Flusslandschaft 1988

SchülerInnen

„Wehr-Werbung in Bayern – Massive Sympathiewerbung für die Bundeswehr betreibt das Baye-
rische Staatsministerium für Unterricht und Kultus. So heißt es in dem vom Ministerium heraus-
gegebenen und an allen Schulen des Landes kostenlos verteiltem Blatt ‚Schule und wir’: ‚Partei ergreifen für die Bundeswehr; denn sie ist ein Organ mit Verfassungsrang. Wer ihr gegenüber auf kühle Distanz geht oder gar Ablehnung zeigt, schadet dem Gemeinwohl.’ Dass aber auch Kriegs-
dienstverweigerung ein Grundrecht unserer Verfassung ist, kommt in diesem Artikel nicht vor, und über den zivilen Ersatzdienst wird kein Wort verloren.“1

»Zensuren für Zehetmair – Ein durchwachsenes Zwischenzeugnis hat Bayerns Kultusminister Jo-
hann Baptist Zehetmair von der weiß-blauen GEW erhalten. Zehetmairs Kabinettsmitarbeit beur-
teilt der bayerische GEW-Vorsitzende Peter Kurz am 12. Februar als ,eifrig’, sein Benehmen als ,fast tadellos’. In den Fächern Einstellungs- und Demokratiekunde sowie Sprachkunde werden die Leistungen Zehetmairs mit ,ungenügend’ (6) beurteilt, in Erd- und Wurzelkunde sowie Volkshygi-
ene erhielt der Minister dagegen ein ,sehr gut’ (1). Zusammenfassende Bemerkung der bayerischen GEW: ,Hans Zehetmair hat sich bisher eifrig bemüht, den Erwartungen seines Vorsitzenden ge-
recht zu werden. Sein Verbleib im Kabinett ist bei gleichbleibenden Leistungen in der rechten Ko-
lonne nicht gefährdet.‘«2

Manche bayrischen Lehrerinnen und Lehrer meinen hinter vorgehaltener Hand, die Schwierigkei-
ten mit den Schülerinnen und Schülern seien marginal. Probleme entstünden meistens erst dann, wenn „besorgte“ Eltern sich an das Kultusministerium wenden, um „Mißstände abstellen zu las-
sen“.3

„WAA zählt nicht zur ‚Heimat’ – Wer befiehlt, was ‚Heimat’ ist? In Bayern allemal die CSU – sofern man sie lässt. Heimatkunde dieser Art bekamen jetzt die Schüler des Münchner Luisen-Gymnasi-
ums verpasst, die eine ‚Heimat’-Fahrt nach Wackersdorf geplant hatten, zum Baugelände der WAA. ‚Nicht opportun und pädagogisch nicht sinnvoll’, begründete das CSU-geführte Schulreferat sein Veto. Dem zuständigen Referatsleiter Albert Loichinger widmeten die Schüler eine weiß-blaue Axt (‚Um den pädagogischen Kahlschlag zu vollenden’) und reagierten mit Schulstreik. Inzwischen hat sich der Münchner OB Kronawitter (SPD) als Dienstvorgesetzter des Schulreferenten einge-
schaltet und grünes Licht für die Fahrt nach Wackersdorf gegeben. Die Schüler dürften sich „in aktuellen Angelegenheiten sachbezogen und vor Ort informieren“.4

Bayrische Lehrer, die umgangssprachlich selten gegendert werden, erhalten regelmäßig Post. Die so genannten KMS, wie die kultusministeriellen Schreiben gemeinhin genannt werden, werden zumeist ungelesen im Ordner mit der Aufschrift „KMS“ abgeheftet. Ein Schreiben mit dem Betreff „Schulgebet“ findet allerdings Aufmerksamkeit.5

„20. Mai: Ca. 300 Berufsoberschüler für Technik demonstrieren vor dem Rathaus gegen eine ‚Bil-
dung ohne Platz’, gegen ‚Auslagerung, Sonderklassen und Schichtunterricht’ in ihrer Anstalt. Die ist zu einem Teil in Giesing, zum anderen in Harthof untergebracht. Auch Lehrkräfte bescheinigen ‚unmögliche Zustände’. Klassen seien in Pavillons untergebracht. die ‚abbruchreife Notquartiere’ seien.“6

»Sic itur ad astra! Neue Chancen für alte Sprachen sieht Bayerns Kultusminister Hans Zehetmair, denn der für 1992 geplante europäische Binnenmarkt verlange von jungen Menschen ,mehr denn je gute Fremdsprachenkenntnisse’. Aus diesem Grund, so Zehetmair, müsse die Schule die Fähig-
keit vermitteln, sich rasch in Fremdsprachen einarbeiten zu können. Bei dieser Aufgabe könne ,La-
tein als Fundamentsprache’ dienen und als ,sprachliches Visum’. Nach Zehetmairs Auffassung bie-
tet der Lateinunterricht noch eine weitere Chance. Als humanistischer Beitrag zum gymnasialen Bildungskanon sei es Aufgabe des Unterrichts in Griechisch und Latein, ,die Fragestellungen der Gegenwart nicht zu spiegeln, sondern sie zu übersteigen’. Da lässt sich nur noch mit Augustinus antworten: Roma locuta, causa finita.«7

(zuletzt geändert am 18.1.2021)


1 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 3 vom 5. Februar 1988, 6.

2 päd. extra & demokratische erziehung 4 vom 18. April 1988, Köln, 42.

3 Siehe „Krieg der Knöpfe“ von Horst Hartmann.

4 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 7 vom 31. März 1988, 6.

5 Siehe „GEW, eine bibelfeste Gewerkschaft“ von Horst Hartmann.

6 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 116, 1, 4.

7 päd. extra & demokratische erziehung 10 vom 19. Oktober 1988, Köln, 41.

Überraschung

Jahr: 1988
Bereich: SchülerInnen