Materialien 2005

Rede bei der Demonstration am 11. Februar 2005

Liebe Freundinnen und Freunde!

Ich sag es ganz ehrlich, ich freue mich heute hier unter Euch zu sein und nicht im Knast.

Liebe Freundinnen und Freunde!

Gestern hieß es, als wir hierher gekommen sind: „Hier geht es nicht weiter, es sei denn sie wollen zur Demonstration.“ Die Begründung war, es gehe doch um „Sicherheit.“ Ich sage es ganz klar: Das, was hier mit Sicherheit gemeint ist, die Sicherheit derjenigen, die im bayrischen Hof tagen, diese Sicherheit ist keine Sicherheit, diese Sicherheit ist Repression!

Liebe Freundinnen und Freunde!

Kurz vor der Sicherheitskonferenz hat die bayrische Polizei bei mir angerufen und mitgeteilt, sie wollten sich für die „versehentliche Festnahme“ letztes Jahr entschuldigen. Meine Reaktion war,
es ist in Ordnung, wenn sie sich entschuldigen wollen, aber es sind mindestens 200 andere festge-
nommen worden, und ich fordere für alle eine Entschuldigung für die Festnahmen.

Liebe Freundinnen und Freunde!

Der große Frieden ist ausgebrochen … „Frieden durch Dialog“ ist das neue Motto dieser so genann-
ten Sicherheitskonferenz. Diese Konferenz wird in Friedenswatte gepackt. Es treffen sich die Glei-
chen wie jedes Jahr, es treffen sich Militärs, Rüstungslobbyisten und politisch Verantwortlichen für die derzeitigen und zukünftigen Kriege. Diese Konferenz bleibt eine Kriegskonferenz und wir wissen, warum wir dagegen demonstrieren.

Liebe Freundinnen und Freunde!

Der große Frieden ist ausgebrochen … zwischen den verschiedenen westlichen Staaten. Herr Struck hat mitgeteilt, die Meinungsunterschiede in Bezug auf den Irakkrieg seien inzwischen ver-
gessen. Erstens gab es keine substanziellen Meinungsunterschiede, weil die deutsche Regierung den Krieg gegen den Irak wesentlich mit unterstützt hat, und zweitens ist es nicht weiters verwun-
derlich, wenn die westlichen Staaten miteinander Frieden machen, gegen die Menschen im Süden und gegen die Staaten im Süden, genau gegen diesen „Frieden“ demonstrieren wir hier. Dieser „Frieden“ bedeutet nämlich für viele Menschen im Süden Krieg.

Ich habe im europäischen Parlament in der Debatte zu transatlantischen Beziehungen unter an-
derem folgende Sätze gesagt: „Am 22. und 23. Februar kommt der US-Präsident zu Besuch nach Europa; nach seinem Besuch in Brüssel wird er am 23. Februar in Mainz von Bundeskanzler Gerhard Schröder empfangen. Ich freue mich, dass es Proteste gegen den Besuch dieses Kriegs-
verbrechers gibt.“

Liebe Freundinnen und Freunde!

Als ich diesen Satz im europäischen Parlament gesagt habe, hat niemand dagegen protestiert, weil alle wissen, dass es zutrifft. Ich weiß aber, dass letztes Jahr hier in Bayern für diese Formulierung Leute festgenommen worden sind. In Zukunft kann man sich gerne auf diesen Satz berufen, weil wir alle wissen, dass das, was in Abu Ghreib und Guantanamo gelaufen ist und offensichtlich zum Teil noch bis heute läuft, dass das, was die US-Regierung im Irak getrieben hat, dass das das ist, was einem Kriegsverbrechen gleichkommt.

Und um das deutlich zu machen, 80 Prozent der Transporte, die bis heute in den Irak laufen mit Soldaten und Kriegsmaterial, 80 Prozent dieser Transporte laufen über Deutschland, grundgesetz- und völkerrechtswidrig. Und insofern ist es eine Unterstützung von Kriegsverbrechen durch die deutsche Regierung, dass sie zum Beispiel diese Transporte zulässt.

Donald Rumsfeld wollte ursprünglich nicht zu dieser Sicherheitskonferenz kommen. Jetzt kommt er doch, weil eine Strafanzeige gegen ihn und andere Verantwortliche für die Folterungen unter anderem in Abu Ghreib eingereicht wurde. Kurz vor der so genannten Sicherheitskonferenz hat der Generalbundesanwalt Kai Nehm mitgeteilt, dass von der deutschen Justiz gegen Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz und andere nicht ermittelt würde.

Liebe Freundinnen und Freunde!

Bei dem, was die deutsche Justiz in diesem Fall macht, kann man sich des Eindruck nicht erweh-
ren, dass das eindeutig eine Rechtsbeugung ist. Es ist ganz offensichtlich, warum sie das Verfahren eingestellt haben, nur damit Herr Rumsfeld nach München kommt und auf der so genannten Si-
cherheitskonferenz reden kann. Wir wollen nicht, dass Herr Rumsfeld nach München kommt. Aber es ist offensichtlich, die deutsche Regierung will Donald Rumsfeld hier; wie es Peter Struck so schön gesagt hat, in der Rede, die er für Schröder vorgetragen hat, er sei froh, dass „unser Partner“ Donald Rumsfeld hier sei. Sie sind sich einig, die EU, Deutschland und die USA, sie sind sich einig gegen die Menschen im Süden. Und das ist der wesentliche Punkt, warum wir hier demonstrieren.

Die französische „Verteidigungsministerin“ Michele Alliot-Marie sagte in einem Interview: „Wir wollen eine starke NATO und wir wollen eine starke EU.“ Beides sei notwendig, um Sicherheit in der Welt zu schaffen. Nein, wir wollen weder eine starke NATO noch eine starke EU, wir wollen, dass endlich wirklich abgerüstet wird!

Es gibt eine Arbeitsteilung. Und diese Arbeitsteilung ist ganz offensichtlich: Es gibt Kompensa-
tionsgeschäfte, so dass Deutschland insbesondere in Afghanistan aktiv ist. Es sind jetzt wieder Soldaten des „Kommando Spezialkräfte“ nach Afghanistan geschickt worden. Das sind diejenigen, die an vorderster Linie Krieg geführt haben. Ich weiß von einem KSK-Soldaten, dass sie an vor-
derster Linie gekämpft haben und dass seine Formulierung war: „Wir haben keine Gefangenen gemacht.“

Es ist eine bewusste Arbeitsteilung, so zum Beispiel im Umgang mit dem Iran. Die neue US-Außen-
ministerin Rice hat gesagt, der Iran sei der Vorhof der Tyrannei. Und die deutsche, französische und britische Regierung haben gesagt, sie seien dafür, das diplomatisch zu lösen. Aber ich denke, Karsten Voigt hat es auf den Punkt gebracht, der Verantwortliche für die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA: Er meinte, wir verfolgen die gleichen Ziele wie die USA in Bezug auf den Iran, wir haben nur manchmal etwas andere Methoden.

Genau das ist es: Die westlichen Staaten wollen den anderen Staaten ihr Denken aufdrücken. Und das hat mit dem zu tun, was Horst Köhler heute gesagt hat, er meinte relativ offen: „Handel ist die beste Hilfe zur Selbsthilfe.“ Nein, Handel ist nicht die beste Hilfe zur Selbsthilfe, Handel ist die „Hilfe“ für die deutschen Unternehmen, die sich gestern bei der so genannten „Finanzierungskon-
ferenz Nordafrika Mittelost“ getroffen haben. Es war und ist richtig, dass wir sowohl gegen diese Finanzierungskonferenz als auch gegen die so genannte Sicherheitskonferenz demonstriert haben. Es sind zwei Seiten derselben Medaille: Neoliberale und neoimperiale Politik.

In den nächsten Wochen wird der so genannte EU-Verfassungsvertrag Stück für Stück in den einzelnen Ländern zur Abstimmung gestellt. Es hat sich langsam aber sicher in den einzelnen EU-Ländern eine Opposition gegen den EU-Verfassungsvertrag gebildet. Dieser EU-Verfassungs-
vertrag manifestiert die neoliberale und neoimperiale Politik der EU und der verschiedenen EU-
Staaten, allen voran Frankreich, Großbritannien und vor allem Deutschland. Diesen EU-Ver-
fassungsvertrag wollen wir nicht.

In diesem EU-Verfassungsvertrag wird eine Aufrüstungsverpflichtung festgeschrieben, werden Kampfeinsätze festgeschrieben, es werden festgeschrieben so genannte „Entwaffnungsmissionen“; diese „Entwaffnungsmissionen“ sind wohl nichts anderes als das, was wir im Irak erlebt haben.

Und es werden festgeschrieben eine Rüstungsagentur und so genannte „strukturelle Zusammen-
arbeit“. Und mit dieser „strukturelle Zusammenarbeit“ passiert nichts anderes als die Festschrei-
bung des Kerneuropakonzepts. Es dominieren die Großen innerhalb der EU: Deutschland, Frank-
reich und Großbritannien.

Wir geben ein klares Signal von hier aus: Diesen EU-Verfassungsvertrag werdet ihr nicht verab-
schiedet bekommen. Es wird in mindestens einem der EU-Länder ein „Nein“ geben gegen den EU-Verfassungsvertrag. Wir dürfen hier nicht abstimmen, aber in Frankreich wird es dazu Ab-
stimmungen geben, und wir senden ein klares Signal von hier aus nach Frankreich: Wir unter-
stützen die linken Kräfte, die gegen den EU-Verfassungsvertrag in Frankreich kämpfen und wir wollen mit Euch dafür streiten, dass es zu einem Nein in Frankreich kommt.

Liebe Freundinnen und Freunde!

Ich glaube, dass wir uns in Zukunft mit einer Gruppe intensiver auseinandersetzen müssen. Das sind diejenigen, die uns verkaufen wollen, die Europäische Union, das seien einfach die grund-
sätzlich Besseren. In nenne das mal die „Europaideologen“. Ich war jetzt in Saudi-Arabien mit einer Delegation des Europäischen Parlaments und meine liebe Kolleginnen und Kollegen haben immer wieder versucht zu erklären, ihr müsst das Modell EU übernehmen. Überall bekomme ich das zu hören. „Europa“ das seien die Besseren. Nein, es sind alle westlichen Staaten, die das falsche Grundkonzept haben, das falsche kapitalistische und das falsche militaristische Konzept, und gegen dieses Konzept demonstrieren wir hier.

Mit den salbungsvollen Reden wie denen von Herrn Köhler werden sie versuchen ihre eigentliche Politik zu kaschieren. Es geht aber um genau das Gleiche: Sie wollen ökonomischen Einfluss ha-
ben, sie wollen ihre Produkte in diese Länder verkaufen, sie wollen diese Länder ausbeuten, und ob man das nun „Nachhaltigkeit“ nennt oder Kapitalismus nennt, ist im Grunde genommen egal.

Den westlichen Staaten und den Verantwortlichen dort geht um das Gleiche, nur manchmal wird es eben schön verpackt. Horst Köhler hat es auf den Punkt gebracht: „Es liegt im Grundinteresse eines jeden funktionierenden Staates, der Privatwirtschaft breite Entfaltungsmöglichkeiten einzu-
räumen.“ Es ist typisch, dass das der frühere IWF-Chef sagt. Ich glaube, er setzt seine frühere Poli-
tik als IWF-Chef jetzt als Bundespräsident fort. Diese IWF-Politik war und ist eine, die zu ungun-
sten derjenigen geht, die arm sind in den Ländern des Südens, und zu Ungunsten derjenigen, die arm sind hierzulande. Für diese falsche Politik steht Horst Köhler.

Liebe Freundinnen und Freunde!

Wir machen noch einmal klar: Das was hier betrieben wird als Politik der westlichen Regierungen, ist eine Politik, in der einerseits Sozialabbau betrieben wird und andererseits nach außen milita-
risiert wird. Es sind zwei Seiten der gleichen Medaille: Neoliberale und neoimperiale Politik. Wir sagen klar von hier aus: Wir sind gegen neoliberale und neoimperiale Politik. Es ist das grundle-
gend falsche Konzept und gegen dieses falsche Konzept demonstrieren wir hier.

Und abschließend – man soll ja immer mit Deutschland enden – weil klar ist, dass, wenn wir
hier demonstrieren, wir uns insbesondere mit dem auseinandersetzen müssen, was die deutsche Regierung treibt: Gerhard Schröder hat folgendes sagen lassen auf dieser Konferenz: „Aber aus der Mitverantwortung folgt auch Mitsprache. Unser Wunsch, Deutschland als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Uno zu sehen, entspringt diesem auf Legitimation abzielenden Zusammenhang.“

Damit ist klar: Die deutsche Regierung schickt also unter anderem deshalb Soldaten in alle Welt, damit sie ihre Machtansprüche unter anderem im UN-Sicherheitsrat anmelden kann.

Wir wenden uns ganz klar gegen diese Machtansprüche der deutschen Regierung, ob die nun im UN-Sicherheitsrat artikuliert werden oder im Rahmen der EU: Wir wollen es nicht, dass dieses Deutschland eine Weltmacht wird. Damit beende ich das hier. Vielen Dank.

Tobias Pflüger
11. Februar 2005


www.gegen-krieg-und-rassismus.de