Flusslandschaft 1974
CSU
Der Bayernkurier über Brandt: »Solche Begeisterung konnte nur von kurzer Dauer sein, mußte der Ernüchterung rasch weichen. Unvermeidlich schwand das Trugbild der Trunkenheit, wechselte der Rausch zum Kater, wandelte sich der Wahn des Wünschbaren zur Wahrheit des Wirklichen. Der Heiligenschein erwies sich als optische Täuschung, die Aura des Giganten als kosmetische Gaukelei, die Gestik des Segnens als komödiantisches Produkt. Die Metamorphose Brandts brachte die mitleidheischende Gestalt eines durchschnittlichen Politikers zutage, der – da ihn zunächst der jähe Strudel von widerwärtigem Lobgehudel in die Wolken gehoben hatte – jetzt, auf den Boden der Realitäten geschleudert, völlig unfähig war, die Pflicht des Führens in Partei und Staat zu meis-
tern . . . Formbar, weil ihn keine Ecken und Kanten des Charakters zur Persönlichkeit ausprägten, leidlich intelligent, mimisch talentiert, erotisch attraktiv, mit lllusionen hinreichend schwanger, darum geeignet, die Träume der Menschen zu empfangen und als sentimentale Schnulzen zu gebä-
ren, dem Wort verhaftet und der Tat abgewandt, dennoch ehrgeizig, wenn eigene Mühe nicht allzu arg beansprucht wird – kurzum: kein Urgestein wie Konrad Adenauer, sondern handlicher Lehm, ein Stoff, der es erlaubte, einen Golem zu kneten, der Güte, Gerechtigkeit und Gleichheit zu reprä-
sentieren vermochte, während andere – getarnt durch solchen Vordergrund – im sozialistischen Sinne die Sache aus dem Hintergrund dirigierten. Der Riese aus der Retorte eroberte – da er durch Stimme und Statur, Propaganda und Politur während seiner ersten Periode im Palais Schaumburg die Hirne betäubte – die Herzen der Majorität, die ihm für eine zweite Frist Vertrauen auf Vor-
schuß gewährte. Aber der Wechsel, den er ausgestellt hatte, war ungedeckt.«1
„Der deutsche Fußballkaiser Beckenbauer! Über sich: Ich möchte so intelligent sein wie mein Freund Franz Josef Strauß, so wortgewandt wie Boenisch und mich so bewegen können wie Joa-
chim Fuchsberger.“2
„SCHON WIEDER EIN ANGRIFF – Drei Monate lang tingelte die Hanns-Seidl-Stiftung, eine Tarnorganisation der CSU, mit ihrer Ausstellung ‚Angriff auf unsere Demokratie‘ durch die bayri-
sche Provinz. Nun hält sie erneut Einzug in München. Kein Grund zur Freude. Als diese Hetz-Schau der Rechten im März eröffnet wurde, stand in BLATT 18: ‚Wieder einmal soll dem bekann-
ten Mann von der Straße weisgemacht werden, dass die Leute, die andere Ideen haben als die Veranstalter dieser Ausstellung, in Wirklichkeit ja bloß alles kaputthauen wollen, ohne Rücksicht auf Verluste.‘ Daran hat sich nichts geändert. Geändert hat sich allerdings der „Angriffs“-Ort: im März war die Ausstellung noch in der Obersten Baubehörde untergebracht, die dem CSU-Innen-
ministerium untersteht. Jetzt präsentiert sich diese CSU-Veranstaltung frech im Münchner Poli-
zeipräsidium in der Ettstraße. Aber die Münchner Polizei wurde inzwischen ja auch verstaatlicht. Im Sinne der CSU? Vom 8.7. – 19.7.“3
Franz Josef Strauß: „Was wir hier in diesem Land brauchen, sind mutige Bürger, die die roten Rat-
ten dorthin jagen, wo sie hingehören – in ihre Löcher.“4
Bayern ist anders. Wenn einem führenden Politiker »Weibergschichtn« nachgesagt werde, spricht das für ihn. Wenns dann auch noch Frauen aus Afrika sind, dann meint ein Bierzeltredner unter tosendem Applaus: »Wann dös stimmt, so zeigt es, dass unser Franz Josef koa Rassist is!«5
Strauß hält vor der CSU-Landesgruppe in Sonthofen am 19. November eine Rede. Einer der Anwe-
senden schneidet diese Rede auf einem Tonbandgerät mit und bringt sie sehr indiskret in die Öf-
fentlichkeit. Die Erregung ist groß.6
Der bayrische Ministerpräsident Alfons Goppel (CSU) meint, das Recht im Staat dürfe „nicht Opfer einer überspitzten Rechtsstaatlichkeit“ werden.7 Am 26. November morgens um 6 Uhr umstellen im Rahmen der Aktion „Winterreise“ in allen größeren Städten der Bundesrepublik schwerbewaff-
nete Hundertschaften der Polizei Dutzende von Häusern, zertrümmern oft die Türen, nehmen nicht selten ohne Durchsuchungsbefehle Hausdurchsuchungen vor und verhaften „Sympathisan-
ten“.
Siehe auch „Medien“.
(zuletzt geändert am 12.1.2025)
1 Bayernkurier vom 6. April 1974, zit. in: Kurt Hirsch/Hella Schlumberger, Die Technik des politischen Rufmordes, Starnberg 1974, 85.
2 Blatt. Stadtzeitung für München 26 vom 28. Juni 1974, 3.
3 Blatt. Stadtzeitung für München 27 vom 12. Juli 1974, 6.
4 Die Welt vom 23. September 1974.
5 Zit. in: Armin Mohler, Von rechts gesehen, Stuttgart 1974, 313.
6 Siehe „Aber die vielen nüchternen harten Fragen der Landespolitik …“ von Franz Josef Strauß.
7 Frankfurter Rundschau vom 11. November 1974.