Materialien 1988

Der ideelle Gesamtpopulist

Notizen zu einer „historischen“ Rede Franz Schönhubers

Der Augenblick schien optimal. Eine Woche zuvor war Franz Josef Strauß gestorben, als die „Re-
publikaner“ in Planegg bei München vor rund zweitausend (zahlenden!) Teilnehmern ihren Euro-
pawahlkampf eröffneten. Der König ist tot, der neue sollte gekürt werden. Doch der Staatstragödie folgte nur eine populistische Farce. Franz Schönhuber wollte quasi historisch auf den Plan treten, ließ eine Schweigeminute für den Verstorbenen einlegen, um sich hernach wie der legitime Erbe zu präsentieren.

„Ich war einst sein Freund und bin dann später zu seinem politischen Gegner geworden. Beides ist ehrenwert.“

Tod macht oft übertrieben besinnlich und verlogen und verführt zur Schlampigkeit in der Betrach-
tung. Der frühere Sympathisant Kurt Schumachers und spätere CSU-Anhänger Schönhuber brach-
te aus gegebenem Anlass sogar das Kunststück fertig, seine verworrene Polit-Biographie nekrolo-
gisch zu einen:

„Straußens Art, Politik zu machen, ist mit der Kurt Schumachers vergleichbar. Beiden ist es ver-
wehrt geblieben, auf der obersten Sprosse zu stehen, nichtsdestoweniger haben sie sich verdient gemacht um unser Land.“

Kein Wunder, dass der selbsternannte charismatische Führer rasch zum sattsam bekannten Ritual schreitet, den designierten Nachfolger gegen den Verstorbenen auszuspielen:

„Theo Waigel ist im wahrsten Sinne des Wortes ein ,Schwarzer’, ein ,Klerikaler’. Ein Tiefschwarzer, das war Strauß nie. (Waigels) Vorstellungen sind näher an Geißler als an Strauß.“

Einen Mann von der Statur Strauß’ habe die CSU nicht mehr, keinen, der den „politischen Spagat“ wie er schaffen könne. Dabei versucht sich Schönhuber selbst in Abgrenzung zur CSU an einem Spagat: dem zwischen originellen Anspruch und instrumenteller Kopie! Zum einen muss er sich und seine Partei vom Ruch des billigen Erbschleichens befreien:

„Wir sind keine politischen Leichenfledderer, wir haben eine eigene Politik, ein eigenes Pro-
gramm.“

Und „Wir wollen ehrlicher sein, wir wollen keinen Spagat versuchen.“

Oder: „Wir wollen keine bessere CSU sein.“

Gleichzeitig beschwört er unverhohlen den günstigen Augenblick:

„Wenn Theo Waigel Vorsitzender wird, wird die CSU näher nach Bonn und weiter weg von Mün-
chen rücken. Das ist die Chance für uns.“

Der Parteigründer hat auch keine Hemmungen, sich als Minenhund bei der CSU anzubiedern:

„Wir scheuen uns nicht, Dreckarbeit für die feige CSU zu machen, weil wir nicht permanent Angst haben vor der veröffentlichten Meinung.“

Wer den Spagat von Volksparteien noch immer für eine notwendige Integrationsleistung hält, wird Schönhubers Einklage einer „ehrlichen“ oder „eigenen“ Politik nur für eine reaktionäre Auflösung eines mühsam gestifteten rechten Konsenses der CSU halten können: Vom rechten Pragmatismus hin zum radikalen Populismus! Schönhuber hält sich für den Verursacher einer besseren Union und glaubt bei seiner Art von Basisarbeit schon erste Erfolge vorweisen zu können. Er habe den „Patriotismus“ wieder hoffähig gemacht. Deshalb sei die Union zum „Nachahmer“ seiner patrioti-
schen Texte geworden. In der Tat lässt sich nicht leugnen, dass die CSU nach dem guten Abschnei-
den der Schönhuber-Partei bei der bayerischen Landtagswahl 1986 im darauffolgenden Bundes-
tagswahlkampf noch deftigere nationale Töne anschlug.

Nach der Liquidation der Bayernpartei hatte sie keine parlamentsfähige Partei rechts von ihr mehr zu fürchten gehabt – mit einer einzigen Ausnahme: der NPD, die zwischen 1966 und 1970 ins Ma-
ximilianeum eingezogen war. Immerhin konnten die Republikaner 1988 – fünf Jahre nach der Parteigründung – einen Zuwachs von 1.600 neuen Mitgliedern verzeichnen, darunter viele „Poli-
zisten, Grenzschützer, Soldaten“ (SZ, 26./27. November 1988).

In seiner Oktober-Rede von Planegg ließ Schönhuber keine Gelegenheit aus, auf Berührungspunk-
te zur CSU hinzuweisen. Nicht nur, wenn es gegen die „CDU-Marxisten“ um Heiner Geißler ging, „die unser Land ins Unheil führen“, sondern auch im Kampf gegen den Bundespräsidenten. Mut-
maßungen des SPIEGEL, CSU-Mitglieder der Bundesversammlung könnten von Weizsäcker bei seiner Wiederwahl im Mai 1989 einen „Denkzettel“ verpassen, finden rechthaberischen Applaus:

„Jetzt auf einmal! Als ich vor zwei Jahren gesagt habe, Weizsäcker bewältige mehr seinen Vater als sein Vaterland, habe ich noch Prügel bekommen.“

Und doch: der Führer der Republikaner ist mehr als nur ein radikaler Rechtspopulist neben der CSU.

Seine Rede enthält auch überraschende Passagen:

 Die Todesstrafe lehne er aus ethischen Gründen ab.

 Aus Gründen der Ehrlichkeit sei er gegen den Radikalenerlass;

 Er wolle keine „Republik der Dossiers“, wo sich die Bürger vor dem Staat ängstigen müssten;

 Auch die Frage der Rotation sei nicht abwegig. Wenn einer zwei- oder dreimal im Parlament gesessen habe, wisse er meist gar nicht mehr, „was es sonst noch gibt“.

Das „Schönhuber-Syndrom“ (Rau) ist mehr als nur ein von enttäuschten „Wende“-Wählern getra-
genes Frustrationsphänomen. Es weist auch Momente eines klassischen, durchaus nicht nur genu-
in rechten Populismus auf. Dieser dümpelt nicht nur am Rande herum, sondern vagabundiert zwischen konservativen Verteidigern des Status Quo und einer interessengebundenen linken Poli-
tik. Populismus hat Hochkonjunktur im Rahmen der ökonomischen Modernisierung, der Differen-
zierung von Lebensstilen und des damit einhergehenden sprunghaften Anstiegs des Wechselwäh-
lerpotentials. Schönhuber repräsentiert gleichsam den ideellen Gesamtpopulisten, der populisti-
sche Momente aller Strömungen zu einen versucht.

1. In der Außenpolitik ist er eher ein grüner Populist, d.h. stramm antiamerikanisch, gegen EG und NATO. Im Stile von manchen Wortführern der Friedensbewegung bezeichnet er die Bundesrepu-
blik als „ein nach wie vor besetztes Land“ und beschwört die neutralistische Vision von einem „blockfreien Deutschland“:

„Von deutschem Boden darf niemals wieder Krieg ausgehen. Aber: Es darf auch niemals wieder Krieg auf deutschen Boden getragen werden, sei es von den Russen oder Amerikanern.“

Franz Schönhuber wehrt sich gegen den Ruf des säbelrasselnden Militaristen, indem er sich bei-
spielsweise „gegen eine Entsendung deutscher Truppen in Spannungsgebiete“ wendet.

Schließlich seien deutsche Soldaten nicht dazu da, „die Interessen der Wall Street“ zu verteidigen.

2. Als roter Populist tritt der ehemals so populäre Rundfunkjournalist unter diffuser Berufung auf die „einfachen Leute“ in Erscheinung:

„Mein Vater war Metzgermeister. Deshalb möchte ich, dass die Armen besser leben. Ich bin dage-
gen, dass absolutistische Gedankengänge an Boden gewinnen.“

Sein soziales Credo gleicht einem anti-etatistischen Neckermann-Katalog, der alle kleinbürgerli-
chen Ängste und Ressentiments anspricht: den antibürokratischen Fetisch, die Mystifizierung des Korporativismus in Wirtschaft und Politik, das Aufbegehren gegen jedwedes Establishment, den Argwohn gegen Beamten- und Abgeordnetenprivilegien:

„Es gibt keine Beamtenbeleidigung. Einfache Menschen dürfen nicht schlechter gestellt sein als Beamte oder Politiker. Deshalb: Schluss mit der Immunität für Abgeordnete! Vor dem Kadi sind alle Menschen gleich.“

3. Als gelber (rechtsliberaler) Populist möchte Schönhuber den Mittelstand, das Handwerk „wieder herausnehmen aus den Fesseln der Administratoren und Arbeitsrichter“.

Die Lambsdorff-Crew dürfte derartigem Ansinnen kaum widersprechen.

4. Ein (stahlhelmorientierter) Unions-Populist ist Schönhuber immer dann, wenn er auf sein The-
ma – die deutsche Vergangenheit – zu sprechen kommt. Auf der gleichen Wellenlänge mit Dreg-
gers einstiger Forderung, die Deutschen sollten endlich „aus dem Schatten Hitlers heraustreten“, liegt er mit der programmatischen Einlassung:

„Wir wollen nicht permanent aus dem Grabe heraus von Hitler regiert werden. Der Krieg ist 45 Jahre vorbei.“

Und: „Lassen wir endlich dieses permanente nationale Rückwärts-Schauen! … Wir meinen auch, dass es bei der Behandlung der Vergangenheit nicht so weiter gehen kann wie bisher: dass die ARD einen Beitrag über Auschwitz bringt, das ZDF einen über Sobibor und das Dritte einen über Da-
chau!“

Ebenso nahtlos wie zynisch schließen sich Schönhubers Forderungen in der Frage der rechten Problematisierung von Asylanten einem bissigen Gedanken von Strauß an, jeder vehemente Streiter für das derzeitige Asylrecht möge mal einen Kurden zu sich aufnehmen:

„Wir fordern mehr Verteilungsgerechtigkeit. Macht erst die Klöster auf für die Asylanten, macht erst die Gewerkschaftshäuser auf, macht erst die Stiftungen auf, dann kommen wir und machen unsere Türen auf.“

Auch Schönhubers „Ich war dabei“-Litanei („Ich bekenne mich dazu“) bewegt sich auf der „Höhe“ der neokonservativen Geschichtsaussöhnung, die auf dem Soldatenfriedhof von Bitburg erstmals Täter und Opfer staatssymbolisch gleichzumachen versucht hatte. Schönhubers populistische Vielfalt verbietet es, ihn nur als unverbesserlichen Ewiggestrigen oder gar als Nazi abzutun. Er artikuliert „nur“ Landläufiges und Parteienübliches in geballter Ladung. In seiner diffusen, inter-
essenunspezifischen Orientierung und antiaufklärerischen Wirkung ist Populismus immer noch ein eindeutig rechtes politisches Phänomen. Auch ein ideeller Gesamtpopulist ist kein „Mann der Mitte“. In der unappetitlichsten Redepassage liefert Franz Schönhuber ein Musterbeispiel für fließende populistische Grenzen: eine grün-populistische Umweltbeschwörung schlägt offen in rechtspopulistische Menschenverachtung um: Er versucht sein Ausländerproblem „ökologisch“ zu fassen, indem er auf die Zustände an spanischen und türkischen Küsten verweist. Das Meer sei dort eine Kloake, diesen Leuten fehle es am nötigen Umweltbewusstsein. Im Klartext: Wer für die Reinhaltung der Umwelt eintritt, muss auch gegen Ausländer sein!

Und doch will er sich den Schuh der Ausländerfeindlichkeit nicht anziehen. Im Gegenteil: Als Ed-
mund Stoiber im November letzten Jahres die angeblichen Gefahren einer „durchrassten“ Gesell-
schaft an die Wand malte, betonte Schönhuber abgrenzungsakribisch: der CSU-Politiker könne bei den Republikanern nicht einmal Ortsvorsitzender werden. „Wenn die Republikaner halbrechts stehen, steht Stoiber mit diesem Vokabular ganz rechts außen.“

Norbert Seitz


Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte 2 vom Februar 1989, 110 ff.