Materialien 1994

Nazirock, Jugendkultur & rechter Mainstream

Am 24. November spielten die BÖHSEN ONKELZ in der Rudi-Sedlmayr-Halle. Anlässlich dieses Konzertes lud das BACKSTAGE kurzfristig zu einer Gegenveranstaltung am gleichen Abend.

Kurz zu den Böhsen Onkelz: Diese sind eine Metalpunk-Band mit eindeutig faschistischer Vergangenheit als Nazi-Skin Gruppe mit Songs wie „Türken raus“; um nur ein Beispiel zu nennen. Seit einigen Jahren distanzieren sie sich von ihren krassesten früheren Songs (nicht von ihrem Publikum, was weiterhin wohl rechts einzustufen ist) und versuchen teilweise, ein anderes Image aufzubauen. Ihre im Herbst 1992 erschienene LP „Heilige Lieder“ erreichte mit 500.000 verkauften Exemplaren Platz 5 der deutschen LP-Charts:

„Die Erde hat uns wieder, so wie sie uns kennt,
Mit scheinheiligen Liedern erobern wir die Welt“
(Titelsong der LP)

Im Lichterkettenherbst 1992 gab es eine große öffentliche Diskussion um Auftrittsverbote für die Böhsen Onkelz. Sie gaben sich gewandelt und unverstanden. Die armen Jungs, die niemand versteht. Die Onkelz waren gern gesehene Gäste in Talkshows, und sie fanden in Daniel Cohn-Bendit und Alice Schwarzer prominente FürsprecherInnen.

In München wiederholte sich nun die Diskussion um ein Auftrittsverbot. Sabine Csampai (dritte Bürgermeisterin/Grüne) wandte sich gegen die Durchführung des Konzertes. In einem offenen Brief forderten erfolglos zahlreiche MusikerInnen, KünstlerInnen und KonzertveranstalterInnen von der Stadt die Rücknahme des Mietvertrages.

Das Backstage wollte nun das Konzert zum Anlass nehmen, „um über den Einfluss der rechtsradikalen Gruppen auf Jugendkultur und Rockmusik zu sprechen“ und über den Umgang mit jugendlichen Nazis in der Konzert- und Veranstaltungsszene zu diskutieren. Eingeladen waren dazu Ali Khan-Halmatoglu (Rockmusiker/Kabarettist), Ralf Homann Journalist), Judith Schnaubelt (Zündfunk), Martin Groß (AZ) und ein Mitarbeiter des Backstage.

Ungefähr hundert BesucherInnen hörten eine zum Teil sehr hitzige Diskussion, wo offensichtlich Welten aufeinander trafen. Unterbrochen von musikalischen Einlagen beteiligten sich auch zahlreiche BesucherInnen an der Diskussion, wobei es allerdings teilweise zu unsäglich bescheuerten Beiträgen kam wie z.B., dass das Rauslassen von Aggressionen auf der Bühne als neutrale Gefühlsäußerung erst mal positiv zu bewerten sei. Plattheiten und Sexismen, die manche vielleicht in einer öffentlichen „linken“ Diskussion für überwunden hielten, bestimmten phasenweise die Auseinandersetzung.

Allerdings gab es auch durchaus eine Reihe Beiträge, an denen es sich lohnt, weiter zu diskutieren, so z.B. über die von Ralf Homann vertretene These „der partiellen rechten Hegemonie“, die sich auch in einem „be male, be cool-Gehabe äußere, welches als Zeitgeisterscheinung den rechten Gruppen zuspiele. In seinen Augen ist ein Böhse Onkelz Konzert eine „schöne Männershow“.

Selbiges gilt auch für die vom Mitarbeiter des Backstage aufgeworfene Frage, wie subkulturelle Orte beschaffen sein müssten, dass sich Nazis dort nicht wohlfühlen, bzw. um ihre eigenen Probleme mit jugendlichen rechten Skinheads, die auch im Backstage schon aufgetaucht sind.

Unterschiedlichste Positionen innerhalb des Publikums und Podiums wurden auch deutlich an der Frage, ob es einer privaten TV-Produktionsfirma gestattet werden solle, die Diskussion und das Publikum zu filmen. An welchen Sender der Beitrag über Böhse Onkelz Konzert und Gegenveranstaltung verkauft werden sollte, war unklar, vermutlich TV-Weiß-Blau (jetzt TV-München).

Es gab ein längeres Hin und Her, wo allein das Auftauchen der Veranstaltung in den Medien, egal in welcher Form, als positiv bezeichnet wurde. Dem stand die klar formulierte Position einer Besucherin gegenüber, die eine Vermittlung über ein reaktionäres Medium ablehnte, da so soziale Emanzipation nicht funktioniere. Der Beifall hielt sich die Waage.

Zur angekündigten Party kam es nicht mehr; während gegen Mitternacht die einen nach Hause gingen, diskutierte eine andere Gruppe um den Podiumstisch herum weiter.

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Das Backstage nahm das Böhse-Onkelz-Konzert zum Anlass, um über den Einfluss der rechtsradikalen Gruppen auf Jugendkultur und Rockmusik zu sprechen. Wir dokumentieren im folgenden Teile des Beitrags aus dieser Podiumsdiskussion von Ralf Homann (Journalist).

Es gibt für mich zwei Gründe, warum ich nicht (mehr) über die „Böhsen Onkelz“ diskutieren möchte und einen Grund, warum ich es dennoch tue. Der erste Grund, warum ich nicht über die „Onkelz“ reden möchte ist der, dass die „Onkelz“ und ihre Musik ein Jugendthema sind und, wenn wir Faschismus oder Rassismus am Beispiel von Jugend diskutieren, dann machen wir (ungewollt) die Strategie der Bundesregierung mit, der es gelang, Faschismus in die Jugendecke abzuschieben. Fakt ist jedoch, dass faschistische Denkansätze selbstredend in allen Altersgruppen längst üblich sind und, dass Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Fakt ist auch, dass spätestens seit der Sinusstudie 1981 klar ist, dass Millionen Deutsche aller Altersgruppen ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben. Ein tatsächliches Problem für den Staat wurde dieser Rassismus allerdings erst mit den Pogromen. Diese Pogrome wurden in zweierlei Richtung politisch instrumentalisiert. Zum einen wurde Rassismus als Jugendproblem markiert, weil die strafrechtlich erfassbaren Attentäter mehrheitlich jünger als 27 waren. Es folgten und folgen immer noch dubiose“ Antigewaltprogramme“, die die Möglichkeit bieten, staatliche und gesamtgesellschaftliche Rassismen zu vernebeln – das ganze eben als „jugendliches Fehlverhalten“ abzutun und mit pädagogisierenden Sozialtechniken staatliche Problemlösungskompetenz vorzutäuschen.

Gleichzeitig dienten die Pogrome, speziell Rostock, dazu, eine Art „Sättigungsgrenze“ der Deutschen zu inszenieren. D.h., die staatliche Politik zielte darauf, dem Rassismus das Objekt zu entziehen, um ihn dadurch zu mildem, ohne die rassistische Konstruktion unserer Gesellschaft in Frage zu stellen. Damit bin ich bei meinem 2. Grund, warum ich nicht über die „Onkelz“ diskutieren möchte: Der rechte Hype. Wie Mark Terkessidis in der „Spex“ schrieb, werden – jetzt sinngemäß – rechte Szenen und Aktionen gehypt, während linke Ansätze unter die Wahrnehmungsschwelle gedrückt werden. Um zu erklären, wie das funktioniert, müssen wir uns den politisch-medialen Komplex anschauen. Dazu ein schnelles Bild: In Bonn wird Politik als Theaterspiel für das Wahlpublikum inszeniert. Die Medien setzen in dieser Inszenierung das Licht. Das heißt verkürzt, wenn in Bonn die Szene „Abschaffung des Grundrechts auf Asyl“ – und damit des Menschenrechts auf Freizügigkeit – auf dem Spielplan steht, wird das Licht so gesetzt, dass das plausibel wird. Rostock wird groß ins Rampenlicht gestellt (mit allen Effekten, die dann eintreten). Die Spots werden so gesetzt, dass die Rostocker Roma als Problem erscheinen und nicht unsere deutsche Gesellschaft, aus der die Mörder kommen. Linke Kritik, Demos etc. pp. werden abgedunkelt, so dass sie das Publikum nicht irritieren. Lediglich die fast zeitgleiche Lichterkette wird medial multipliziert, um dem rassistischen Drama den nötigen Heiligenschein zu verpassen.

Aber dieser rechte Hype beschränkt sich selbstredend nicht nur auf Rassismus. Da wird zum Beispiel ein „Heßgedenkmarsch“, der von seiner Größe und seiner Überschaubarkeit für den staatlichen Sicherheitsapparat kein Problem ist und deshalb keine Bedrohung für den Bestand der Bundesrepublik darstellt, solange hochgeredet, bis das erste flächendeckende Demonstrationsverbot in der jüngsten deutschen Geschichte über die Bühne geht, ohne dass das Publikum Tomaten wirft.

Ich will jetzt hier nicht missverstanden werden. Ich halte selbstverständlich Aktionen gegen Nazis für ganz klar notwendig. Fakt ist aber, dass der Staat rechte Aufmärsche, Attentate, Anschläge und Morde dazu benutzt, um rechte Politik – wie die Außerkraftsetzung von Menschenrechten – zu verkaufen.

Und damit bin ich beim dritten Punkt. Warum ich doch über die „Böhsen Onkelz“ reden möchte. Stichwort kulturelle Hegemonie. Diesen Ansatz von Gramcsi, der – jetzt verkürzt – argumentierte, dass vor der politischen Machtübernahme (des Proletariats) erst eine Vorherrschaft in der Kultur erreicht werden muss. Diesen Denkansatz hat die Neue Rechte, also die Intellektuellenfraktion der Rechtsextremisten, übernommen, die Fraktion, die von Mohler, dem Ex-Chef der Siemens-Stiftung bis hin zu kleinen Revisionisten wie Althans reicht. Und die „Onkelz“ sind Bestandteil dieser Strategie. Allerdings weniger sie selbst, sondern spannender ist die Frage, warum eine Band, die mäßige Musik macht und bei einem Minilabel wie Rock-o-Rama vor sich hindümpelt, plötzlich einen Vertrag bekommt, bei einer Company wie Bellaphon, die dann die „Onkelz“ in die Top-Ten puscht. Ich behaupte, obwohl mir die Musikjournalisten es nie richtig erklären konnten – weil diese Band ein rechtsextremes Image hat und weil die Bellaphon zu recht erkannte, dass diese Nazi-Konnotation Auflage und Profit verspricht, weil es dafür einen Markt gibt.

Ich behaupte, dass die „Onkelz“ als Zeichen von rechter Gesinnung mittlerweile verbraucht sind. Sie haben ihr Massenpublikum und sie sind in ihrem Musiksegment mehrheitsfähig geworden, obwohl sie rechts konnotiert sind. Für mich ist deshalb die Diskussion über die „Onkelz“ gegessen, mit Ausnahme der Frage, wie es rechter Kultur gelingt, mehrheitsfähig zu werden. Zentral ist dabei für mich nicht die Diskussion, wie wir gegen eine rechtsextreme (partielle) Mehrheitsfähigkeit mit Repression vorgehen können, sondern mit emanzipatorischen Ansätzen. Oder anders gesagt: 1. Woher kommt die Faszination des Bürgertums für die Nazis, die sich auch in einer Unzahl von Dokumentar- und Spielfilmen über Nazis und Nazi-Skins wiederspiegelt, im maskulinen Glatzenkult usw. usf. und 2. Wie können wir unsere eigene Kultur so entwickeln, dass die Nazis keine kulturelle Vorherrschaft und keine Vorherrschaft in den politischen Denkfiguren erreichen können?


Stadtratte 24 vom Dezember/Januar 1994/95, 4 f.