Materialien 1997

Eingekrempelter Krempel

Robin Page

Vor vier oder fünf Jahren ist er entstanden, der Blaubart. Mein Bart war weiß, aber es gibt keine Zukunft für einen weißen Bart. Mit einem blauen Bart hat man einen Regenbogen vor sich. Ich liebe das, das wirkt intellektuell und sehr aggressiv.

Ich habe da meinen Punker, der besorgt es für mich. Wenn ein junger Mann so viel Spaß damit haben kann, warum nur ein junger? Ich habe diesen Mut kopiert. Ich habe auch von meinen Studenten gelernt. Wir treffen uns in der Straße: Ein Päckchen Farbe gefällig? Wir machen Spaß damit. Für mich ist es das Wichtigste: hier den Spaß, den Humor nicht zu verlieren.

Da gibt es den historischen Mythos von Gilles du Rais aus dem 15. Jahrhundert, einem Marschall, der hingerichtet wurde, weil er der schwarzen Magie verfallen und zum Kindesmörder geworden war. Barbe bleue, blau, das ist so eine unechte Farbe, gemischt mit Mythologischem: jeder weiß etwas darüber und weiß es doch nicht. Die böse Erinnerung an den Frauenkiller ist ein guter An-
fangspunkt gegen das Gute. Ich hasse das Gute. Ich erlaube das Böse als Möglichkeit von Freiheit. Ich liebe diese Hintergedanken.

Ich liebe auch die Sufis, die Mystiker im Islam. Sie feiern da einen Heldenpriester, Nasreddin Hoça, der macht lauter Witze. Ein Held, der Witze macht! So bin ich vielleicht Nasreddin Page.

Das sind meine Helden, subversiv, witzig, auch aggressiv. Das ist auch mein Modell für das Kon-
zept von Blaubart – weil ohne Konzept bist du ein romantisches Arschloch. Blaubart ist frank und frei und gemein. Er sagt, was er will. Er ist frech und nachdenklich.

Jede Generation braucht eine neue Figur, als Ausdruck von etwas Uraltem. Sonst könnten sie ja alles nur historisch sehen, und das wäre bedrückend.

Ich habe Performances gemacht, Happenings in der Fluxuszeit der 60er Jahre in Leeds, England mit vielen Leuten. Ich war da Professor für klassische Kunst an der Akademie, es war eine tolle Zeit! Aber ich war auch oft enttäuscht, dass nach so schönen Abenden nichts blieb als ein paar Bananenschalen auf dem Fußboden. Ich habe den Geist dieser Zeit so geliebt, ich wollte sozusagen eine permanent performance machen. Und zwar in meinen Bildern. So steige ich in meine Bilder als Schauspieler. Das Bild wird zu einer permanenten Bühne für meine Gedanken, für meine Ideen. Bis ich nach 10, 15 Jahren gemerkt habe, dass ich nur noch das Modell für mein Super-Ego, für meinen Superhelden bin. Dass er mich benutzt. Dass Blaubart mich benutzt.

Ich muss eine klare Linie finden, eine, die gewaltig und frei ist. Die meine Meinung ausdrückt, aber kein Futter liefert für Galeristen, Kritiker und andere Kulturarschlöcher, die nur in Typen katalogi-
sieren können. Ich blockiere das. So schneide ich der Priesterklasse die Eier ab. Sie haben nichts zu tun mit meinen Bildern. Sie hassen mich, sie können mich nicht interpretieren, ich mache sie ar-
beitslos. Weil – die Leute können doch selber Bilder lesen.

Leider beherrsche ich das Deutsche nicht gut genug, um mich gemein genug ausdrücken zu kön-
nen. Das ist ein Kulturproblem. Ich war zu alt, als ich nach Europa kam, um noch wirklich inter-
essiert an der Sprache zu sein.

Ich kämpfe sozusagen gegen die letzten hundert Jahre Visualkunst, seit dem Impressionismus. Das ist alles vorbei und ich versuche den nächsten Schritt zu tun, Möglichkeiten visuellen Ausdrucks, die nicht mehr nur befriedigen, nicht mehr nur Blumen für die Augen produzieren. Sondern fra-
gen: Wie ist etwas und wie sieht es aus?

Ich probiere, nicht Professor zu spielen. Ich bin ein Profi und ich habe einen Job, durch den ich zwei Dinge bekommen: Kohle und Freiheit. Ich behalte die Kohle und gebe die Freiheit an die Studenten weiter.

Es sind nicht >meine< Studenten, sie sind weder mein Nachwuchs noch meine Neger. Ich habe keine Schule. Alles, was ich zu tun habe, ist meine Studenten gut zu behandeln, ihnen so viel Freiheit wie möglich zu lassen. Sie malen von realistisch bis abstrakt. Ich lehre nicht. Ich unter-
stütze ihre Freiheit. Die Wenigen, denen ich trauen kann, suche ich mir selber aus – wie die Sufimeister. Nur Weise wissen, wer besser lernen kann. Mehrere von ihnen habe ich in Kneipen getroffen.

Auch wenn ich dann manchmal enttäuscht bin, da können sie ja nichts dafür. Du kannst nicht schimpfen gegen Schwache. Du sollst sie nicht brechen, du sollst sie unterstützen, solange sie unter deinem Einfluss sind. Sie aufbauen. Ich benütze kein Zuckerbrot und keine Peitsche.

Wir treffen uns ganz normal, privat, wir trinken und wir reden miteinander. Sie nennen mich Ro-
bin. Es ist ein bisschen wie eine Familie, aber ich bin nicht die Mitte meiner Klasse. Ich probiere, die Mitte leer zu halten. Wir brauchen auch keinen anderen in der Mitte des Kreises. Ich habe großen Einfluss: ich habe sie in diesen Kreis gebracht. Aber ich versuche, die Macht in Freiheit zu verwandeln. Die Form dieses Kreises ist immer in Bewegung. Sie wechselt mit jedem, der neu kommt.

Ich bin nicht schlecht, in dem, was ich tue: die Studenten sind zufrieden über ihren Erfolg, nicht über mein Wohlwollen. They realize, they can’t please me, so they start to please themselves.

Das ist das Beste, was du tun kannst in dieser undisziplinierten, undifferenzierten Welt. Sie sollen die Könige sein, die Studenten, die Starken und die Wissenden.

Jeder soll tun, was er am besten kann.

Ich baue keine lebenslange Beziehung auf zu den Studenten. Man ist sich eine Zeit sehr nahe, sehr close, sehr intim. Aber dann, nach dem Diplom: Bye, bye, Baby! Ich will sie später nicht mehr se-
hen.

Seit über zwölf Jahren bin ich jetzt Teil dieser Gegend, dieser Straße. Das ist aber eher ein Zufall, ein peinlicher. Hier habe ich mit 48 die erste feste Anstellung meines Lebens bekommen. Den Lehrstuhl. Ich hatte mich in Wien beworben mit dem Arnulf Rainer und dem Spoerri. Der Rainer hat hoch gepokert und hat gewonnen. Ich habe dann hier den Job bekommen. Ich mache ihn noch ein paar Jahre, wenn die Blindheit mich nicht einholt. Es wird immer schlechter mit dem Sehen. In der Mitte der Pupille ist alles grau und trüb. Deshalb erkenne ich oft Leute auf die Entfernung nicht mehr.

Geboren bin ich in England, war bis sieben in Hollywood, dann ging’s nach Vancouver. Mein Vater war Cartoonist und ich ab 27 on the road. Und dieser Weg endete in dieser Scheißstraße hier. Das ist mein Getto zwischen Ludwigstraße und der Straßenbahn, zwischen Georgen- und Theresien-
straße. The end of the road, the end of the world! Wie aus einem Beatnik ein Hippie wird. Yeah!

Vielleicht bin ich ja auch ein alter Cowboy und ein alter Hippie, aber ich verändere mich nicht mehr.

Statt hier zu sein, wäre ich lieber in einem Gefängnis in Nordafrika wegen Esel-Schmuggels.

Ich bin hier durch die Hölle gelaufen. Jesus hatte Glück und Moses und Mohammed und wer noch alles – sie waren nur vierzig Tage in der Wüste und ich jetzt schon über zwölf Jahre in München.

Wenn man behauptet, die Gegend hier sei besonders locker, daraus lässt sich ja schließen, wie verklemmt die übrige Stadt sein muss!

Ich habe einen Job gebraucht, damals, ich war pleite und habe nun diesen, glücklicher – oder unglücklicherweise.

Ich habe vorher alles Mögliche gemacht: Cartoons, Ausstellungen, Fernsehen, an die 65 Jobs. Dazwischen bin ich getrampt. Das erste Mal, als ich nach München kam, war ich zehn Tage hier. Aber nur im Bett. Ausschließlich im Bett. Das ist natürlich eine andere Perspektive als nach zehn Jahren. Jetzt wohne ich mit meiner zweiten Frau und den Hunden in diesem kleinen, hässlichen Slum mit Garten hinter der Akademie, der aussieht wie ein Flugzeugträger. Wo früher ein Gestör-
ter mit neun Kindern ohne Bad gewohnt hat und wo die Tiermalschule war. Für die Hunde ein Paradies. Vier Hunde, Neufundländer, gemischt. Wenn sie in den Teich springen, ist der voll.

End of the road: hier ist man konservativ und sehr zufrieden. Vor allem mit sich selber. Ich glaube, sie hassen Ausländer. Am liebsten würden sie schon am Flughafen ein Schild aufstellen: Ausländer verboten! Also so jemand wie Tina Turner dürfte schon ein Konzert geben, am nächsten Tag müss-
te sie aber wieder weg sein.

Am liebsten möchte ich raus aus dieser Stadt! Sie ist so doof!

Lauter eingekrempelter Krempel! Dumm, eingebildet und total konservativ! Und erst die Münch-
ner Kultur: kleinkariert und inzestuös! Ich habe immer gedacht, zur Kunst gehöre Freiheit und Spaß. Aber nicht hier. Ich hasse zum Beispiel Künstlerkolonien. Die Akademie ist eine Künstler-
kolonie. Und die letzte Generation von Künstlern sind lauter Bunny Rabbits geworden, lauter Kaninchen: brav, rückwärts gewandt und feig. Keiner mehr, der sich irgendwo engagiert. Keine Courage haben sie mehr, feig sind sie! Nicht nur in München, in ganz Deutschland.

Ich will weg von diesen Idioten! Ich will nicht einmal mit ihnen kämpfen, das wäre ein verlorener Krieg!

Ich bin nicht der Typ für München! Sie brauchen diesen Typ nicht in München, sie brauchen andere Typen. Von denen haben sie zwar schon genug, aber trotzdem.

Da hat mich doch neulich dieses Arschloch, dieser Redakteur der Süddeutschen, mit einem stadt-
bekannten Penner verglichen! Das ist eine totale Beleidigung, ein Angriff auf mich persönlich. In Amerika würdest du eine halbe Million bekommen für die Beleidigung, aber hier dürfen sie ja alles schreiben. Fucking man.

Das einzige, was künstlerisch hier entstanden ist, ist die Blaubartserie. Aber sie interessiert sie nicht. Sie interessiert die Leute nicht. Ich habe manchmal das Gefühl, sie hassen mich hier.

Ausstellungen habe ich in den letzten acht Jahren keine gemacht, nur in Venedig war ich bei der Biennale.

>Du bist Ausländer, was willst du denn? Was erlaubst du dir?< Das ist so die Mentalität. >Das ist schließlich unsere Stadt, unsere Kultur!<

Aber sie schmücken sich gern mit einer Ausnahme. Ich fühle, wenn ich weggehe, wird es heißen: >Wir haben einen bunten Vogel gehabt, haha, an der Akademie! Wir sind also eine freie Akade-
mie!<

Ich bin zu groß für diese Stadt! Meine Seele ist zu überdimensional und mein Geschmack! Diese kleinkarierten Künstler kotzen mich ja so an! Das ist Logopipikram, was hier passiert! Sie nennen sich eine Weltstadt mit Herz und sind nur ein kleines Dorf voller Arschlöcher!

Ich bin durch Job und Armut hier festgenagelt. Sonst interessiert mich die Straße null. Man könnte sie umpflügen, zum Kanal machen, ein paar Gondeln darauf fahren lassen.

Sonst ist sie gut nur um einzukaufen und in den Kneipen zu sitzen. Ein paar Leute zu treffen. Da gibt es welche, die treffe ich so oft, dass ich schon meine, ich kenne sie.

Damals vor ein paar Jahren, das war eine coole Zeit im >Etcetera<: da wurde Klavier gespielt und der Paul hat seine verrückten Gedichte vorgetragen und alle haben gequatscht und gelacht und geredet. Es war toll. Aber es dauerte nicht lange. Jetzt ist es vorbei.

Ich habe hier viele nette Leute getroffen, viele persönliche Geschichten erlebt, das ist nicht schlecht. Ich habe immer Leute um mich, ich interessiere mich für sie. Ich bin neugierig in Men-
schen. Wenn sie mich aber nicht in Ruhe lassen, wenn sie immer picken, dann sag ich: >Lass das, sonst schlag’ ich dich in die Fresse!<

Ich liebe normale Kneipen und ich hasse es, wenn sie von jungen, blöden Typen übernommen werden. Die könnte man wahrscheinlich bloß mit dem Gewehr stoppen. Eine schnelle Lösung, obwohl ich gegen Gewalt bin. Ich schätze sehr die Arbeit von >Greenpeace< und >amnesty international<. Und so etwas ähnliches versuche ich auch zu machen. Ich habe meinen Mut, wütend zu sein. Den will ich auch behalten. Ich habe kein Prinzip entwickelt, keinen universellen Anspruch auf Jesus oder Marx oder Baghwan. Ich will nicht über Gott sprechen, sondern über eine Person. Die Person ist nicht weniger wert als die Idee. Und meine Idee ist: ich will eine reiche, vielfältige Welt gegen eine Monokultur setzen. Die Monokultur dieser Konsum-Society, was den letzten Versuch darstellt, die Welt heil zu sehen. Sie ist es aber nicht. Sie ist am Arsch. Deutschland geht da auch nicht vorwärts, es bleibt stehen, wird so mit der Welt untergehen.

Ich will jedenfalls nicht hier sein, wenn es passiert!

Die Fluxuszeit war voller Humor. Und ich versuche mit meiner Arbeit, den Ernst zu brechen, Spaß und Humor leben zu lassen. Weil für mich Humor der größte Ausdruck von Weisheit ist, den es gibt.

Nach der Jahresausstellung im Juli 98 verlässt Robin mit Frau und Hunden sein »Getto« für immer und zieht in ein blaues Holzhaus in Nova Scotia, Kanada.


Hella Schlumberger, Türkenstraße. Vorstadt und Hinterhof. Eine Chronik erzählt, München 1998, 467 ff.

Überraschung

Jahr: 1997
Bereich: Kunst/Kultur

Referenzen