Materialien 1993

„Saludos Amigos!“

Rüstungsindustrie lud Streibl und Stoiber zu Ferienreisen ein

Bei einer Betriebsprüfung stieß ein Beamter des Münchner Finanzamts Anfang 1993 beim größten Reiseveranstalter Bayerns auf eine „VIP-Datei“ mit den Namen von Abgeordneten aller im Landtag vertretenen Parteien. Sobald eine dieser „Very Important Persons“ eine Urlaubsreise buchte, spuckte der Computer die interne Anforderung aus, auf eine Rechnung zu verzichten. Nur wenige jener Wichtigen bestanden auf Bezahlung. Sofort nach der Aufdeckung wurde die entlarvende Datei gelöscht. Doch diese Mauschelei war harmlos im Vergleich mit der sogenannten „Amigo-Affäre“, die zur gleichen Zeit die bayerische Demokratie erschütterte und den Rücktritt des CSU-Ministerpräsidenten Max Streibl zur Folge hatte. Sie wiederum gehörte in ein „altes System“, analysierte der Passauer Politologe Alf Mintzel: Ohne die Verfilzung der Eliten wäre der Umbau des Agrarlandes zum Industriestaat nicht möglich gewesen.

„Treten Sie auf eigene Kosten Reisen an, wohin Sie wollen, aber treten Sie zurück, solange Sie noch selbst darüber befinden können.“ Dass Max Streibl, der Nachfolger des tödlich verunglückten Franz Josef Strauß, dieser Aufforderung des neuen SPD-Fraktionsvorsitzenden Albert Schmidt am 28. Januar 1993 nicht nachkommen würde, hatte er zuvor schon deutlich gemacht: Nichts sei dran an all den Vorwürfen, die ihm eine unzulässige Verquickung von privaten und politischen Interessen nachgesagt hätten.

In den Jahren 1983, 1985 und 1987 hatte sich der damalige Finanzminister und stellvertretende Ministerpräsident allerdings – das musste er jetzt einräumen – von einem Schulfreund, dem Mindelheimer Flugzeugbauer Burghart Grob, zu drei Reisen einladen lassen. Zweimal ging es mit Familienanhang zur Hazienda des Allgäuer Industriellen nach Brasilien, wobei alle Flüge und der Aufenthalt für ihn frei waren. Ein drittes Mal durfte Streibl auf Kosten des Amigos nach Kenia fliegen.

Warum hätte er denn die Einladungen eines Freundes, der immerhin 1.600 Arbeitsplätze gesichert habe, ausschlagen sollen, wo doch auch der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt sich von einem Hamburger Unternehmer zu Segeltörns habe einladen lassen? So der Gerügte. Er sei nicht bestechlich.

Bald wurde bekannt, dass der von Streibl geführte CSU-Kreisverband Oberbayern eine Spende von gut 100.000 Mark von Grob bekommen hatte. Und dass der Mindelheimer bei der Bonner Staatsanwaltschaft schon einmal im Verdacht von Schmiergeldzahlungen stand, nachdem er vom Verteidigungsministerium – trotz Bedenken von Militärs – den Zuschlag für das drei Milliarden Mark teure Aufklärungsflugzeug „Lapsas“ erhalten hatte.

Die Opposition vermutete jedoch einen Zusammenhang zwischen den „Amigo-Reisen“ und der für 1984 geplanten Neuordnung des „militärisch-industriellen Komplexes“ im Freistaat. Grob wollte damals 24,5 Prozent der Anteile der von Flick zum Verkauf angebotenen „Panzerschmiede“ Krauss-Maffei und sogar den Aufsichtsratssitz übernehmen. Und Bayerns Finanzminister hatte bei der Besetzung von Aufsichtsgremien in der Rüstungsindustrie durchaus ein Wort zu sagen. Der Mittelständler bekam denn auch ein staatliches Darlehen über die Bank für Aufbaufinanzierung, deren Aufsichtsratsvorsitzender Streibl hieß.

Im Gegensatz zu seinem baden-württembergischen Kollegen Lothar Späth, der auf ähnliche Vorwürfe recht schnell durch Rücktritt reagiert hatte, konnte sich der „Sunny Boy“ der CSU trotzdem noch lange in der Gunst seiner Partei sonnen. Immerhin fühlte er sich weiterhin so stark, dass er die Delegierten eines Parteitags mit einem fröhlichen „Saludos Amigos!“ begrüßte, was freilich nicht alle lustig fanden.

Als Umfragen zur Herbstwahl eine Dämmerung der CSU auf unter 40 Prozent anzeigten, die Affäre nicht aus den Schlagzeilen kam und obendrein ein Untersuchungsausschuss drohte, geriet der Oberammergauer, der sich im Neubau der Staatskanzlei einen Herrgottswinkel hatte einrichteten lassen, in eine ausweglose Lage. Am 27. Mai erklärte Max Streibl seinen längst erwarteten Rücktritt mit den Worten: „Diesen Schritt tue ich nicht, weil ich dem Freistaat Bayern in irgendeiner Weise geschadet hätte.“

Einen Tag später wählte der Landtag den Innenminister Edmund Stoiber zum Nachfolger. Dieser war clever genug gewesen, sich beizeiten aus der Amigo-Affäre zu ziehen. Am 13. Februar beichtete Stoiber, dass er 1987/88 als Chef der Staatskanzlei nicht nur vier halbdienstliche Flüge mit den Jets des halbstaatlichen Konzerns Messerschmitt-Bölkow-Blohm unternommen hatte, sondern auch einen ganz privaten Urlaubsflug. Das „Kraftwerk Strauß“ (Aufsichtsratsvorsitzender des Luft-, Raurnfahrt- und Rüstungskonzerns) habe ihn auch in den Ferien partout um sich haben wollen, wenn möglich samt Familie. Stoiber mit Blick auf Kritiker in seiner Partei: „Man zeige mir einen, der keine Fehler gemacht hat.“


Karl Stankiewitz, Weißblaues Schwarzbuch. Skandale, Schandtaten und Affären, die Bayern erregten, München 2019, 253 ff.

Überraschung

Jahr: 1993
Bereich: CSU

Referenzen