Materialien 1992

Systematische Erfassung

von Journalisten, Antifaschisten durch rechtsextreme Gruppen und Publikationen

„Verehrte Mitbürger und Mitbürgerinnen, die zunehmenden antideutschen Umtriebe in Deutsch-
land und deren verheerende Auswirkungen auf die arbeitende Bevölkerung und das politische System machen es erforderlich, diese systematisch zu erfassen und zu gegebener Zeit straf- und vermögensrechtlich zu ahnden“.

So beginnt ein Aufruf einer „Zentralen Erfassungsstelle für antideutsche Umtriebe“ aus München. Es begann bereits vor einigen Jahren, aber in letzter Zeit vermehren sich die Anzeichen für eine koordinierte Erfassung diverser Personen von Seiten rechtsextremistischer Gruppen und Organi-
sationen. Zum Teil klandestin, zum Teil öffentlich werden von den Neofaschisten Journalisten, Antifaschisten, Ausländerinitiativen usw. erfasst. In verschiedenen Publikationen der Rechten werden dann die Namen und Adressen der Personen unter Rubriken wie „Vom Feinde“ oder „Anti-Antifa“ veröffentlicht. Die Folgen sind zum Teil Drohungen bis hin zu tätlichen Angriffen.

Die „Zentrale Erfassungsstelle“ schreibt weiter, dass der „Schwerpunkt der zu erfassenden Perso-
nen“,
u.a. „verantwortliche Politiker, Beamte, Mandatsträger bis hinunter in die Ortsebene“ und „Journalisten und deren Helfershelfer in den Funkhäusern und Zeitungsredaktionen“ seien. Und wie gesammelte Daten von den Neofaschisten genutzt werden, zeigt seit Jahren das Blatt „Nach-
richten des Studentenbundes Schlesien“ (SBS).

Lieblingsjournalistin des „Bundes“ ist Franziska Hundseder. Im Heft 1/90 wird ihre Arbeit in einem zweiseitigen Artikel dargestellt. „Es gibt nicht nur Schlachter, sondern auch Kopfschlachter. So verwundert es keinen, dass es nicht nur Journalisten, sondern auch FACH-Journalisten gibt“ – so der erste Satz. Es folgt ein ausführliches Portrait der journalistischen Tätigkeit von Hunds-
eder, auf welchen Veranstaltungen sie aufgetaucht ist, welche Kleidung sie trägt usw. In der Aus-
gabe 2/90 teilen die „Nachrichten des Studentenbundes Schlesien“ die Adresse und Telefonnum-
mer von ihr mit. Um die Recherchen zu vollenden, findet sich in der Nummer 3/90 ein Foto der Journalistin …

Ebenfalls im Zentrum der Aufmerksamkeit des SBS-Blattes ist die Zeitschrift „Der Rechte Rand“, die regelmäßig über neofaschistische Gruppen und deren Aktivitäten berichtet. Herausgegeben wird sie von diversen Einzelpersonen, die sich immer wieder in Form von Steckbriefen in den „Nachrichten des Studentenbundes“ wiederfinden. Zu ihnen gehören z.B. Mitglieder der „Vereini-
gung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten“, von denen regelmäßig Fotos ver-
öffentlicht werden, oder auch der niedersächsische Minister für Bundes- und Europaangelegen-
heiten, Jürgen Trittin. Gegen letzteren wird seit mehr als drei Jahren in dem Blatt gehetzt. Offen-
sichtlich mit Erfolg, denn auch die im Springer-Konzern erscheinende „Welt“ berichtete kürzlich diffamierend über den Grünen und die „Braunschweiger Zeitung“ nannte „die vom Grünen Trittin dominierte“ Landesregierung „deutschfeindlich“ .

Darüber hinaus werden auch antirassistische und antifaschistische Gruppen beobachtet. So ver-
öffentlichten die SBS-Nachrichten im Heft 2/91 sogar ein internes Protokoll der ersten Sitzung des Sprecherrates von „SOS-Rassismus“. Aus diesem gehen sämtliche Namen der Anwesenden und Zuständigkeiten für Arbeitsgruppen hervor. Aber auch von anderen Neonazigruppen wird zu-
sätzlich zur Jagd auf Ausländer die Jagd auf Andersdenkende eröffnet. Die Hamburger Nazigröße Christian Worch, einer der Nachfolger des im vergangenen Jahr verstorbenen Michael Kühnen, brachte kürzlich eine Schwerpunktausgabe seiner Zeitschrift „Index“ heraus. Thema: Anti-Antifa. In dieser wurden auf elf Seiten Fotos und Adressen vom Hamburger Linken- und Alternativzentren veröffentlicht. Dazu kamen Hinweise darüber, wann sich welche Gruppe trifft und zu welchem Thema sie arbeitet. In der illegal aus den Niederlanden vertriebenen Zeitung der Nazikaderorga-
nisation „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF) wurde kürzlich sogar eine regelmäßi-
ge Publikation von Namen in einer speziellen Zeitung angekündigt. Herausgegeben wird diese vom „Bereich Mitte, Gau Hessen, Stützpunkt Wiesbaden“, so die Nazis. Der Bezug erfolgt über Postla-
gerkarte.

„Verschiedene nationale und national-sozialistische Gruppierungen und Parteien aus dem Raum Bonn-Rhein/Sieg“ versandten per Fax im September eine Presseerklärung an mehr als einhundert Zeitungen und Zeitschriften. Darin heißt es, „im Falle einer gegen uns gerichteten Aktion werden wir die Daten auszuwerten wissen, und uns auf die eine oder andere Art ,bedanken’“. Wie solcher „Dank“ aussieht, erlebte kürzlich ein Kasseler Gewerkschafter. Er wurde von einer „Braunen Stan-
darte Kassel“ angerufen, die ihm mitteilte, dass er in zwei Tagen erhängt werden soll. Der Anrufer hatte detaillierte Kenntnisse über den Mann.

Auf eines wird bei den meisten Veröffentlichungen jedoch peinlichst geachtet: Direkte Aufrufe zur Gewalt finden sich in den Blättern nicht. Nicht weil die Auseinandersetzungen mit den Gegnern des Neofaschismus gewaltfrei durchgeführt werden sollen, sondern vielmehr um staatliche Repres-
sionen zu vermeiden.

Christian Abs


Publizistik & Kunst. Zeitschrift der IG Medien 1 vom Januar 1993, 22.