsverbote versucht, jede Öffentlichkeit für linke und staatskritische Inhalte zu unterbinden. (Bei Demonstrationen, Straßenfesten und Zeitschriften war das zum Teil schon vorher der Fall, z.B. die Verbote der Anti-WAA-Demonstrationen. Darauf wollen wir aber an dieser Stelle nicht näher eingehen.)

Zunächst waren antiimperialistische Gruppen betroffen. Im November 1986 wurde die Veranstal-
tung „Zur Situation der politischen Gefangenen in der BRD“ in der Gaststätte „Zunfthaus“ von dreihundert Beamten des Staatsschutzes (K 14, LKA, BKA und SEK) kurz nach Beginn gestürmt. Die zweihundert Teilnehmerinnen wurden im Rahmen einer „Kontrollstelle“ abgefilmt und ihre Personalien kontrolliert.

Der Anfang für eine zweieinhalbjährige Spirale von Veranstaltungsverboten war vom Staatsschutz gemacht. Die Verbote wurden, wenn überhaupt, immer möglichst kurz vor Beginn mitgeteilt, um eine gerichtliche Klärung zu erschweren bzw. zu verunmöglichen und im Zweifelsfall die faktische Verhinderung vor die gerichtliche Klärung zu setzen. Der Ausgangspunkt für die Verbote war das Innenministerium, das sich lange Zeit der Unterstützung des Kreisverwaltungsreferats (KVR) und von OB Kronawitter sicher sein konnte.

Da sich weder nach der Zunfthausräumung noch nach den folgenden Verboten eine fraktionsüber-
greifende politische Verständigung und gemeinsames Handeln entwickelte, drehte sich die Spirale weiter: Die meisten dachten wohl, „uns betrifft das ja nicht“ – und so waren sie bald die nächsten. Im März 1987 wurde eine Veranstaltung über Palästina im Cafe Normal von einem Großaufgebot gestürmt. In der weiteren Folge wurden u.a. Veranstaltungen „Zum Befreiungskampf in Kurdistan“ verboten. Im März 1988 wird mit dem Verbot der „Tour de Terror“-Veranstaltung auch die Anti-AKW-Bewegung betroffen.

Langsam müssen alle linken Gruppen erkennen, dass die Situation durch ein permanentes „Augen zu, uns wird es ja hoffentlich nicht betreffen“, nicht abwendbar ist.

Es ergeben sich Spannungen innerhalb des staatlichen Apparats: Die Zusammenarbeit zwischen Innenministerium, KVR und Kronawitter begann mit der letzten verbotenen Veranstaltung („Zum Befreiungskampf in Kurdistan“) im Mai 1988 zu bröckeln. Das KVR erteilt der Veranstaltung eine „Erlaubnis“, wobei jedoch das Hauptziel der Veranstaltung, nämlich die Darstellung der Politik der Organisation „Feykar Kurdistan“, per Auflagen unterbunden wird. Das Innenministerium reagiert mit dem Selbsteintrittsrecht und den Sondertruppen der Polizei (USK). Somit streiten die staatli-
chen Stellen um Kompetenzen und die weitere Vorgehensweise. Im Ziel einig, staatskritische In-
halte und Diskussionen zu unterbinden, werden unterschiedliche Wege bevorzugt: Die Stadt be-
fürchtet Kratzer am Ruf der Weltstadt mit Herz bei allzu ruppiger Vorgehensweise und ärgert sich über das selbstherrliche Verhalten des Innenministeriums.

Der Sprecherrat der LMU plant für den 7. Juli 1988 mit Unterstützung zahlreicher Organisationen eine Veranstaltung zu „Gentechnologie, Bevölkerungspolitik, Sextourismus, den Verhaftungen von Ulla Penselin und Ingrid Strobl und den laufenden Verfahren“. Nach gerichtlichen Auseinander-
setzungen, die bis kurz vor Veranstaltungsbeginn dauern, kann zum ersten Mal seit über 2½ Jah-
ren eine linke Großveranstaltung mit über fünfhundert Menschen durchgeführt werden. Zwar wurde auch diese Veranstaltung nicht offensiv durchgesetzt, jedoch als Folge einer breiten politi-
schen Unterstützung und Solidarität und dem Ausnützen der Widersprüche innerhalb des Sys-
tems, konnte die Verbotspraxis beendet werden.

Die neue Linie staatlicher Behörden: Auflagen und polizeiliche Überwachung

Bereits eine Woche später, am 13. Juli 1988, sollte im Schlachthof eine Folgeveranstaltung der ver-
botenen „Tour de Terror“ der Anti-AKW-Bewegung stattfinden. Nach den letzten Ereignissen in die Defensive gedrängt, wollte das Innenministerium keine zweite Blamage und verzichtete auf eine erneute Verbotsdurchsetzung. Und bereits hier zeigte sich die neue staatliche Linie gegen missliebige Veranstaltungen, die bis zum heutigen Tag die Bedingungen linker Veranstaltungen bestimmt: Rund um das Wirtshaus im Schlachthof postierten sich USK-Truppen, während eine Gruppe Staatsschützer und Uniformierte samt Tonbandgerät dem Veranstalter eröffnete, sie würden von ihrem Recht (laut Versammlungsgesetz) Gebrauch machen, an der Veranstaltung teilnehmen, diese aufzeichnen und bei strafbaren Äußerungen oder Handlungen einschreiten.

Noch vor Beginn kommt es zwischen verschiedenen linken Gruppen zum Streit über die Frage, ob unter solchen Bedingungen eine Veranstaltung durchführbar ist. Befürchtet wurde, falls sich nun in einem „Präzedenzfall“ auf die Situation einer polizeilichen Anhörung eingelassen werde, werde es um so schwerer, diesen Zustand wieder zurückzudrängen. Statt dessen wurde vorgeschlagen, gemeinsam zu protestieren und weiter zu versuchen, Veranstaltungen ohne Zensur und polizeili-
che Überwachung durchzusetzen.

Die Veranstaltungsgruppe entschied sich aber, den Abend trotz polizeilicher Anwesenheit wie ge-
plant durchzuziehen. Im Herbst 1988 kam es von den linken Gruppen in München, die Veranstal-
tungen unter polizeilicher Kontrolle ablehnen, nochmals zu einem Versuch, die Situation zu ver-
ändern. Anlässlich des Prozesses vor dem OLG München gegen Janin und Wolli wegen der „Zunft-
hausveranstaltung“ 1986 wurde eine Großveranstaltung gegen die Kriminalisierung der beiden und zur Situation der politischen Gefangenen in der BRD vorbereitet. Getragen von vielen Gruppen sollte die Veranstaltung ohne Polizei stattfinden. Der Staatsapparat reagierte mit Auflagen: So war z.B. die Äußerung „Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen“ ebenso verboten, wie die Forde-
rung nach Zusammenlegung der Gefangenen aus RAF und Widerstand.

Am Abend der Veranstaltung sammelten sich nach einer großen Mobilisierung ca. fünfhundert Menschen und sahen sich mit einem Riesen-Aufgebot der Polizei konfrontiert: Hundertschaften USK, SEK, Hundestaffeln und Räumpanzer, die der Anwesenheit der Polizei im Veranstaltungs-
raum Nachdruck verschaffen sollten. In dieser Situation entschieden sich die VeranstalterInnen, die Veranstaltung so nicht durchzuführen. Statt dessen wurde die Presse informiert und gegen diese Polizeieskalation mit Parolen protestiert.

Es gelang, die fünfhundert Menschen eine Stunde später zu einem anderen Ort zu mobilisieren, und dort die Veranstaltung wie geplant ohne Polizei durchzuführen. Ein kleiner Erfolg, der Polizei ein Schnippchen schlagen zu können, jedoch noch keine grundlegende politische Veränderung der Situation.

Seitdem sind zunehmend mehr Gruppen und Organisationen damit konfrontiert, dass bei ihren Veranstaltungen Polizei erscheint, sich offiziell Einlass verschafft und den Verlauf der Veranstal-
tung überwacht. Zuletzt waren davon die Ökologische Linke bei ihrer Veranstaltung zu „Weltwirt-
schaft und Widerstand“ und das Antiimperialistische Bündnis bei einer Veranstaltung gegen Ras-
sismus betroffen. Gut können sich die meisten wahrscheinlich auch noch an die Zeiten im Golf-
krieg erinnern, wo anfangs noch wenige, gegen Ende nahezu alle Veranstaltungen von der Polizei überwacht wurden.

Ignorieren hilft nicht.

Wir halten diesen Zustand der polizeilichen Überwachung und Einschüchterung für untragbar und wollen im folgenden begründen, warum wir einen gemeinsamen politischen Widerstand aller lin-
ken Gruppen und Organisationen gegen diese Variante des Staatsterrors für notwendig und deren Ignorierung bzw. passive Hinnahme für verhängnisvoll halten.

Die offene Überwachung durch den Staat hat verschiedene Funktionen und Ziele: Die Vermittlung und Diskussionen linker staatskritischer und nichtkonformer Themen, Ideen, Inhalte und Vorstel-
lungen soll behindert, eingeschränkt, mit Strafe bedroht, letztlich genauso wie durch die vormalige Verbotspraxis unterbunden werden.

Die polizeiliche Anwesenheit vor den Veranstaltungsorten und die direkte Überwachung durch die offiziell durchgesetzte Anwesenheit von Beamten in der Veranstaltung

 soll Interessierte abschrecken (wer geht schon gern in einen Polizeikessel, um zu einer Veran-
staltung zu kommen),

 soll die VeranstalterInnen gesellschaftlich isolieren, stigmatisieren und hat bereits den Hauch von Kriminalisierung,

 soll eine offene Diskussion unterbinden und die Schere im Kopf schärfen (die Anwesenheit von Uniformierten wirkte sich bisher immer darauf aus, was gesagt wurde),

 soll den staatlichen Zugriff auf Vortrags- und Diskussionsinhalte sowie auf deren Verbreiterin-
nen und AdressatInnen erleichtern und permanent androhen,

 soll durch die Provokation, die sie darstellt und gegen die mensch sich machtlos wähnt, demüti-
gen und Resignation angesichts der Allmacht des Staates schüren,

 soll an dauernde Polizeipräsenz gewöhnen.

Eigentlich erinnert diese Situation an Orwell’s 1984, den totalen Ausnahmezustand. Und es ist in München wie bei Orwell die Methode, gesellschaftliche Widersprüche zu unterdrücken und alles ruhig zu stellen, diesen Ausnahmezustand trotz aller Demütigung in den Köpfen der Menschen zur Normalität erkalten zu lassen. Dass die Sensibilität, das Gefühl dafür abstumpft, dass es gerade das Akzeptieren oder Verdrängen dieser Ausnahmenormalität ist, was jede tiefere Veränderung un-
möglich macht.

Wir halten diesen Zustand für untragbar! Und, wie sich an der historischen Entwicklung sehen lässt, auch für gemeinsam veränderbar! Nicht unbedingt sofort und anhand einer Veranstaltung, aber in einem längerem politischen Prozess.

Dazu ist zunächst die Verständigung aller Gruppen, Organisationen und anderen aktiven Men-
schen nötig, gemeinsam zu sagen:

Dieser Zustand ist untragbar – wir wollen und werden diese Situation gemeinsam verändern! Da-
rüber überall und in allen Bündnissen zu diskutieren, es bei jeder Veranstaltungsvorbereitung in die Überlegungen mit einzubeziehen, ist der erste Schritt. Dann geht es darum, in einem längeren Prozess das politische Kräfteverhältnis in München so zu verändern, dass die weitere polizeiliche Überwachung von Veranstaltungen als Staatsterror , der jeglichem demokratischen Grundver-
ständnis widerspricht, begriffen wird und damit für die Repräsentanten der Stadt München und der staatlichen Behörden in der Öffentlichkeit nicht weiter durchsetzbar ist.

Gegen den HERRschenden Normalzustand!
Gemeinsam werden wir es schaffen!


Stadtratte 9 vom Februar/März 1992, 17.