Flusslandschaft 1967

Gewerkschaften/Arbeitswelt

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Auch in diesem Jahr feiert sich die Gewerkschaftsbewegung am Ersten Mai.2 Das Motto lautet „Auf sozialem Kurs voran – DGB“. Kritiker meinen, der DGB geriere sich nicht anders als ein großes Versicherungsunternehmen. Auf einem der Transparente ist „Sozialer Haushalt statt Rüstungs-
haushalt“ zu lesen. Proteste richten sich vor allem gegen die Diktaturen in Spanien und Griechen-
land. Einige Anwesende wundern sich auch, dass auf dem Podium neben den Gewerkschaftern die CSU-Größen Karl Hillermeier, Staatssekretär im Staatsministerium für Arbeit und Soziale Für-
sorge, und Ministerpräsident Alfons Goppel stehen: „Was haben die eigentlich bei unserer Maifeier verloren!?“3

Trotz der Verbote von Arbeiterorganisationen werden immer wieder in Münchner Betrieben kapi-
talismuskritische Flugblätter verteilt, die den Werksleitungen Kopfzerbrechen bereiten. Kurz vor Weihnachten tauchen Flugblätter in der Fa. Metzeler im Münchner Westend auf. Ein Arbeiter der Firma denunziert …4

„Von Anbeginn an war die Freiheit des Unternehmens keineswegs ein Segen. Als die Freiheit zu ar-
beiten oder zu verhungern bedeutete sie für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Plackerei, Unsicherheit und Angst. Wäre das Individuum nicht mehr gezwungen, sich auf dem Markt als frei-
es ökonomisches Subjekt zu bewähren, so wäre das Verschwinden dieser Art von Freiheit eine der größten Errungenschaften der Zivilisation.“5


1 Der Spiegel 1-2/1967, 49.

2 Siehe „50.000 beim DGB-Maitreffen“. Fotos von Rudolf Pröhl befinden sich in der Fotosammlung des Archivs der Münchner Arbeiterbewegung.

3 Hillermeier spielte Jahre später eine verhängnisvolle Rolle. Am späten Abend des 5. März 1981 fand, vom Nürnberger Jugendzentrum KOMM ausgehend, eine Demonstration statt, in deren Verlauf es zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Cops und unrechtmäßigen Verhaftungen von Jugendlichen und Kindern kam. Nachdem die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Nürnberg-Fürth offenbar nicht die gewünschte scharfe Gangart bei der Strafverfolgung an den Tag legte, entzog Justizminister Karl Hillermeier am 25. November 1981 den fränkischen Juristen den Fall und übergab ihn Ober-
staatsanwalt Fischer beim Landgericht Regensburg.

4 Siehe „Justiz-Rationalisierung?“ von Helmuth Münch.

5 Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Frankfurt am Main 1967, 22.