Materialien 1986

Verreckt doch an der Strahlung und sterbt für diesen Staat

wir bekämpfen euren Krieg und das Patriarchat
WALPURGISNACHT ’86

Am 30. April abends haben sich ca. 150 Frauen am Stachus getroffen, um wenigstens einmal im Jahr die Straßen von München mit Frauenpower unsicher zu machen. Das Leben der Hexen von damals hat sich zwar gewandelt, aber die Form der Hexenverfolgung auch. Da gibt’s ’ne Menge „neuzeitliche“ Erscheinungen: z.B. Humangenetische Beratungsstellen (derzeit 41 in der BRD), § 218, gentechnologische Erkenntnisse (dazu braucht’s Samenbanken), Diskriminierung wie eh und je am Arbeitsplatz und zu Hause etc. pp. Aber den Frauen passt der stille Winkel nicht, den Wissenschaftler, Strategen, Schwätzer und Wixer ihnen zuweisen, Frauen haben keine Lust mehr mit Angst durch die Straßen zu gehen, drum haben wir uns den Platz genommen, die Walpurgisnacht gehört uns! Und wir werden jede Nacht dazu machen, bis sich jede wieder aus ihrem Verschlag traut. Und dann geht’s erst recht ab.

Nachdem sich der Zug vom Stachus in Richtung Marienplatz in Bewegung gesetzt hat, kam auch gleich die erste Anmache von den Ordnungsbullen, dass das nicht geht, sie hatten aber Pech. So ging’s in die City mit Krach und Geschrei. Auf dem Marienplatz ist der nachfolgende Text vorgelesen worden. Da gab’s dann auch zunehmende Männerpräsenz, die ihre lästigen Störmanöver nicht lassen können und mit ihren Sprüchen wie: „Wir wollen keine Emanzenschweine“ sich selber deutlich entblößten, dass sie ihre Hosen schon gar nicht mehr runter lassen brauchten. Der Konvoi von Uniformen in grün und zivil war deutlicher „Chauvi-Schutz“, mit Genugtuung guckten die Männerbullen zu, als Frauen angegriffen oder belästigt wurden, Frauenbullen übten sich in Zurückhaltung und Beobachtung. Der Zug ging so weiter durch die ganze Stadt über die Isar nach Neudeck. Kurz vorher kam es zum Einsatz eines Überfallkommandos, das in einer brutalen Blitzaktion eine Frau rausgreifen sollte. Die haben es aber nicht geschafft, da musste ein zweiter Trupp her, der die Frau festnahm (wg. „Verantwortliche einer verbotenen Demonstration“). Die Schläge, die sie verteilt haben, werden nicht vergessen und dass wir keine Führerin brauchen, geht wohl auch nicht in ihre Birne. Unsere Formen der Verteidigung sind vielfältig, unsere Ketten werden nicht reißen, unsere Ideen und Phantasien sprühen Funken, die das Feuer schüren.

Patriarchen in den Topf!

Gerade in den letzten Wochen wird viel über Kriegsgefahr diskutiert. Vielleicht wird auch gerade über das atomare Unglück in der Sowjetunion gesprochen. Das ist nur die Spitze von Männerideologie und Männerwissenschaft.

Für uns Frauen aber gilt in diesem kapitalistischen System noch etwas anderes. Für uns Frauen ist der Krieg bereits da, spätestens seit Hexen auf Scheiterhaufen verbrannt wurden.

Krieg ist immer die Unterwerfung eines Schwächeren durch einen Stärkeren. Krieg ist der Versuch, ein Ungleichheitsverhältnis festzuschreiben. Männer führen ihn – einzeln und in Gruppen – durch

  • sexuellen Missbrauch von Mädchen,
  • sexuelle Belästigungen und Misshandlungen,
  • Vergewaltigungen,
  • eingeschränkte Rechte
  • sowie zunehmende, hemmungslose und sadistische Ermordung von Frauen.

Diese männliche Gewalt und Aggression ist kein Zufall. Sie wird gestützt von Parteien, Parlamenten, Gerichten, Wirtschaft, Presse, Gewerkschaften, Universitäten, Familien, Verlagen, Gruppen, Bewegungen. Ein seit Jahrhunderten schwer angreifbares fast lückenlose Sicherheits- und Abwehrsystem garantiert den Status quo. Es verherrlicht sich in der Pornoindustrie, Horror- und Brutalvideos, in der Berichterstattung und Sensationsgier, in den Verhältnissen und der Verteilung von Produktionsmitteln. Mit Ausbeutung und Vermarktung von Frauen wird Profit gemacht:

  • Verhungerlöhne in den Weltmarktfabriken in Asien, Afrika und Lateinamerika, wo 80 % Frauen arbeiten,
  • weltweit unbezahlte Hausarbeit,
  • zunehmend ätzende Heimarbeit an Computern,
  • weltweiter Frauenhandel.

Mit der allgemeinen Entwicklung hier, Frauen wirtschaftlich, sozial und sexistisch wieder in die direkte Abhängigkeit zu bringen. verschärfen sich die Räume und Grenzen. in denen wir uns bewegen können. Dieser Krieg, von dem wir sprechen, ist ein Gewohnheitskrieg. Es fallen keine Bomben – es brennen keine Städte. Es gibt keine Frontberichte – keine Massengräber. Es werden keine Heldendenkmäler errichtet. Dieser Krieg ist ohne offizielle Kriegserklärungen, ohne Nichtangriffspakte.

Aber es gibt Opfer: Tote Kriegsschauplätze sind Wohnblocks, Schlafzimmer, Küchen, Straßen, Grünanlagen, Straßen- und U-Bahnen, Kneipen, Fabriken, Büros, Heime, Schulen, Psychiatrien. Die Zukunft von uns Frauen kann sein:

  • Tod durch Mittelstreckenraketen oder Messerstiche,
  • Verletzungen durch berstende Städte oder Schläge,
  • lebenslange Leiden durch Bombensplitter oder Vergewaltigung.

Deshalb sind wir hier. Hier zur Walpurgisnacht. Wir rufen auf zum Widerstand gegen den alltäglichen Männlichkeitswahn, die internationale Ausbeutung und Kriegstreiberei. Wir erobern uns unsere Energien, Kräfte, Phantasien und Rechte zurück.

Wenn wir mit dem Bewusstsein zusammenkommen, gemeinsam handeln. unsere Phantasie. Power und Cleverheit einbringen. dann werden wir zu einer Macht in dieser Nacht.

Wir lassen uns nicht länger verarschen!
Wir sind Frauen – wir sind viele – wir ham die Schnauze voll!

ACHTUNG FRAUEN

In der Walpurgisnacht am 30.4. wurde eine Frau von der Polizei mit brutaler Gewalt aus dem Demonstrationszug herausgezogen.

Der Grund: Wir hatten die Demonstration nicht angemeldet, weil es für uns Frauen jeden Tag und jede Nacht genug Gründe und Vorfälle gibt, eine Spontandemo aus aktuellem Anlass zu veranstalten. Denn: Frieden im Patriarchat ist immer noch Krieg für uns Frauen. Jetzt wo der Krieg läuft: erst recht.

Die in der Walpurgisnacht festgenommene Frau bekommt eine Anzeige wegen Rädelsführerinnenschaft und als von der Polizei ausgesuchte Versammlungsleiterin der Frauendemonstration.

Deshalb gibt’s am 31. Mai ein BENEFIZFEST, 20.00 Uhr mit Disco, Musik und Videos, kaltem Büfett im Frauenprojektehaus, Baldestraße 8, Eintritt: 10 DM.


Infodienstgruppe des Infoladens München (Hg.), anti-waa-pfingstcamp – PROGRAMM – infodienst münchen/Nürnber, Sondernummer vom März/April 1986, 30 f.

Überraschung

Jahr: 1986
Bereich: Frauen

Referenzen