Flusslandschaft 1974

Hausbesetzungen

In Haidhausen mehrten sich seit 1970 die Stimmen, die die vom Stadtrat 1968 beschlossene „Aufwertung“ des Viertels ablehnten. Diese „Aufwertung“ umfasst den S-Bahnbau, die Tangente Ost 3, die U-Bahnlinie 5, das Gasteig-Projekt1, Motorama, Franziskanerhof, Ostbahnhofsprojekt und das Laden- und Wohnprojekt Orleans-/Auerfeldstraße. Man befürchtete, dass die „Sanierung“ den gewachsenen Stadtteil zerstört. – Im Juni 1973 sprach sich eine Bürgerversammlung mit einem klaren Votum für den Erhalt des Gasteig-Spitals und gegen die Errichtung eines großen Kulturzentrums aus. – Anfang Februar 1974 wird die Entscheidung des Stadtrats bekannt ge-
macht: Das Gasteigspital wird abgerissen; an seiner Stelle entsteht ein Kulturzentrum für etwa
160 Millionen Mark. Am 15. Februar besetzen gegen 11 Uhr nachts etwa zweihundert Menschen das noch gut erhaltene Gasteigspital, das für den „Kulturpalast“ („Mammut-Glashaus“, „Kultur-
vollzugsanstalt“) abgerissen werden soll. Sie fordern die Umwidmung des Gebäudes in ein Stadt-
teilzentrum.2 Siebenhundert städtische Polizisten sowie Mitglieder von Bereitschaftspolizei und Bundesgrenzschutz räumen um halb 12 Uhr das Gebäude und nehmen einhunderteinundfünfzig Leute fest, die erkennungsdienstlich behandelt werden und in die Ettstraße gefahren werden, wo schon seit 18 Uhr leer geräumte Zellen warten. Offenbar wussten die Behörden schon lange vorher, was geplant war.3

„Im 17. BLATT wurde über das brutale Vorgehen der Polizei bei der Hausbesetzung des Gasteig-Spitals, eines seit Jahren leerstehenden 150-Zimmer-Hauses am 15. Februar 1974 in München berichtet. Die Staatsanwaltschaft beanstandete die Schilderung einer sehr einseitigen Prügelei zwischen Polizei und einem Straßenpassanten als ,verleumderische Beleidigung und verlangte dafür 3.000 DM Geldstrafe. In zweiter Instanz verhängte der Richter die von der Staatsanwalt-
schaft geforderte Strafe in voller Höhe übers BLATT.“4

Die Prozesse5 dauern zum Teil bis 1978, viele der Besetzerinnen und Besetzer werden zu Geldstra-
fen verurteilt. Im selben Jahr, 1978, wird der Bau des Kulturzentrums begonnen. „Den Haidhau-
sern versprach Oberbürgermeister Kronawitter, die seit Jahren geforderten Sozialeinrichtungen im Gasteig bereitzustellen: ‚Ein Freizeitzentrum, eine Betreuungsstelle für ältere Menschen, ein Alten-Service-Zentrum, eine Kinderkrippe, ein Mehrzwecksaal, ein Geschäftszimmer für den Bezirksaus-
schuss.’ Vier Jahre bleibt das Gelände brach. Von den zugesagten Einrichtungen ist längst keine Rede mehr, auch nicht von den ursprünglichen Baukosten von 150 Millionen DM.“6

Siehe auch „Frauen“.

(zuletzt geändert am 10.4.2018)


1 Siehe „Seit neun Wochen steht das riesige Gasteigspital in Haidhausen leer!“ und „Gasteig-Spital“.

2 Vgl. Haidhauser Nachrichten. Monatszeitung für den Münchner Osten 4 vom April 1981, 5.

3 Siehe „Was hat die Polizei im Kopf?“.

4 Monika Döring u.a. (Hg.), Beschlagnahmt, Berlin 1976. 121.

5 Siehe „Stellungnahme eines Vaters, dessen Tochter wegen Gasteigbesetzung angeklagt ist“.

6 Stadtbuch für München 1984/85, München 1983, 274; siehe dazu auch „Haidhausen“ 1971.