Materialien 1995
Für das Recht auf Leben kämpfen
Demonstration am 9. Dezember in München
Am 9. Dezember, am Vortag zum Tag der Menschenrechte, fand in München eine Demonstration statt. Wir veröffentlichen einen kurzen Bericht und ein Grußwort von Rolf Heißler, Gefangener aus der RAF.
Gekommen waren ca. 200 Leute v.a. aus München und Nürnberg/Fürth. Die Polizei war auch zahlreich vertreten, hielt sich aber weitgehend im Hintergrund. Dafür nervte die Penetranz der herumstreunenden Zivilb.
Es gab keine außergewöhnlichen Auflagen, auch kein Verbot von Seitentransparenten, wie oft in München. So unterschied sich die Umgehensweise mit der Demonstration eklatant von dem massiven Vorgehen gegen die Besetzung des kurdischen Elternvereins am Wochenende davor oder gegen von der Kurdistan-Solidarität angemeldeten Veranstaltungen.
Natürlich war die permanente Kriminalisierungskampagne gegen die KurdInnen hier und speziell in München auch Thema von zwei Redebeiträgen bei der Auftaktkundgebung am Sendlinger Tor.
Am Frauen- und Jugendknast in Neudeck wurden v.a. Grüße an Senem über die Mauern gerufen, die vor einigen Wochen im kurdischen Elternverein festgenommen wurde und seither dort gefangengehalten wird. Von einem afrikanischen Genossen wurde ein Lied vorgetragen, welches dieser extra für die Demonstration komponiert hatte, für die Freiheit von Mumia und allen anderen politischen Gefangenen. Außerdem gab es ein Grußwort von Rolf Heißler, Gefangener aus der RAF, derzeit in Frankenthal, und einen Beitrag von Günter Sonnenberg aus der Angehörigengruppe und ehemaliger Gefangener aus der RAF. Auf der Abschlusskundgebung wurde noch ein Grußwort einer zeitgleich zur gleichen Thematik stattfindenden Kundgebung in Heidelberg verlesen.
Insgesamt kann mensch von einer politisch geschlossenen und soweit erfolgreichen Demonstration in München sprechen, zu der allerdings etwas mehr Menschen hätten kommen können.
Infobüro für die Solidarität mit den politischen Gefangenen Nürnberg
Grußwort von Rolf Heißler
Die weltweite Kampagne für die Rettung von Mumias Leben hatte einen ersten Erfolg. Die USA sahen sich zur Aussetzung seiner Hinrichtung gezwungen und hoffen durch das in die Welt gesetzte Signal der Überprüfung des Urteils, die Solidarität wieder eindämmen zu können, um das staatliche Ziel: die Vernichtung des politischen Gegners dennoch zu erreichen.
14 Jahre Todeszelle, 14 Jahre Totalisolation sind 14 Jahre weiße Folter. Und das soll auf ungewisse Zeit fortgesetzt werden. Mumia selbst hat beschrieben, wie viele unter diesen menschenvernichtenden Bedingungen bereits vor ihrer staatlich legitimierten Ermordung zerbrechen. Der Angriff gegen Mumias Leben ist mit der Aussetzung der Hinrichtung nicht beendet, sondern setzt sich so lange fort, wie er im Knast ist und handlungs- und artikulationsfähig bleibt.
Selbst wenn der Imperialismus Zugeständnisse macht, ändert sich nichts an seinen Zielen: der ungezügelten „Freiheit“ des Kapitals und der Globalisierung des Marktes zu Lasten der Menschen, wie auch an den sogenannten Friedensverhandlungen oder -abkommen von El Salvador über den britisch besetzten Teil Irlands bis hin zu Palästina zu sehen ist.
Der gemeinsame Kampf drinnen wie draußen zwang die BRD bei uns zur Aufgabe der Isolationsfolter, Modifikation der Sonderbehandlung und letztlich auch zur KGT-Initiative, der staatlichen Planung auch unserer Freilassung auf Bewährung, was der Öffentlichkeit eine Normalisierung vorgaukeln sollte, in Wahrheit jedoch lediglich auf Spaltung und Unterwerfung zielt. Die psychischen und physischen Auswirkungen der weißen Folter sind nicht mit deren Ende abgeschlossen und, wenn überhaupt, auf jeden Fall nicht in der Gefangenschaft regenerierbar. Bei der roten Folter wurde dem mittlerweile durch Einrichtung vieler Rehabilitationszentren Rechnung getragen, bei der weißen ist es wissenschaftlich noch weitgehend unerforscht.
Die BRD war Frontstaat gegen die realsozialistischen Länder und Hinterland für die Bekämpfung der Befreiungsbewegungen in den drei Kontinenten. Nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus geht nicht nur die polizeiliche und paramilitärische Unterstützung der Aufstandsbekämpfung weltweit weiter, sondern wird auch die Bundeswehr verstärkt zur Sicherstellung der Globalisierung des Marktes eingesetzt.
Am deutlichsten ist das in der Kooperation bei der Bekämpfung des kurdischen Volkes zu sehen. Nach außen wird das türkische Regime uneingeschränkt politisch, ökonomisch und militärisch von der BRD unterstützt, nach innen werden die Freiheitsbestrebungen des kurdischen Volkes durch das Verbot der legitimen Vertretung des kurdischen Volkes, der PKK und ihren Organisationen, kriminalisiert. Hunderte von Kurdinnen und Kurden hocken unterdessen in bundesdeutschen Knästen und werden teils wie auch die Genossen aus dem angeblichen radikal-Zusammenhang gleichermaßen isolationsgefoltert, wie wir einst wurden. Die menschenrechtswidrigen Methoden zur Vernichtung des politischen Gegners haben sich in der BRD in den letzten Jahren um nichts geändert.
Morgen zum Tag der Menschenrechte werden wir einmal mehr hübsche Statements von den PolitikerInnen hören, die Grünen vorneweg, sie werden sie für anderswo einfordern, aber für hier weiterhin so tun, als seien sie gewährleistet, als ob das Recht auf Leben nicht auch hier genügend Menschen verweigert würde.
Die Menschenrechte erkämpfen heißt, universell für das Recht auf Leben zu kämpfen.
Angehörigen Info 176 vom 2. Januar 1996. Herausgegeben von Angehörigen, Freunden und Freundinnen politischer Gefangener in der BRD, www.nadir.org/nadir/periodika/angehoerigen_info/ai176.html.