Flusslandschaft 2011

Medien

Der Hype geht schon länger. Bild-Zeitung und Yellow Press feiern den jungen Adligen wie eine Lichtgestalt, einen Heilsbringer. CSU-Verteidigungsminister und Politliebling Karl Theodor zu Guttenberg spielt auf der medialen Klaviatur, benutzt sie, wird aber auch benutzt. Er fasziniert mit nonchalanter Jugendlichkeit gepaart mit Stil und Weltläufigkeit, mit Rhetorik und zupackender Zielstrebigkeit sowie mit der Attitüde von nobler Zurückhaltung und Nachdenklichkeit. Er und seine Frau bilden ein Traumpaar für die Dumpfbeutel der Nation, die sich nicht dafür interessie-
ren, was die Bundeswehr jenseits deutscher Grenzen verloren hat. Sie interessieren sich vielmehr für die Garderobe der Gattin beim Besuch des Paares in Afghanistan. Und jetzt das! Die adlige Dissertation besteht zu großen Teilen aus plagiierten Versatzstücken und weist zahlreiche Urheber-
rechtsverletzungen auf. Sogar der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat bei der Erstellung der Doktorarbeit mitgewirkt. Spötter sprechen vom „Baron zu Googelberg“. Im Internet kursieren innerhalb kürzester Zeit politische Witze und boshafte Kalauer über den Freiherrn.1 Eine Enthül-
lung jagt die nächste. Der Selbstverteidigungsminister gibt Stück für Stück „Fehler“ zu und muss schließlich Anfang März den Hut nehmen, nachdem sich sogar sein Doktorvater Peter Häberle öffentlich von ihm distanziert und der Guttenbergschen Dissertation “unvorstellbare Mängel” atte-
stiert hatte. Seine Fangemeinde ist entsetzt, sieht in der Kritik an Guttenberg ein „Kesseltreiben“.

Samstag, 5. März, 13 Uhr: In einigen bundesdeutschen Städten demonstrieren „Guttifans“, die ihr Idol nicht verlieren wollen; in München treffen sie sich am Rindermarkt. Dabei handelt es sich hier nicht um die konservative APO, wie die Abendzeitung schreibt, sondern um Mitmenschen, auf die zutrifft: Wer nichts von Politik versteht, von dem versteht die Politik sehr viel. Nick aus Bad Tölz, Gymnasiast und Mitglied der Jungen Union, schwärmt am Mikrophon von den Qualitäten seines Vorbilds. – Nun stehen die etwa dreihundert Demonstranten nicht allein auf dem Rindermarkt herum und sind daher auch ziemlich überfordert. Dreißig Gegendemonstranten versuchen sich in Sprechchören, werden aber auch massiv beschimpft. Auf einem großen Transparent steht nur „SCHLUCHZ!“, auf einem kleineren Plakat „Lügner, Fälscher, Betrüger – uns total egal!“ Ein älterer Herr trägt ein Schild mit dem Porträt eines gutaussehenden jungen Mannes. Darunter steht: „Come back please!“ Eine Demonstrantin erkennt tatsächlich den abgebildeten jungen Mann und geht kopfschüttelnd auf den Älteren zu: „Das ist doch Ludwig II. Wieso wollen Sie den zurück-
haben? Der ist doch schon tot!“ – Diverse Störer verunsichern die Demonstranten. Fritz Letsch hat seine Fahrradsatteltaschen mit Gaudiblättern vollgestopft, die zufällig über den bayrischen Adel berichten, dass dieser auch 2011 immer noch mächtig sei und dass dieses Problem auf eine revolu-
tionäre Lösung warte. Letsch verteilt seine Heftl. Gaudiblatt trifft auf Bild-Zeitung und Co.2

Am 28. März wird bekannt, dass auch die rechtswissenschaftliche Dissertation von Veronica Sass, Tochter des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber, zahlreiche Plagiate aufweist. Die im Internet vorgenommene akribische Überprüfung der Doktorarbeit listet auf 107 Seiten bzw. 30,4 Prozent (Stand vom 3. April 2011, 3 Uhr 50) Plagiate und Urheberrechtsverletzungen auf. „Vroni-
Plag Wiki“ spricht von einer „erdrückenden Beweislage“.3 Weder Veronica Sass noch die Familie Stoiber äußern sich zu den Vorwürfen. Offenbar will man das Problem in bekannter Manier „aus-
sitzen“. Dass das im Internet-Zeitalter nicht mehr funktioniert, hat allerdings schon die Affäre Guttenberg gezeigt.

Am 6. August legen nach einer Demonstration in Tottenham mehrere Tage lang Straßenschlachten Stadtteile von London in Schutt und Asche. Die Riots greifen auf Birmingham, Leeds, Nottingham, Bristol, Liverpool, Manchester, Wolverhampton sowie West Bromwich über. Die entstandenen Sachschäden werden auf Summen zwischen 10 Millionen und mehreren Dutzend Millionen Pfund Sterling geschätzt. Am 17. September vergleicht Wolfgang Blaschka beim „Fest der Solidarität“ auf dem Rotkreuzplatz die massenmediale Berichterstattung über die Vorgänge in Großbritannien und in Libyen.4

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Verteilerkasten in der Franziskanerstraße in der Au


1 Vgl. www.suite101.de/content/minister-guttenberg-aktuelle-witze-und-ein-karnevalsorden-a102677.
Zur Geschichte und Definition des politischen Witzes siehe auch:
www.suite101.de/content/der-politische-witz-definition-geschichte-aktuelle-beispiele-a102935

2 Siehe „Kommunistische Solidarität für Gutti“.

3 www.de.vroniplag.wikia.com/wiki/VroniPlag_Wiki.

4 Siehe „Auslandsbericht“ von Wolfgang Blaschka.

5 Foto © Volker Derlath