Flusslandschaft 1969

Internationales

- Allgemeines
- Vietnam und USA
- Israel
- Griechenland
- Argentinien


Allgemeines

„Diese Gesellschaft: ist insofern obszön, als sie einen erstickenden Überfluss an Waren produ-
ziert und schamlos zur Schau stellt, während sie draußen ihre Opfer der Lebenschancen beraubt; obszön, weil sie sich und ihre Mülleimer vollstopft, während sie die kärglichen Nahrungsmittel in den Gebieten ihrer Aggression vergiftet und niederbrennt; obszön in den Worten und dem Lächeln ihrer Politiker und Unterhalter; in ihren Gebeten, ihrer Ignoranz und in der Weisheit ihrer gehüte-
ten Intellektuellen.“1

VIETNAM und USA

1964 entstand die Bewegung für freie Rede an der US-amerikanischen Universität Berkeley, nach-
dem die Universitätsleitung Studenten verboten hatte, sich auf dem Campus für die schwarze Bür-
gerrechtsbewegung einzusetzen. Der Protest weitete sich aus – zum Beispiel gegen den Vietnam-
krieg. Im Frühling 1969 lässt die Universität Gebäude abreißen, um Spielfelder und Parkplätze an-
zulegen. Bürger, Studenten und Hippies bepflanzen daraufhin das Land mit Büschen, Bäumen und Blumen. Gouverneur Ronald Reagan verhängt den Ausnahmezustand über Berkely und schickt die Nationalgarde, um die Proteste niederzuschlagen. Am 15. Mai töten Polizisten einen Demonstran-
ten und verletzten mehr als hundert zum Teil schwer; die Nationalgarde hält die Stadt zwei Wo-
chen besetzt. Die Münchner APO zieht Schlussfolgerungen:

2
Die APO-Press vom 10. Juni

3
Im Hackerkeller an der Theresienhöhe 4 treten am 18. Juli Bardischewski, Strassner, Thate und Walser auf.

Erich Fried: »Aufzählung // Fünfhundertsiebenundsechzig alte Männer Kinder und Frauen / er-
schossen in einem Dorf das My Lai heißt oder Song My / und in einem anderen Dorf „Alles was da herauslief aus den brennenden Hütten erlegt wie beim Wurftaubenschießen!“ / und Mädchen zu-
erst verhaftet und vergewaltigt / von jedem der Reihe nach und dann erstochen / und elfhundert Frauen und Kinder aus einem Ort an der Küste / auf Dschunken ins Schlepptau genommen und auf die See gebracht / bis die Dschunken kenterten und dann die Taue durchschnitten / und die noch schwammen mit Maschinenpistolen erledigt / und berechnet dass eine Uhr die gestohlen wurde / in einem Bordell in Saigon zehn Vietnamesen wert war / und deshalb vom Hubschrauber aus vietnamesische Zivilisten / die einen Zaun reparierten eins zwei drei abgeknallt / und im Me-
kong-Delta („weil schon lange nichts los war“) / erklärt dass die Dorfbewohner als bewegliche Ziel-
scheiben dienen / und aus dem Hubschrauber einen Gefangenen der nichts sagte / hinunterge-
stürzt um zwei zum Reden zu bringen / und während der Fall My Lai schon bekannt wurde / wie-
der zweihundertvierzig Frauen und Kinder getötet / am 12. November 69 im Dorfe / Bin-Du-Ong. // Das alles sind Einzelfälle – Zusammengestellt aus Berichten in The Times, The Guardian und The Observer, im Spätherbst 1969, nach dem Bekanntwerden des Massakers von My Lai.«4

Am 15. November findet in München eine Großdemonstration gegen den Vietnamkrieg statt.5 Am 15. Oktober kommt es zur größten Massendemonstration gegen den Vietnamkrieg in Washington.




6

Am 20. Dezember findet in München eine weitere Demonstration gegen den Krieg in Vietnam statt.7

ISRAEL

Araber demonstrieren in der Universität gegen Asher Ben-Natan.8

GRIECHENLAND

»KOMITEE ALLER GRIECHISCHEN DEMOKRATEN FÜR DIE PROTESTAKTION IM APRIL 1969 GEGEN DIE MILITÄRDIKTATUR – Im April 1969 besteht die Militärdiktatur in Griechen-
land schon seit zwei Jahren. Immer noch herrscht der Ausnahmezustand. Die Grundrechte bleiben suspendiert. Sondermilitärgerichte sind an der Tagesordnung. Menschen werden in Gefängnisse und Konzentrationslager gesperrt und gefoltert. Der Faschismus pocht wieder an die Tore Euro-
pas. – Wir Griechen sind fest entschlossen, dem Militärregime ein Ende zu setzen und echte de-
mokratische Verhältnisse herzustellen. Deswegen haben wir uns zusammengeschlossen, um zum zweiten Jahrestag des Putsches in Griechenland gemeinsam Protestkundgebungen zu veranstalten. – In diesem Rahmen appellieren wir an alle Parteien, Institutionen, Gewerkschaften und andere Organisationen sowie an alle deutschen Bürger: 1. Unseren Kampf zu unterstützen, 2. allen ver-
folgten Griechen zu helfen, 3. das Regime in Griechenland moralisch, wirtschaftlich, politisch und militärisch zu isolieren. Wir fordern alle, die unseren Kampf unterstützen wollen, dazu auf, an unseren Aktionen im April teilzunehmen. Das Aktionsprogramm wird in Kürze bekanntgegeben. – Verantw.: Skountridakis Jannis, 8 München 2, Enhuberstr. 8/III. Eigendruck im Selbstverlag«9

Am 6. April kommt es bei einer Theateraufführung zu Protesten und rabiaten Reaktionen re-
gimetreuer Griechen.10

Die Gewerkschafter Ludwig Koch, Alois Kottmair, Hans Demeter, Hans Limmer und andere gründen 1969 gemeinsam mit griechischen Kollegen einen „Deutsch-Griechischen Arbeitskreis“, der über die Diktatur in Griechenland informiert. Am Freitag, dem 5. Dezember 1969 treten sechsundzwanzig griechische Arbeiter und Studenten im Gewerkschaftshaus an der Schwan-
thalerstraße 64 in einen dreitägigen Hungerstreik. Sie machen auf die brutalen Verfolgungen
in ihrer Heimat aufmerksam und fordern die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass Griechenland aus dem Europarat ausgeschlossen wird.

„Griechische Aspekte // Fürchtet nicht um die Kykladen / das vielbesungene Patmos bleibt / in allen Lesebüchern ändern / werden sich nur die Grundstückpreise / auf dem Olymp / in dem bekömmlichen Klima / werden die Sonnenuntergänge bei Salamis / blutrot für Agfa gedeihen / wenn Scharnow in die Klassik ausschwärmt / und während der freie Westen / in seinen Sommer-
häusern an der Agäis / griechische Ordnung und Sicherheit lobt / bleibt JAROS / das öde Eiland / in keinem Lesebuch verzeichnet / abseits der Scharnowrouten / mit seinem ungesunden Klima / auch weiterhin ein / griechisches KZ. // Uwe Timm“11

ARGENTINIEN
„Der ehemalige Bundeskanzler Ludwig Erhard hat sich am Wochenende in Buenos Aires anerken-
nend über die Wirtschaftspolitik des argentinischen Regimes unter General Juan Carlos Ongania ausgesprochen, der Mitte 1966 durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen war. Zustim-
mend äußerte er sich insbesondere zu der ‚disziplinierten‘ Lohnpolitik Argentiniens. Das Regime Onganias hatte die Löhne lange Zeit eingefroren, und es hat Streiks in einigen Fällen mit Gewalt beendet.“12

(zuletzt geändert am 22.4.2025)


1 Herbert Marcuse, Versuch über die Befreiung, Frankfurt am Main 1969, 21 f.

2 Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

3 Plakatsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

4 Erich Fried, Unter Nebenfeinden. Fünfzig Gedichte, Berlin 1970.

5 Fotos: Stadtarchiv Standort ZB-Ereignisfotografie-Politik-Demonstrationen

6 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

7 Vgl. Süddeutsche Zeitung 305/1969.

8 Fotos von Dimitri Soulas, Fotomuseum

9 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

10 Siehe „Hilferuf der sozialistischen Jugend Griechenlands ‚Sotiris Petroulas‘“. Vgl. tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 57 vom März 1969.

11 kürbiskern. Literatur und Kritik 3/69, München, 552.

12 Süddeutsche Zeitung vom 21. April 1969.