Flusslandschaft 1972
Kunst/Kultur
BILDENDE KÜNSTE
„Will Elfes ist tot. In München starb im November vergangenen Jahres im Alter von 47 Jahren unser Freund, der Bildhauer und Sänger, Will Elfes, an einer tückischen Krankheit. Elfes war in vielen seiner plastischen Arbeiten, in seinen Liedern und langen Diskussionen eng mit den An-
sätzen gegen den herrschenden Kunstbetrieb verbunden, aus denen sich unsere Zeitschrift und kulturpolitischen Tendenzen entwickelten. Begabt, debattierlustig, dtustig und von fanatischer Antibürgerlichkeit sah er sich selbst als Nachfahre jener Villon, Klabund oder des frühen Brecht, deren Verse er in selbst erdachte und sehr selbständige Noten und Vortrag zu setzen wußte. Als junger Mann mußte er als Panzerfahrer nach Stalingrad. Er hat über diese Erlebnisse nie sprechen können und über das. was in ihm zerbrochen wurde – aber seine zornige, bis zur Selbstzerstörung tendierende Auflehnung gegen jede Einfügung und sogenannte Ordnung zeugte davon und seine radikale Boheme, zuerst in einer selbst erbauten Hütte am Rheinufer bei Karlsruhe, später in seinen Münchner Atelierwinkeln. Protest beflügelte auch seine Sozialutopien, in denen er neue Architektur, neue Plastiken und Materialien und neue Menschen sich gegenseitig steigern sah. Elfes schuf einige Betonfiguren wie den Entwurf für das Mahnmal in Dachau mit den wie Holz-
scheite gestapelten Leichen und einige Porträts, in denen seine große Begabung realistisch her-
vortrat, die sich sonst in der selbstgewählten Suche nach einem Bündnis zwischen moderner Architektur und abstrahierter Form ausdrückte. Eine Reihe seiner Vertonungen und Lieder »Die Galgenlieder von Morgenstern« gibt es auf Schallplatten – anderes wie die Brecht-Songs mit seiner Fassung der »Ballade vom Soldaten« liegen als Bänder im Nachlaß. Die Neue Münchner Galerie wird Ende dieses Jahres die Einzelfiguren und die Bauplastik und Brunnen in Großformat in einer Gedächtnisausstellung zusammenfassen. Richard Hiepe für die Redaktion tendenzen“1
Der Berufsverband Bildender Künstler e.V. (BBK) beschwert sich beim Bayerischen Rundfunk über Sendungen, in denen KünstlerInnen in die Kategorie „Asoziale Randgruppe“ eingeordnet werden.2
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Erwin Oehl: Demonstrierendes Paar, Öl auf Leinwand, 70 × 97 cm
Der Maler Erwin Oehl, der ursprünglich eher kommunistisch orientiert war, zeigt in seinem Bild Sympathie mit jugendlichen DemonstrantInnen, die die schwarze Fahne der Anarchie tragen.
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Martin Mayers „Olympia triumphans“ misst 5,10 Meter, wobei allerdings der Sockel 1,25 Meter hoch ist. Auf der Kugel ist zu lesen: „OLYMPIA TRIUMPHANS / PER NATURAM AD ARTEM / PER ARTEM AD NATURAM / AD HOMINUM PIETATEM / AD HUMANITATEM / EXTRUEN-
DAM.“ Unmut regt sich im Volk. Spaziergänger beschweren sich über eine „unästhetische Haltung und unmögliche Proportionen“. Frauenrechtlerinnen entdecken in der Plastik die Bildsprache einer mehrtausendjährigen patriarchalen Schaulust, die das Abbild weiblicher Körper traditionell auf sexuelle Verfügbarkeit reduziert.
FILM
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Für den 15. März lädt das undependent film center zur Aufführung des Films „Der geile Wotan" mit Otto Muehl in die Rottmannstraße 15.
Im Vorspann des Films „Todesmelodie“ von Sergio Leone heißt es: „Eine Revolution ist kein Gast-
mahl, kein Aufsatzschreiben, kein Bildermalen oder Deckchensticken; sie kann nicht so fein, so gemächlich und zartfühlend, so maßvoll, gesittet, höflich, zurückhaltend und großherzig durchge-
führt werden. Die Revolution ist ein Aufstand, ein Gewaltakt, durch den eine Klasse eine andere Klasse stürzt.“6 Die Georgenstraßen-WG sitzt nach dem Film noch im Alten Ofen in der Ziebland-
straße und wartet auf die dampfenden Fleischpflanerl, die es um Mitternacht gibt. Werner ist glücklich. Er fährt fast jedes Jahr nach Italien, besucht irgendwo eine Festa dell’ Unità, genießt eine coppa di gelato „Bandiera Rossa“ und singt „Avanti o popolo, alla riscossa …“. Der Film hat ihm gefallen. Ulrike: „Was für Illusionen! Wer sich subjektiv als Revolutionär geriert, sieht in die-
sem Streifen logo lauter Revolutionäres. Der bourgeoise Schwachkopf erinnert sich später nur noch an grelle Revolutionsfolklore. Jeder sieht das, was er sehen will.“ Jogo widerspricht: „Bei mir ist auch mal was hängen geblieben und dann hab ichs kapiert …“ Verena fällt ihm ins Wort: „Was bleibt denn da hängen?! Wenn Rod Steiger die Augen rollt und James Coburn anbrüllt, ‚das ist immer dasselbe. Da werden die armen Schweine gequält und dann kommen die, die die Bücher schreiben und wissen, wie‘s geht mit der Revolution, und die sagen den Armen, was sie tun sollen, und die machen’s und werden alle abgeknallt, und dann kommen wieder die, die die Bücher schrei-
ben, und sagen den Armen, was sie machen sollen, und dann geht die ganze Scheiße von vorne los.‘ Das ist doch Blödsinn! Revolution ohne Theorie – Nein!“ Verena müsste sich eigentlich über ihren Landsmann Leone freuen. Sie findet den Film aber nur „davvero schifoso”.
LITERATUR
Im Verband Deutscher Schriftsteller (VS) geht es drunter und drüber. Die einen wollen den VS der IG Druck und Papier angliedern, die anderen arbeiten mit allen Tricks gegen die geplante gewerk-
schaftliche Ausrichtung.7
Siehe auch „Olympische Spiele“.
(zuletzt geändert am 16.5.2025)
1 tendenzen 81 vom Februar/März 1972, 51.
2 Siehe „Betreff: Beschwerde des BBK München beim Bayer. Rundfunk“.
3 Privatsammlung. Siehe außerdem Gerstenbergs „Das Recht der Nichtverzweifelten“ 1968.
4 Privatsammlung
5 Privatsammlung
6 Untersuchungsbericht über die Bauernbewegung in Hunan, März 1927, Ausgewählte Werke Mao Zedongs, Bd. I.