Materialien 2002
„Wir sind Marktführer bei der Sicherheit“
Warum blieben die Chaostage friedlich? Was hat Sicherheit mit Freiheit zu tun? Warum ist das Zuwanderungsgesetz eine Mogelpackung? Peter Schmalz sprach mit Bayerns Innenminister Günther Beckstein.
BAYERNKURIER: Die angekündigten Chaostage in München haben gezeigt: Der Staat kann Si-
cherheit garantieren.
Günther Beckstein: Tatsächlich konnte sich das gewaltbereite Potential nicht entfalten. Immerhin wurden in und außerhalb Münchens über 1.800 Personen kontrolliert und über 1.000 Platzverwei-
se verhängt. 124 Personen mussten in vorübergehenden Gewahrsam genommen werden. Entschei-
dend war also, dass wir nicht den Fehler der anderen Ländern gemacht haben, bei denen sich die Polizei erst verstecken musste, um Chaoten nicht zu provozieren, was als Deeskalationsstrategie bezeichnet wird. Unsere Strategie heißt: Deeskalation durch Stärke. Wir zeigen bewusst die Prä-
senz der Polizei. Die über 1.500 Beamten hatten die Anweisung, auf niedriger Schwelle einzu-
schreiten und nicht eine Entwicklung zuzulassen, die dann nur schwer beherrschbar wird und wo das Eingreifen der Polizei von Randalierern oft auch noch als Provokation empfunden wird.
BAYERNKURIER: Ein Konzept, das schon bei der Münchner Sicherheitskonferenz erfolgreich war.
Beckstein: Das ist die von uns entwickelte bayerische Linie. Wenn das Gegenüber der Polizei weiß, Bayern lässt sich Gesetzesverstöße nicht gefallen, dann ist das doch eine faire Sache. Dann weiß der Betreffende, dass er in dem Moment, wo er sich versündigt, auch sofort zur Rechenschaft gezo-
gen wird. Es wäre doch ungerecht, den Parksünder zu verfolgen und gegenüber dem Gewalttäter zurückhaltend zu sein. Weil unsere bayerische Linie bekannt ist, sind am vergangenen Wochenen-
de viele erst gar nicht angereist. Denn es macht wenig Spaß, nach München zu kommen und dann das Wochenende im Bau, also in Untersuchungsgewahrsam zu verbringen.
BAYERNKURIER: Sie gelten als „Mr. Sicherheit“. Was bedeutet für Sie Sicherheit?
Beckstein: Sicherheit und Freiheit sind für mich nicht Gegensätze, sondern Sicherheit ist die Vor-
aussetzung für Freiheit. Ich bin von Beruf Anwalt und weiß, welche Bedeutung die Grundrechte für die Bürger haben. Mit der Polizei müssen wir diese Rechte schützen. Der Bürger hat doch viel mehr Angst vor dem Einbrecher als davor, dass die Polizei bei einer Kontrolle seine Rechte beeinträch-
tigt. Die Leute haben Sorge um ihre Sicherheit. Und wir haben die Aufgabe, dies ernst zu nehmen. Für mich bedeutet Kriminalität zu bekämpfen, sich für die Freiheit der Bürger einzusetzen. Selbst-
verständlich wollen wir keinen Überwachungsstaat, aber die im bundesweiten Vergleich höhere Si-
cherheit, die wir in Bayern haben, empfinden die Bürger als einen sehr hohen Wert.
BAYERNKURIER: Bayern gilt als das sicherste Bundesland. Sind die Bayern besonders gesetzes-
treu?
Beckstein: Wir sind in der Tat Marktführer bei der inneren Sicherheit, auch wegen der Unterstüt-
zung der Polizei durch die Bürger, die sich etwa als Zeugen melden. Wir haben mit Baden-Würt-
temberg zusammen die wenigsten Straftaten pro 100.000 Einwohner, also die niedrigste Häufig-
keitsziffer, und sind mit weitem Abstand das Land mit der höchsten Aufklärungsquote. Das sind die beiden entscheidenden Kennziffern für Sicherheit. Darauf bin ich stolz. Kürzlich hat sich der Generalkonsul eines auswärtigen Landes bei mir dafür bedankt, dass er abends durch München gehen kann, was er in seinem Heimatland nie wagen würde. Der Schutz des Bürgers vor Kriminali-
tät ist die Kernkompetenz des Staates. Und da können wir Gott sei Dank sagen: In Bayern gehen die Uhren anders, nämlich richtig.
BAYERNKURIER: Für diese konsequente Linie haben Sie in der Vergangenheit oftmals verbale Prügel einstecken müssen.
Beckstein: Das können Sie laut sagen. Kritik gehört dazu, wenn man eine hohe Verantwortung trägt. Nicht selten aber hat die Kritik an mir jedes Maß überschritten. Doch diese oft völlig über-
zogenen Reaktionen sind seit dem 11. September deutlich geringer geworden. Selbst Parteien wie die Grünen, die für die Sicherheit früher nie etwas übrig gehabt hatten, sehen jetzt, dass es ohne Sicherheit und Sicherheitsorgane nicht geht. Wir bekommen seither eine breite Zustimmung, weil die Leute gesehen haben, dass die bayerische Linie so falsch gar nicht ist.
BAYERNKURIER: Nun hat uns der 11. September in schrecklicher Weise gezeigt, dass es noch eine weitere Dimension der Sicherheit gibt.
Beckstein: Der 11. September zeigt, dass innere und äußere Sicherheit nicht mehr so sauber wie früher zu trennen sind. Und er zeigt die ungeheuere Gefahr, die der gesamten westlichen Zivilisa-
tion durch islamistische Fundamentalisten droht. Diese Leute sind, wenn sie fanatisiert sind, fern von unserer Wertordnung. Sie sind getrieben von einer Motivation, die außerhalb unseres Vorstel-
lungsvermögens liegt. Da verwandelt sich ein smarter Jungakademiker, der eine glänzende Berufs-
karriere vor sich hätte, eines Tages in einen zur äußersten Gewalt bereiten Islamisten, der davon spricht, sein Leben bewusst opfern zu wollen, um als Märtyrer für den heiligen Krieg zu sterben.
BAYERNKURIER: Es gab inzwischen erhebliche zusätzliche Sicherheitsbemühungen. Ist die Ge-
fahr gebannt?
Beckstein: In der deutschen Öffentlichkeit werden selbst heute noch die Gefahren durch den isla-
mischen Terrorismus unterschätzt. Viele bei uns sehen den 11. September als ein Ereignis im fer-
nen New York und Washington und haben gar nicht zur Kenntnis genommen, dass Straßburg an Weihnachten 2000 nur haarscharf einem fürchterlichen Anschlag entkommen ist. Dieses in Frankfurt geplante Verbrechen konnte durch einen Hinweis eines ausländischen Geheimdienstes knapp 24 Stunden vorher aufgedeckt werden. Eine Person, die Kontakt zu den Tätern hatte, lebte in München und wird auch beschuldigt, an Telefonaten zu geplanten Anschlägen in Genua und in Rom beteiligt gewesen zu sein.
BAYERNKURIER: Und die Bedrohung hält an?
Beckstein: Alle Sicherheitsbehörden rechnen damit, das Al Kaida wieder zuschlägt. Der Krieg ge-
gen den Terror in Afghanistan hat zwar einiges von deren Logistik zerstört, aber dennoch ist Al Kaida weiterhin handlungsfähig. Wir wissen, dass islamistische Fundamentalisten weiterhin eifrig kommunizieren und häufig reisen, aber man weiß nicht, wann und wo sie etwas planen. Wir haben Beweise dafür, dass sie über Anschläge diskutieren, aber wir haben keinen konkreten Hinweis. Wir sprechen deshalb von einer erhöhten abstrakten Gefahr.
BAYERNKURIER: Also ist man hilflos ausgeliefert?
Beckstein: Keineswegs. Wir haben in Bayern ein Sicherheitspaket im Umfang von 200 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Wir haben den Verfassungsschutz verstärkt und bei ihm allein 50 neue Planstellen zur Überwachung des Islamismus geschaffen. Also nicht des Islam und seiner in der übergroßen Zahl friedlichen Anhänger, sondern der Extremisten, die sich zu Unrecht auf diese Re-
ligion berufen.
BAYERNKURIER: Haben wir die Gefahr verkannt, die in der Zuwanderung liegt?
Beckstein: Ich bin nicht bereit, das „wir“ zu akzeptieren. Es gibt viele, die nicht einsehen wollen, dass es Wertordnungen gibt, die weit außerhalb dem stehen, was wir akzeptieren können. Viele meinen, multikulti sei so eine Mischung zumindest ähnlicher Wertordnungen nur mit einem etwas anderen Aussehen und schmackhaften anderen Speisen. Sie verdrängen, dass überzeugte Islami-
sten den Koran und die religiöse Rechtsordnung der Scharia überall einführen wollen und beab-
sichtigen, den Unterschied zwischen Religion und Staat ebenso aufzuheben wie die Gleichberech-
tigung von Mann und Frau. Aus der bei uns spürbaren Revitalisierung des Islamismus entstehen neue Gefahren. Gerade in Deutschland nehmen islamistisch-fundamentalistische Kreise zu. Des-
halb habe ich, als andere diese Gefahr noch gar nicht wahrnehmen wollten, schon darauf gedrängt, den Verfassungsschutz für die verstärkte Beobachtung dieser extremistischen Richtung einzuset-
zen. Dies half dabei, dass wir bereits 1999 den Finanzchef von Bin Laden in Bayern verhaften konnten. Andere Länder hätten wohl gar nicht gemerkt, wenn er sich bei ihnen herumgetrieben hätte.
BAYERNKURIER: Die rot-grüne Bundesregierung sagt, ihr neues Zuwanderungsgesetz sei die Antwort auch auf diese Bedrohung.
Beckstein: Das ist eine Behauptung, die durch den Gesetzestext nicht unterlegt wird. Leider ist das Zuwanderungsgesetz eine ganz bewusste Mogelpackung. Man hat die Überschrift zwar so gewählt, dass es scheint, als komme man unserer Forderung nach echter Steuerung und Begrenzung entge-
gen. Man hat den Inhalt aber bewusst so gestaltet, dass die Grünen zustimmen konnten. Deshalb hat dieses Zuwanderungsgesetz beispielsweise keine wirklich greifende Möglichkeit geschaffen, gefährliche Leute auszuweisen und abzuschieben. Doch genau dies wäre dringend notwendig. Wir müssen Leute ausweisen können, bei denen wir davon ausgehen müssen, dass sie eine Straftat vorbereiten, und dürfen nicht erst warten, bis sie die Tat begangen haben und nach einem Jahre dauernden Strafprozess rechtskräftig verurteilt sind. Wir hatten einen Fall, da ist ein Naturwissen-
schaftler plötzlich mit Vollbart und Pluderhosen rumgelaufen und hat gesagt, er werde bald als Märtyrer des heiligen Krieges ein viel schöneres Leben im Paradies führen. Einen solchen Mann müssen wir doch ausweisen können, wenn der Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Organisation besteht, also Tatsachen diese Annahme rechtfertigen, und dürfen nicht erst warten, bis er eine Straftat begangen hat. Wir müssen dafür sorgen, dass solche gefährlichen Leute außer Landes gebracht werden, auch bevor wir im Detail beweisen können, welches Unheil sie anrichten wollen. Das Zuwanderungsgesetz hat hier leider keine ernsthafte Verbesserung gebracht.
BAYERNKURIER: Was werden Sie ändern, falls Sie Bundesinnenminister werden?
Beckstein: Wir werden ein Gesetz zur echten Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung auf den Weg bringen, das seinem Titel auch wirklich Rechnung trägt. Wir werden wohl kaum etwas ändern beim Bereich der Spitzenkräfte, für die es ja bereits einen weltweiten Markt gibt und um die wir werben müssen. Aber beim Bereich der Durchschnitts- oder gar nicht qualifizierten Arbeitnehmer wollen wir angesichts von über vier Millionen Arbeitslosen und den zu erwartenden Arbeitssu-
chenden nach der EU-Erweiterung nicht auch noch aus außereuropäischen Kulturkreisen eine Anwerbung von Arbeitskräften. Tatsächlich hebt das neue Recht aber den Anwerbestopp auf, den 1973 der damalige SPD-Arbeitsminister Arendt eingeführt hatte. Wir dürfen auch nicht die Augen davor verschließen, dass unsere Integrationskraft Grenzen hat.
BAYERNKURIER: Bundesinnenminister Schily behauptet, durch sein Gesetz würde die Integrati-
on verbessert.
Beckstein: Das kann ich nicht feststellen, im Gegenteil. Die Kommunen wie auch Sozialverbände haben heftige Kritik geübt, weil die Frage der Integrationskurse nicht annähernd ausreichend geregelt wurde. Das Geld reicht hinten und vorne nicht, und für die bereits bei uns lebenden Aus-
länder wird keine Integrationsleistung bereit gestellt.
BAYERNKURIER: Wird die Integrationsleistung bei den Ausländern nicht zu häufig als ein Recht und zu selten als eine Pflicht angesehen?
Beckstein: Völlig richtig. Und genau hier unterlässt Schily Entscheidendes. Im neuen Recht heißt es nur, dass die verweigerte Teilnahme an Integrationskursen bei weiteren ausländerrechtlichen Maßnahmen zu berücksichtigen sei. Das ist nichts als eine schwammige Formulierung. Dabei müsste die Möglichkeit geschaffen werden, in solchen Fällen Druck auszuüben und gegebenenfalls auch den Aufenthalt bei uns zu beenden. Wenn Schily dann von Assimilierung redet, folgt er einer „ganz besonderen“ Methode: Er blinkt scharf rechts und biegt nach links ab. Für dieses Gesetz hat er zurecht viel Lob von den Grünen bekommen, denn er hat damit den Weg in die multikulturelle Gesellschaft weiter ausgebaut.
BAYERNKURIER: Sie sind auch Verfassungsminister. Was wird aus dem NPD-Verbot?
Beckstein: Wir sind ganz konsequent im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Deswegen haben wir das Verbot der NPD auch mitbetrieben, allerdings nicht in der dilettantischen Weise, wie dies im Bundesinnenministerium erfolgt ist. Das Bundesverfassungsgericht ist von dort ja in skanda-
löser Weise behandelt worden. Unser Kampf gegen den Rechtsextremismus hat dazu geführt, dass Gewalttaten aus diesem Bereich in Bayern um über 70 Prozent zurückgegangen sind. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass wir nicht auf dem linken Auge blind werden, und fordern deswe-
gen die SPD auf, auch im Kampf gegen den Linksextremismus mitzumachen. Linksextremismus wird heute weitgehend verschwiegen, stellt aber nach wie vor eine Gefahr dar. Denken Sie an die Autonomen oder auch an die PDS, die ausgewiesene Linksextremisten in ihren Reihen hat. Nicht nur wir, sondern auch der Bund beobachtet die PDS und das sind die Partner des SPD-Bundesvor-
sitzenden Gerhard Schröder, der einer Koalition seiner Partei mit der PDS in Berlin und in Meck-
lenburg-Vorpommern zugestimmt hat. Das ist ein unglaublicher Skandal. Anständige Sozis wie Schumacher, Brandt oder Wehner würden sich im Grabe rumdrehen. Schröder hat alle Traditio-
nen der SPD über Bord geworfen und hat sich verbündet mit denen, die Verantwortung tragen für den Mauerbau und den Schießbefehl.
BAYERNKURIER: Aber er sagt, zum Kanzler würde er sich von der PDS nicht wählen lassen.
Beckstein: Das sagt er, aber ich glaube ihm kein Wort. Stünde er vor der Alternative, abtreten zu müssen oder sich von der PDS tolerieren oder sogar wählen zu lassen, würde er mit Sicherheit eine Ausrede finden. Deshalb hoffe ich, dass der Wähler dafür sorgt, dass Schröder ohne weiteres sein Versprechen einhalten kann. Und das ist ganz sicher, wenn Union und FDP zusammen deutlich mehr als 50 Prozent erreichen.
BAYERNKURIER: Vor Monaten gab es ständig Schlagabtausch zwischen Ihnen und Otto Schily. Wo bleibt er?
Beckstein: Ich glaube, er ist Spitzenkandidat der SPD in Bayern. Wenn das so ist, dann muss er jetzt den schweren Gang gehen und den Bayern erklären, warum sie ausgerechnet den Berliner Schily wählen sollen, der unsere Sicherheitspolitik kopiert. Das spricht für uns, dennoch helfe ich gern im Kompetenzteam Stoibers mit, dass Schily im Alter von 70 Jahren bald mehr Muße in der Toskana finden kann.
Bayernkurier 32 vom 8. August 2002.