Materialien 1998
Untersuchungskommission zum Tod von Andrea Wolf u.a.
Am 22. Oktober 1998 wurde Andrea Wolf in der Region Van im kurdischen Gebiet der Türkei von türkischen Armeekräften nach einem Gefecht gefangengenommen und kurze Zeit später ermordet. Die 33jährige Internationalistin aus München gehörte zu einer Guerillaeinheit der ARGK, dem militärischen Flügel der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Augenzeugen zufolge wurden Andrea Wolf und mindestens acht weitere Guerillero/as, nachdem sie gefangengenommen und entwaffnet worden waren, hingerichtet.
Die Erschießung von wehrlosen Gefangenen erfüllt nach geltendem internationalem Recht den Tatbestand des Mordes und ist ein eklatanter Verstoß gegen das internationale Völkerrecht. Das wurde in der Haager Landkriegsordnung ebenso festgelegt wie in den Zusatzprotokollen der Genfer Konvention von 1977, die sowohl für zwischenstaatliche wie innerstaatliche Konflikte gelten. Es gibt zahlreiche Hinweise auf systematische Verstöße der türkischen Armee gegen die Genfer Konvention im Krieg gegen kurdische GuerillakämpferInnen. Während von kurdischer Seite die Genfer Konvention 1995 unterzeichnet wurde und seitdem eingehalten wird, verweigert die Türkei bis heute ihre Unterschrift.
Die Türkei führt einen schmutzigen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung: Seit 1984 wurden über 3.000 Häuser in der kurdischen Provinz des Landes zerstört und die kurdischen BewohnerInnen massenhaft vertrieben. MenschenrechtlerInnen „verschwinden“, im staatlichen Auftrag wird auf JournalistInnen geschossen und SchriftstellerInnen inhaftiert, gefoltert und ermordet, weil sie die offizielle Politik, die von dem Leitmotiv „Es gibt keine Kurden, es gibt nur kurdische Terroristen“ bestimmt ist, kritisieren. Wie wenig demokratisch das türkische Regime ist, zeigt der Prozess gegen Abdullah Öcalan, den Vorsitzenden der kurdischen Arbeiterpartei PKK, dessen VerteidigerInnen bedroht und angegriffen wurden.
Die Bundesrepublik Deutschland, die übrigen europäischen Staaten und die USA unterstützen das türkische Regime mit Militärhilfe, Ausbildung von Spezialeinheiten etc., und das Ergebnis der Zusammenarbeit auf der Geheimdienstebene war offenbar die Entführung von Öcalan und seine Überstellung an die Türkei. Die Parteinahme gegen die Kurdinnen setzt sich innenpolitisch durch das „PKK-Verbot“, die Schließung kurdischer Organisationen und Vereine und die Abschiebung türkischer und kurdischer RegimegegnerInnen fort.
In einer offiziellen Anfrage der Bundesregierung zur Aufklärung der Todesumstände von Andrea Wolf vor Weihnachten hieß es lapidar, man wisse auch nicht mehr als in den Berichten des kurdischen Senders Med-TV gebracht worden sei. Auch wenn die Voraussetzungen schwieriger nicht sein könnten und vor dem Hintergrund der momentanen politischen Stimmung in der Türkei noch schwieriger werden dürften, wurde eine „Internationale Unabhängige Untersuchungskommission“ auf den Weg gebracht, um die Todesumstände von Andrea Wolf und ihrer mindestens acht MitkombattantInnen aufzuklären. Sie steht mit ihrer Aufgabenstellung im Kontext des allgemeinen Kampfes für die Menschenrechte.
Die Aufklärungsarbeit der Kommission soll eine öffentliche Verurteilung des türkischen Staates wegen systematischer Missachtung der Menschenrechte unterstützen und ihn dazu zwingen, die Genfer Konvention zu unterschreiben, anzuerkennen und einzuhalten. Die Verantwortlichen für Misshandlung, Folter und Ermordung sollen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Kommission gibt auf Anfrage gerne Informationen an Interessierte weiter und ist ihrerseits an Hintergrundmaterial interessiert.
Kontakt: Internationale Unabhängige Untersuchungskommission zur Aufklärung der Todesumstände von Andrea Wolf und weiteren KämpferInnen in Kurdistan und zur Untersuchung von Kriegsverbrechen und der Behandlung von Kriegsgefangenen durch das türkische Militär“ – Koordinationsbüro München, c/o Rechtsanwältin Angelika Lex, Landwehrstraße 55, 80336 München, Tel.: 089/51 39 93 00, Fax: 089/51 39 93 99, e-mail: iuk-andrea.wolf@brd.de …
sechste hilfe. Die unsichtbare Zeitschrift, Sommer/Herbst 1999, 74.