Flusslandschaft 1998
Religion
Auf der Donnersberger Brücke parkt im Sommer öfter ein VW-Bus, hippymäßig bemalt mit der Botschaft „Jesus lebt“. Auf dem Pasinger Bahnhofsvorplatz steht immer öfter ein Prediger, der mit der Bibel in der Hand herum fuchtelt und ausruft, dass Jesus lebe und uns liebe. Auf den Scheiben in der S-Bahn zwischen Pasing und der Donnersberger Brücke kleben kleine Aufkleber:
Die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht im Dezember auf der Seite „Münchner Kultur“ in ihrer Rubrik „Die andere Seite“ ein Foto, das Volker Derlath im Substanz aufgenommen hat: Ein lang-
haariger junger Mann mit nacktem Oberkörper nimmt die Position des Gekreuzigten ein. Drunter steht geschrieben; „Alle Jahre wieder, der beliebte Jesus-Lookalike-Contest, am kommenden Samstag im Substanz, Ruppertstraße 28. Der Sieger bekommt einen Träger Bier und wird am Sendlinger Tor gekreuzigt.“ Dies löst einen Sturm der Entrüstung aus. Das Erzbischöfliche Ordi-
nariat erwägt rechtliche Schritte und verlangt eine öffentliche Entschuldigung, der Pächter des Lokals wird erfolgreich dazu aufgefordert, die „Kreuzigung“ zu unterlassen.
Franz Gans, der keiner Kirche angehört, wundert sich, dass er Kirchensteuer zahlt.2
„»Um Gottes Willen!« rufen wir bezeichnenderweise aus, wenn wir unserem Entsetzen Ausdruck geben wollen.“3
1 Archiv der Münchner Arbeiterbewegung
2 Siehe „Filmrecherche“ von Franz Gans.
3 Manfred Ach, Auf keine Kuhhaut. Überschreitungen vom Mönch, München/Wien 1998, 876.