Flusslandschaft 1969
Frieden/Abrüstung
„Obszönität ist ein moralischer Begriff im Wortschatz des Establishments, das ihn missbraucht, indem es ihn anwendet, und zwar nicht auf Ausdrucksformen seiner eigenen Moralität, sondern auf die einer anderen. Nicht das Bild einer nackten Frau, die ihre Schamhaare entblößt, ist obszön, sondern das eines Generals in vollem Wichs, der seine in einem Aggressionskrieg verdienten Or-
den zur Schau stellt; obszön ist nicht das Ritual der Hippies, sondern die Beteuerung eines hohen kirchlichen Würdenträgers, dass der Krieg um des Friedens willen nötig sei.“1
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Beim Ostermarsch am 30. März nehmen etwa 1.500 Menschen teil. U.a. sprechen auf der Ab-
schlusskundgebung Walter Listl (SDAJ) und Rainer Jendis (SDS), „der besonders über die Metho-
den der politischen Arbeit der APO sprach“. An der Kundgebung nehmen ca. 2.500 Menschen teil. Am Abend laden die Arbeiter-Basisgruppen zu einer Diskussion ein, „um ihre Arbeit vorzustellen – anwesend war jedoch nur ein Teil der Basisgruppe Ost … Die Basisgruppen Süd, Nord und West lehnen den Ostermarsch nicht prinzipiell ab, wie ihnen vorgeworfen wurde, obwohl sie durchaus nicht sicher sind, ob er in dieser Form wirkungsvoll ist … Der Bruch aber war aus anderem Grund erfolgt: die Gruppen Süd, Nord und West wollten die Darstellung ihrer Arbeit und Ziele dem Ge-
nossen Hans Zintl übertragen, den der Arbeitsausschuss der Kampagne als Sprecher ablehnt, deshalb boykottierten sie die Veranstaltung. … Der Arbeitsausschuss hatte befürchtet, dass Zintl über die Problematik des 1. Mai sprechen wollte – ein momentan heißes Eisen in den Basisgrup-
pen, über das im Verlauf dennoch diskutiert wurde. Über eine generelle Zusammenarbeit mit dem DGB, die auf eine öffentliche DGB-Kritik prinzipiell verzichtet, sind die Meinungen geteilt, insbe-
sondere an der Aktion 1.Mai … entzündete sich die Auseinandersetzung. Man plante nie eine Gegenkundgebung zu veranstalten, wie ausdrücklich betont wurde, sondern wollte die Art und Weise, wie der DGB heute den 1.Mai durchzieht, zur Diskussion stellen und den DGB zur Stel-
lungnahme zwingen … Statt dessen hat sich der DGB mit seiner Antwort an die Basisgruppen selbst entlarvt. Das Argument, die Aktion sei den Basisgruppen und ihrer Zusammenarbeit mit dem DGB schädlich, ist nicht stichhaltig, wurde schließlich betont, denn was ist zu einer Politik
zu sagen, die Mitarbeit um jeden Preis proklamiert um so allmählich den APO-Charakter, d.h. die spezifischen Ziele der APO zu verlieren … Während die Mehrzahl der Basisgruppenmitglieder die Aktion 1.Mai als wichtige politische Aufklärungsarbeit betrachtet, hofft ein Teil der Basisgruppe Ost noch, über die Organisation des DGB die Arbeiter ansprechen zu können.“3
„Internationale der Kriegsdienstgegner (IdK) – Präsident: D. Martin Niemöller; Vorsitzender: Helmut Michael Vogel; Sitz: München. Die IdK besteht schon seit 1923. 1933 vom NS-Regime verboten. 1945 in Hamburg neu gegründet. Erklärtes Ziel: Verweigerung des Kriegsdienstes sowie des im Wehrpflichtgesetz vorgesehenen zivilen Ersatzdienstes. Wegen des kommunistischen Ein-
flusses in der IdK spalteten sich 1958 Gruppen ab und schlossen sich dem ‚Verband der Kriegs-
dienstverweigerer (VK)’ an. Die politischen Ziele sind ähnlich wie die der KDA, der sie auch ange-
hört. Die IdK umfasst nach eigenen Angaben 7.500 Mitglieder, die in Landes-, Bezirks- und Ortsverbände aufgeteilt sind. Publizistisches Organ: ‚Die Liga’, Erscheinungsort Wuppertal.“4
Siehe auch „Gewerkschaften/Arbeitswelt“.
1 Herbert Marcuse, Versuch über die Befreiung, Frankfurt am Main 1969, 248.
2 Plakatsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung
3 apo press 12 vom 2. April 1969, 12.
4 Politische Studien. Zweimonatsschrift für Zeitgeschichte und Politik 186 vom Juli/August 1969, 442.