Materialien 1994
einige gedanken zu verschiedenen äußerungen über den film „beruf neonazi“
— entwickelt an diskussionen, die ich verfolgt habe (z.B. vor dem maxim-kino, auf radio lora), und artikeln, die ich gelesen habe (z.B. im konkret, in der stadtratte und im maxim-reader)
1
„der film ist nazipropaganda.“ „ein werbeclip für nazis.“ „selbstdarstellung von nazis.“ „ich habe den film nicht gesehen, aber mir den inhalt erzählen lassen.“ „ich habe über den inhalt gelesen, das reicht.“ eine bereits recht chronische haltung linker menschen scheint mir die zu sein, sich auf urteile von leuten zu verlassen, die noch jedesmal das abbild mit der wirklichkeit verwechselt haben und die stilmittel, wie zum beispiel ironie oder uneigentliches sprechen, noch nie erkannt haben, weil sie schon immer auf der suche nach tabuwörtern waren. weil aber menschen nicht funktionieren sollten wie pawlowsche hunde, kann mensch ihnen durchaus zumuten, die inhaltlichen unterschiede zwischen einem film und einer veranstaltung mit dem hauptredner althans zu erkennen.
2
durchaus leitmotivisch zieht sich durch die diskussion die frage „warum wollen leute in den film beruf neonazi gehen?“ diesbezüglich wird vermutet, dass die menschen, die auf den film durch die medien aufmerksam geworden sind, ohnehin identisch mit der bürgerliche schickeria seien, die sich diesen film als kitzel reinziehen wolle. und mit dem hinweis darauf, dass, wer es wirklich ernst meine mit dem antifaschismus, schließlich schon seit jahren in der antifa arbeite und die relevanten diskussionen und artikel rezipiert habe, grenzt mensch leute aus und nennt sie (wie vor dem maxim geschehen) „die gegenseite“, als ob die gegenseite nicht rechts stünde. dies ist nicht nur eine nebensache. für eine langfristige strategie gegen nazis ist es schon wichtig, welche gruppe einen führungsanspruch für sich reklamiert und wie sie anderen gegenübertritt. sind leute, die z.b. den film „wahrheit macht frei“ immer noch nicht gesehen haben, lahmärsche und schickimickis? will diese linke noch diskutieren? wie wird mensch antifa? durch freien entschluß eines souveränen individuums, oder was? gilt für nazis das gleiche? wird hier nicht eine politische vereinfachung, die in einer konkreten situation sinnvoll ist („wir wollen keine nazischweine“), aufgrund fehlender theoretischer reflexion und mangelndem willen zur auseinandersetzung zum pseudotheoretischen konstrukt? („ein nazi ist ein nazi ist ein nazi, weil er es so will?“) ist der voluntarismus ein notwendiger begleiter des aktionismus?
3
„ein besseres mittel, sich in die öffentlichkeit zu bringen und salonfähig zu werden (als den film) hätte althans kaum finden können.“ das ist völlig richtig. und das interessante ist nicht, dass ein film über althans gemacht wurde, sondern eher, dass er so spät kommt. denn in vergessenheit geraten ist scheinbar, dass die nazis neueste technologien (film, funk, computer etc.) schon immer hervorragend genutzt haben, und sowohl vor als hinter der kamera profis waren und sind. noch gibt es kaum ein moderneres mittel als den film, und so werden wir sicherlich noch viel dreck zu sehen, hören, (fühlen ?) bekommen. das erschrecken kommt also eventuell gerade noch rechtzeitig. andererseits könnte das erschrecken auch damit zusammenhängen, dass althans ein wirklich dreister, smarter, äußerlich nicht unbedingt abstoßender mensch ist, und wir uns nazis gerne als nazischweine vorstellen.
4
„althans selbst bezeichnete diesen film als gelungen, er macht selber werbung dafür“. dies als argument gegen den film zu wenden zeugt allemal von purer blödheit. der große vorsitzende mao sagt zwar „wenn wir vom feind bekämpft werden, dann ist das gut; denn es ist ein beweis, dass wir zwischen uns und dem feind einen klaren trennungsstrich gezogen haben.“ das heißt aber nicht, dass der feind nicht auch trickreich sein darf. wenn althans morgen hergeht und die antifa lobt, weil sie ihn in den letzten zwei jahren circa einmal pro monat in die süddeutsche zeitung gebracht hat, wird die antifa die konsequenzen ziehen? die protestantisch-moralische haltung, „beruf neonazi“ wäre nur dann „gelungen“, wenn althans vor heulen und zähneknirschen keine andere wahl mehr hätte, als in die spd einzutreten, macht sich nur noch lächerlich. althans ist genau so dreist, so zynisch und menschenverachtend, wie wir es auch feststellen könnten, hätten wir diese adjektive leider nicht seit jahren inflationsmäßig auf jeden pipifax angewandt.
5
um dem ganzen mehr fundament zu geben, könnte mensch z.b. auf gramsci und ehlich zurückzugreifen: faschismus ist politik im zeitalter der politischen massenaktion, wobei sich zwei hauptphasen des faschismus feststellen lassen: der kampf um die macht und die exekutierung der macht. kampf um die macht bedeutet kampf um die hegemonie in der zivilgesellschaft. dabei ist die faschistische ideologie im grunde durchaus flexibel, was für uns, die wir das intellektuelle niveau des deutschen neofaschismus zu lange mit der nationalzeitung gleichsetzten, etwas neues ist. die neue flexibilität des faschismus im kampf um die hegemonie, in dem seine zentren und peripherien der ideologieproduktion getrennt marschieren, aber vereint zuschlagen, so dass die linke im bereich der kultur kaum noch einen fuß auf den boden kriegt, ist gerade an der person von althans zu studieren. in diesem zusammenhang ist schon aufschlußreich, dass auch mit sätzen, die sich scheinbar auf das problem der ideologieproduktion und -diskussion einlassen (z.b. „gewollt oder ungewollt hat der film schon jetzt erreicht, dass nicht mehr diskutiert wird, wie wir nazis wie althans das maul stopfen“) nur noch ein abwehrkampf gefordert wird. möglichst martialisch wird ja zur zeit ohnehin gerne von „aufs maul hauen“, „das maul stopfen“, „schlagen, wo wir sie treffen“ und ähnliches mehr gefaselt. damit wird so getan, als enthalte die rein physische auseinandersetzung schon alle nötigen elemente eines auch langfristig angelegten kampfes gegen nazis. vielleicht steckt dahinter auch der wunsch, über den kampf als mutter aller dinge dann so ganz nebenbei auch eine längerfristige perspektive hinzukriegen.
Übrigens: die macht der wörter und der sprache dabei je nach belieben entweder zu unterschätzen („nicht reden, maul stopfen“) oder zu überschätzen („althans darf unwidersprochen/unwiderlegt reden“) offenbart ein innerhalb der linken typisches defizit im bereich des wissens über sprache und ihre funktion. ein beispiel: das leugnen der deutschen verbrechen in auschwitz und anderswo stellt nicht einen sprechakt des behauptens oder des leugnens dar. vielmehr ist die sogenannte „auschwitz-Iüge“ ein indirekter sprechakt der provokation, verächtlichmachung o.ä., und dagegen hilft keine berichtigung und kein gegenbeweis. dass althans gerade durch widerspruch innerhalb des filmes zum diskussionspartner befördert würde, liegt ja wohl auf der hand. ansonsten scheinen antifaschistInnen, linke die lage mittlerweile für so aussichtlos zu halten, dass nur noch verteidigung angesagt ist. wer glaubt, ab acht uhr abends alle fünf minuten „fünf vor zwölf’ rufen zu müssen, macht jedoch eine gefährliche situation auch noch hektisch. da aber die auseinandersetzung um hegemonie noch nicht abgeschlossen ist, haben wir vielleicht doch noch zeit uns zusammen- und auseinanderzusetzen, und gemeinsam könnten wir versuchen, die öffentlichen diskussionen wieder zu bestimmen, themen vorzugeben etc. der moderator der diskussion auf radio lora stellte am schluß die leider unbeantwortete frage, ob die antifa anhand des films „beruf neonazi“ ein konzept in antifaschistischer richtung entwickeln könnte (ebenso wie ja auch althans noch jeden stein, den mensch ihm in den weg legt, ins rollen bringt). das ist genau der punkt: wo können wir die gegenwärtige hegemonie der faschistInnen in der zivilgeseIlschaft brechen. wie können wir aus autonomie kulturelle hegemonie entwickeln. und wie können wir darüber genug kraft und souveränität gewinnen, den faschismus zu bekämpfen.
valentin hinterdobler
Stadtratte 20 vom März/April 1994, 13.