Flusslandschaft 1994

Rechtsextremismus

1993 drehte Winfried Bonengel mit dem Münchner Neonazi Bela Ewald Althans als Hauptdarstel-
ler den Film „Beruf Neonazi“ und verzichtete auf einen politischen Kommentar. Kritiker warfen dem Regisseur deshalb vor, einen „braunen Werbefilm“ produziert zu haben. Es hagelte Verbots-
forderungen, im Dezember des Jahres erfolgte eine kurzzeitige Beschlagnahmung. – Schon Anfang Dezember 1993 kam es in München zu heftigen Kontroversen. Am 9. Januar 1994 schließlich ver-
suchte das Filmmuseum im Stadtmuseum am St. Jakobs-Platz 1 in einer Vorpremiere das filmische Porträt des Neonazis Bela Ewald Althans zu zeigen. Schließlich verbot der Oberbürgermeister die Aufführung. In zwei Münchner Kinos, im Maxim in der Landshuter Allee 33 in Neuhausen und im Werkstattkino in der Fraunhoferstraße 9 Rgb. im Gärtnerplatzviertel, soll nun am 14. Januar der Film „Beruf Neonazi“ anlaufen.1 – Im Filmmuseum verhindert eine Sitzblockade die Vorführung. Im Werkstattkino werden Neonazis aus dem Kino gejagt und Gülle in den Zuschauerraum gegos-
sen, im Maxim gibt es erbitterte Diskussionen und am Ende einen Riss in der Leinwand. Die, die die Filmaufführung verhindern wollen, werden als hysterisch beschimpft, die, die den Film sehen wollen, als naive Idealisten. Der Streit ist heftig. Die einen sagen, neonazistische Propaganda dürfe nicht gezeigt werden. Die anderen sagen, man müsse doch erst einmal sehen dürfen, worum es geht. Man könne doch nicht über ein Verbot diskutieren, dessen Gegenstand nicht bekannt sei. Die einen sagen, man dürfe den Film nicht zeigen, weil Althans, ein gutaussehender, smarter junger Mann, eine unbestritten charismatische Erscheinung sei und unkommentiert seine rassistischen, antisemitischen und den Nationalsozialismus verherrlichenden Thesen propagieren könne. Die anderen meinen, gerade die Kameraführung, die den „Führer“ Althans überhöhe, entlarve ja die Inszenierung. Die einen meinen, die unmittelbare Nähe des Films zum Deutschkanadier und Holo-
caust-Leugner Ernst Zündel und zu Althans könne im postmodernen, konsumistischen Klima Sympathien wecken. Die anderen meinen, die fehlende Empathie und der Narzismus von Zündel und Althans falle nur bei Leuten auf fruchtbaren Boden, die ebenfalls Empathie vermissen lassen. Die einen meinen, dass es von dieser Sorte Mensch immer noch viel zu viele gebe. Die anderen meinen, sollte ein Besucher des Films so wenig Ich-Stärke besitzen, dass er auf der Suche nach einem Führer hier fündig werde, würden gleichzeitig hundert Besucher des Films die Notwendig-
keit erkennen, gegen Neonazis sich zu engagieren. – „Für Wolfgang Bihlmeier vom Werkstattkino und Siegfried Daiber vom Maxim wurden die letzten Wochen zum Härtetest. Die beiden Kinobe-
treiber waren die einzigen, die den umstrittenen Dokumentarfilm ‚Beruf: Neonazi’ von Winfried Bonengel trotz heftiger Proteste in München gezeigt haben. ‚Ich hätte den Film noch lange wei-
terspielen können, das Haus wäre immer voll gewesen’, sagt Bihlmeier, ‚aber es ist einfach zu an-
strengend. Das hält man maximal drei Wochen durch.’“2 – Das Münchner revolutionäre komman-
do filmriß
wettert gegen den Streifen; Althans werde so »gesellschaftsfähig«. Richy Meyer, der sich den Film angesehen hat, meint dagegen, unerträglich seien nicht so sehr die Nazi-Agitation des »netten Jungen von nebenan, mir wurde kotzübel, als dieser eiskalte Heydrich-Verschnitt in den Gaskammern von Auschwitz den Völkermord an Millionen von Juden, die Existenz von Gaskam-
mern und Krematorien leugnete und die dort Anwesenden zu keiner Reaktion fähig waren mit Ausnahme eines jungen Amerikaners. Ist nicht dieses Nicht-Reagieren die eigentliche, die furcht-
bare Aussage dieser Szene?« – Althans wird 1996 wegen „Verunglimpfung des Staates und Volks-
verhetzung in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Beleidigung“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Als Beweis gelten die im Film dokumentierten Aussagen. – Am 20. Mai 2011 zeigt das Maxim den Film noch einmal. Etwa zwanzig Leute sehen ohne jede Störung den Film. Die Diskussion im Anschluss ähnelt den Diskus-
sionen von 1994, allerdings sind alle Anwesenden der Meinung, dass sowohl das Sujet wie auch die Filmsprache zwanzig Jahre später ihre Faszination verloren hätten.3

Vom 21. Januar bis zum 20. Februar zeigt das Theater Blaue Maus in der Elvirastraße 17a in Neu-
hausen das Stück „Dreck ist braun“, das sich mit dem Rechtsextremismus auseinandersetzt.

Am 27. März kommt es im Alten Rathaus zu einer Podiumsdiskussion unter der Moderation von Giovanni di Lorenzo. Thema: „Achtung! Neonazis!“ Dabei auch Manfred Brunner vom Bund freier Bürger. Im Publikum sitzt Althans mit etwa fünfzehn Anhängern. Es kommt zu Auseinanderset-
zungen mit Antifaschisten. Di Lorenzo bricht die Veranstaltung ab. Herbeigerufene Polizisten nehmen einige Antifaschisten fest.

28. März: Mahnwache vor der Israelitischen Kultusgemeinde wegen Brandanschlag auf die Synagoge in Lübeck.

… April, „Schwabinger Anschläge. Fotografische Dokumentation der von Künstlerinnen und Künstlern gestalteten Plakatwände gegen Fremdenfeindlichkeit“ Und: „Schwabinger Abrisse. Farbfotografien der Plakat-Dekonstruktion und -verwitterung von Anneliese Klemm“, zwei Ausstellungen in der Seidlvilla in Schwabing …

Am 24. April prügeln sich zwanzig Skinheads auf dem Frühlingsfest auf der Theresienwiese mit mehreren Polizisten.

Auf dem Marienplatz sammeln sich am Dienstag, den 17. Mai, einige Sympathisanten der Repu-
blikaner
, um einer Europa-Wahlkampfveranstaltung zuzuhören. Dreihundert Gegendemon-
stranten veranstalten ein Pfeifkonzert. Sechzehn von ihnen werden festgenommen.

Am 30. Mai greifen Rechtsextremisten in der Dienerstraße in der Innenstadt zwei Asylsuchende an und traktieren sie mit Steinen und mit Fäusten.

8. Juni: Wahlkampfveranstaltung der NPD im Löwenbräukeller am Stiglmaierplatz mit Althans.

Am 9. Juni spricht Franz Schönhuber von den Republikanern in der Olympiahalle vor etwa acht-
hundert Zuhörern. Etwa 5.000 Gegendemonstranten ziehen eine Menschenkette um die Halle.

Zweihundertfünfzig Antifaschistinnen und Antifaschisten verhindern durch lautstarken Protest, dass eine NPD-Kundgebung am Stachus von den Passanten wahrgenommen werden kann.

Am 24. November spielen die „Böhzen Onkelz“ in der Rudi-Sedlmayr-Halle. Die Band spielte 1981 „Tührkän rauhs“ und 1983 „Deutschland den Deutschen“. Ihr 1984 veröffentlichtes Album „Der nette Mann“ wurde im September 1986 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften „wegen tendenzieller nationalsozialistischer“, bzw. die „Inhalte des Nationalsozialismus unreflek-
tiert übernehmender“ Texte indiziert. Anlass für eine Diskussion um rechte Jugendkultur und rechte Hegemonie.4

„In Bayern werden 1994 in Ingolstadt, Höhenkirchen, München, Mitterfelden, Hauzenberg und Bogen sechs Brandanschläge und ein Sprengstoffanschlag auf Asylbewerberheime, Aussiedler- und Ausländerunterkünfte verübt, die zum Teil hohen Sachschaden verursachen; weitere Straftaten durch Täter aus dem rechtsextremistischen Spektrum ereignen sich in München, Tegernsee, Füssen, Traunstein, Altötting, Mühldorf, Rottal-Inn, Schwandorf, Regensburg, Landshut und Neumarkt; nicht in allen Fällen gelingt es der Polizei die Täter zu ermitteln (diese Aufzählung ist nur eine Auswahl).“5

(zuletzt geändert am 17.10.2024)


1 Siehe „einige gedanken zu verschiedenen äußerungen über den film ‚beruf neonazi’“ von Valentin Hinterdobler.

2 Süddeutsche Zeitung vom 24. Februar 1994.

3 Siehe dazu auch http://www.filmzentrale.com/rezis/berufneonazisj.htm.

4 Siehe „Nazirock, Jugendkultur & rechter Mainstream“. Am 5. August 2011 schreibt Onkelzfan 1968: „Was Ihr da in http://protest-muenchen.sub-bavaria.de/artikel/2944 über die Onkelz schreibt, ist purer Unsinn. Den Song ‚Türken raus’ gibt es zwar leider, aber er entstand nicht zur Skin-Zeit der Onkelz, sondern zur Punk-Zeit. Die Onkelz waren weder zur Punk- noch zur Skin-Zeit rechts. Das zeigt auch, weil sie dem Label Rock´O`Rama Records den Rücken kehrten, als dieses zuneh-
mend rechte Bands wie Störkraft und Endstufe unter Vertrag nahmen. Ebenso haben sie der Skinhead-Szene den Rücken gekehrt, als diese zunehment von Neo-Nazis unterwandert wurde. Der Song ‚Türken raus’ spiegelte auch nicht deren politi-
sche Gesinnung wieder, sondern war eine Reaktion auf den Stress mit einer in Frankfurt lebenden Türkengang, den die Onkelz seiner Zeit aufgrund ihres Punkoutfits hatten. Zu der Zeit waren die Onkelz etwa 15, 16, 17 Jahre alt. Den Song haben die Onkelz auch nie veröffentlicht. Böhse Onkelz sind eine deutschsprachige Hardrockband mit intelligenten Texten, die es geschafft haben, ohne VIVA oder MTV bekannt zu werden, und davor ziehe ich meinen Hut. Wenn ihr also schon über rechte Musik schreibt, dann nennt auch rechte Bands. Und was das Jugendthema angeht: Ich bin 43 und seit 20 Jahren Onkelz-Fan. Ich hab keine Probleme damit. Wenn andere Probleme damit haben ist das deren Bier.“

5 Robert Schlickewitz, Sinti, Roma und Bayern. Kleine Chronik Bayerns und seiner „Zigeuner“, 2008, http://sintiromabayern.de/chronik.pdf, 161 f.